Dominant wie der große kleine Bruder

Ellen Carlsen drückt dem Schachländerkampf gegen Deutschland mit weit mehr als dem berühmten Namen ihren Stempel auf

Norwegens Schachspielerinnen erspielen sich gegen die Deutschen Respekt - dank der Schwester von Weltmeister Magnus Carlsen als heimlicher Teamchefin.

Norwegens Star beim Länderkampf in Berlin: Ellen Carlsen

Carlsen, immer wieder Carlsen. Das Jahr »Magnus + 1« hatte Geir Nesheim, Generalsekretär des Norwegischen Schachverbandes, zu Beginn des Länderkampfes im »nd«-Verlagshaus ausgerufen. Seitdem das junge Schachgenie den WM-Titel in den Norden Europas geholt hat, ist zwischen Oslo und Hammerfest ein Boom um das früher als dröge verschriene Brettspiel ausgebrochen. So ist Magnus Carlsen virtuell stets mit am Start, wenn eine Mannschaft aus Skandinavien irgendwo im Ausland gastiert.

Auch beim dreitägigen Freundschaftsmatch der Norwegerinnen gegen die deutsche Nationalmannschaft in Berlin, mit dem für die diesjährige Schacholympiade Anfang August in Tromsø geworben wurde, ist die Omnipräsenz der neuen Ikone zu spüren. Sogar mehr als nur virtuell, schließlich spielt die ältere Schwester von Magnus Carlsen auf der dritten Position für Norwegen. Die 24-Jährige war die Erste, die das Talent ihres kleinen Bruders entdeckt hatte, und nun folgt ihr, ob sie will oder nicht, der Schatten des großen kleinen Bruders auf Schritt und Tritt.

Die angehende Ärztin weiß den Carlsen-Effekt für sich zu nutzen. Selbstbewusst, fast dominant ist ihre Körpersprache. Häufig steht Ellen Carlsen, sobald sie einen Zug ausgeführt hat, vom Spieltisch auf und schreitet die Bretter ihrer drei Mitstreiterinnen ab, checkt den Stand der Partien, ohne jedoch die geringste Regung zu zeigen. Die totale Coolness in Person, wie »Big Little Brother M«, der den Status eines Popstars erreicht hat, seitdem er für eine Jeansmarke modelt. »Sister Ellen« ist in Berlin die heimliche Chefin im Ring. Zumal sie das Spiel souverän kontrolliert und auch in kritischen Situationen die Nerven behält.

Ihre deutsche Gegnerin Jade Schmidt bekommt das zweimal zu spüren. Nachdem die 26-jährige Hamburgerin in der ersten Runde des Wettkampfes nur knapp das Unentschieden retten konnte, holt sie trotz Aufschlags (sie führt die weißen Steine) auch aus dem Rückspiel am zweiten Turniertag nicht mehr als einen halben Punkt. Denn Ellen Carlsen greift aus unklarer Position plötzlich an und dringt mit ihrer schwarzen Königin tief ins weiße Hinterland ein. Jade Schmidt kann das Gleichgewicht nur halten, indem sie ihrerseits die eigene Dame auf Carlsens König hetzt. Der sich aber dem feindlichen Zugriff immer wieder geschickt entzieht.

Ellen Carlsen führt das Kommando, und entsprechend klingt es eher trotzig als gelassen, als Schmidt hinterher behauptet, es habe »Spaß gemacht«, gegen sie anzutreten. Ansonsten sei ihr der berühmte Name ziemlich egal.

Weitaus härter trifft es indes die deutsche U-16-Meisterin Josefine Heinemann. Norwegens Yonne Tangelder nimmt Revanche für die Niederlage am Vortag und rennt die Magdeburgerin quasi über den Haufen. Die Skandinavierinnen sind dem Gleichstand nahe. Aber weil es dann die Frontfrauen Ellisiv Reppen und Anita Grønnestad mit dem Geist der Hau-drauf-Wikinger doch etwas übertreiben und die Attacken der Deutschen Zoya Schleining und Elena Levushkina zu couragiert ignorieren, müssen sie schließlich kapitulieren.

In der Endabrechnung gewinnen die deutschen Frauen mit 5,5:2,5 Punkten. »Wir haben gegen die nach dem Rating stärkeren Deutschen viel besser abgeschnitten als erwartet«, bilanziert Geir Nesheim. »Unsere Frauen sind über sich hinausgewachsen.« Das Match sei ein exzellentes Training für die Schacholympiade in Tromsø gewesen.

Dort wird man sicher wieder von der Familie Carlsen hören. Weltmeister Magnus wird auf jeden Fall spielen. Und Schwester Ellen kündigte in Berlin an, dass auch sie anreisen wird, entweder als Teil der heimischen Frauenauswahl (die endgültige Nominierung ist noch offen) oder als Fan vom Bruderherz.

nd/Ulli Winkler
Am Samstag präsentierten sich die Norwegerinnen auf der Internationalen Tourismusbörse am Stand ihres Landes. Dabei durften Messebesucher auch mal gegen die Weltmeisterschwester Ellen Carlsen spielen.

René Gralla

Der Originalartikel ist am 08.03.2014 im "neuen deutschland" erschienen. Mit freundlicher Genehmigung vom "nd" übernommen.

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