18. November 2011
Am 6. Juli haben wir an dieser Stelle erstmals vier Beispiele aus den Landesverbänden vorgestellt, die zeigen sollten, wie unsere Verbandsmitglieder in den Vereinen mit originellen Ideen dafür sorgen, dass Schach in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen wird. Vier weitere folgten am 26. Juli und Teil 3 mit einem eindrucksvollen Beitrag aus Niedersachsen am 2. November. Heute nun gilt es ein Projekt aus den Landesverbänden Saarland und Pfalz zu würdigen, das für ähnliche Anlässe wirklich zu übernehmen ist.
Dass es ausgerechnet in den frühen 1920er Jahren, wo nicht nur das Alltagsleben in Deutschland von einer schweren Inflation geprägt wurde, gleichzeitig zur Gründung zweier Landesschachbünde kam – dafür gibt es keine Erklärung. Allerdings existierten sowohl im Saarland als auch in der Pfalz bereits vor den historischen Tag – es war der 13. Dezember 1921 – schon Schachvereine, die einen regen Spielbetrieb entfalteten. Diese hatte jedoch den Charakter von Freundschaftskämpfen.
Im Saarland schlossen sich unmittelbar nach Gründung des Saarländischen Schachverbandes (SSV) sofort 15 Vereine der neuen Dachorganisation an. Und auch beim Pfälzischen Schachbund dürfte es nicht anders gelaufen sein, wurde doch im Jahr darauf schon die erste Landes-Einzelmeisterschaft durchgeführt, die mit Hans Ruchti aus Speyer ihren ersten Sieger fand.
Im Saarland wurde ebenfalls 1922 der Start vollzogen (Fritz Gebhardt von der Saarbrücker SG 1919 gewann). Die 1. Offizielle SEM, die im Schweizer System ausgetragen wurde, führen gestrenge Chronisten jedoch unter dem Jahr 1923. In Saarbrücken hieß der Sieger Adolf Haas vom Schachclub 1913 Fischbach.
Soweit zunächst die Rückblende in die Gründerzeit, die beiden Landesschachbünden nunmehr Anlass ist, mit einem Event an diese Anfänge würdig zu erinnern. Und was ist besser, als einfach Schach zu spielen. Im konkreten Fall am kommenden Sonntag (20. November) in der Rosseltalhalle in Großrosseln – die Gemeinde liegt vor den Toren Saarbrückens.
„90 Jahre – 9 Jahrzehnte Schach an der Saar“ heißt die Veranstaltung, zu der die SV Aljechin Emmersweiler 1985 einlädt. Im Mittelpunkt steht dabei ein Schnellschach-Vergleichskampf zwischen einer Saarland-Auswahl und einem Team der angrenzenden Regionen an 90 Brettern. Danach wird es einen Festakt geben, bei dem neben Vorträgen von DSB-Präsident Herbert Bastian, der gleichzeitig auch Präsident im SSV bekleidet, und Dr. Helmut Pfleger – er gewann 1960 in Großrosseln die Deutsche Jugendeinzelmeisterschaft, an Gerhard Weißgerber erinnert werden soll, der dem Event seinen Namen gibt.
Und an dieser Stelle müssen wir deshalb erneut abtauchen in die Geschichte, denn natürlich möchte man doch wissen: Wer ist denn dieser Gerhard Weißgerber?
Fündig werden wir in dem Buch Schach an der Saar von Wolfgang Maier, der dritter Festredner sein wird. Vor allem erklärt sich sofort die Wahl des Ortes für die Jubiläums-Veranstaltung, denn der Vorkämpfer des Saarländischen Schachs, wie es seinerzeit hieß, wurde in Großrosseln am 13. Oktober 1905 als zweiter Sohn des damaligen Bürgermeisters geboren.
Und er war spätestens mit seinem Erfolg bei der Landesmeisterschaft 1927 - den Titel holte sich Weißgerber auch 1929, 1930 und 1932 - auf dem Weg, nicht nur ein Meisterspieler von regionaler Bedeutung zu sein. Ein Jahr vor seinem ersten Landesmeistertitel hatte er in Wien beim 10. Trebitsch-Turnier im Haupttunier C mitgespielt und dort einen beachtlichen 2. Preis errungen.
Dass er 1928, 1932 und 1933 und 1935 Pfalzmeister wurde, muss unbedingt auch erwähnt werden. In den letzten Jahren freilich hatte er seinen festen Wohnsitz in Kaiserslautern, wo er im Alter von nur 32 Jahren am 22. Oktober 1937 an einer unglücklich verlaufenen Operation verstarb.
Da Gerhard Weißgerber seine schachliche Laufbahn im Saarland begann und seinen sportlichen Höhepunkt im Pfälzischen hatte, wie wir noch sehen werden, erklärt also, warum ihn die Veranstalter zum Namenspatron auserkoren haben. Und bei künftigen Events zwischen den beiden Landesschachverbänden – ernsthaft wird ein Jahresrhythmus überlegt – soll diese Idee fortgesetzt werden, an bedeutende Schachmeister zu erinnern. Ich finde, eine Initiative, die wenn man so will sowohl Geschichtsbewusstsein widerspiegelt als auch Schachkultur Verbandsmitgliedern und Interessenten nahe bringt.
Über das schachliche Lebenswerk von Gerhard Weißgerber wird den Teilnehmern des Festaktes ganz sicherlich Wolfgang Maier viel Wissenswertes berichten können.
Unserer bescheidene Spurensuche hat ergeben, dass beispielsweise in der Database 82 Partien von ihm erfasst wurden. Was den Spielstil des Großrosselner Ehrenbürgers angeht, so war ganz sicherlich sein kühnes Draufgängertum für ihn typisch. Damit beeindruckte er beispielsweise bei nationalen Titelkämpfen in Swinemünde 1931 oder 1933 in Bad Pyrmont – der Meistertitel ging jeweils an Jefim Bogoljubow.
Und für die Meisterspieler jener Jahre, war er ein jederzeit ernst zu nehmender Gegner. Davon musste sich beispielsweise auch Georg Kieninger überzeugen, der dem Saarländer bei der 29. Deutschen Einzelmeisterschaft in Bad Pyrmont 1933 unterlag. Der Originalkommentar stammt von Kurt Richter, einer der begnadetsten Angriffsspieler nicht nur jener Zeit, weshalb er auch als „Scharfrichter von Berlin bezeichnet wurde...
Weißgerber Gerhard – Kienninger, Georg
29. DEM, Runde 3, Bad Pyrmont 1933
Altindisch [A53]
Meister WEISSGERBER spielte in seinen Partien fast immer auf Angriff. Viele seiner Angriffspartien zeichnen sich durch wunderbare Kombinationen aus. In der folgenden Kurzpartie, die 1933 um die deutsche Meisterschaft in Pyrmont gespielt wurde, glaubte der jetzige Deutschlandmeister KIENINGER, WEISSBERGER überlisten zu können, aber WEISSBERGER machte ihm einen bösen Strich durch seine Rechnung.
1.d4 Sf6 2.c4 d6 So pflegt KIENINGER zu spielen, wenn er unbedingt gewinnen will. In gedrückten Stellungen fühlt er sich bekanntlich wohl. 3.Sc3 Sbd7 4.Lg5 e5 5.e3 Le7 6.Ld3 0–0 7.Sf3 c6 8.0–0 Dc7 9.Dc2 Te8 10.Lh4 g6 11.h3 Sh5 12.g4 Lxh4 Besser war Sg7. Mit dem Textzug fordert Schwarz den weißen Angriff heraus. Vielleicht hat KIENINGER hier schon seinen 17. Zug im Auge, aber WEISSGERBER weist durch eine schöne Kombination nach, dass er sich dabei verrechnet hat. 13.gxh5 Lf6 14.hxg6 hxg6 15.Lxg6 fxg6 16.Dxg6+ Kf8 17.Se4 Te7
Soweit hat KIENINGER alles berechnet. Es droht Tg7 mit Damenfang, aber WEISSGERBER stört diese Drohung nicht! 18.Sxf6 Tg7 19.Dxg7+ 1–0. Schwarz gab auf; denn nach 19...Kxg7 gewinnt Weiß mit Se8+ nebst Sxc7 die Dame zurück und behält danach einen Turm mehr.
Bleibt zu erwähnen, dass Gerhard Weißgerber gemeinsam mit Karl Helling, Berthold Koch, Kurt Richter und Fritz Sämisch einen ehrenvollen geteilten 5. bis 9. Platz belegte.
Im gleichen Jahr überzeugte er beim Louis-Paulsen-Gedenkturnier in Aachen mit einer ähnlich starken Leistung, wie Platz 5 hinter Jefim Bogoljubow, Kurt Richter, Carl Ahues und Fritz Sämisch belegte.
Mit noch nicht einmal 28 Jahren schien für Weißgerber, der auf dem Gemeindefriedhof von Großrosseln beigesetzt wurde – der Grabstein steht unter Denkmalschutz – also Steigerungen nach oben durchaus realistisch zu sein. So zählte er zum erweiterten Kader der deutschen Auswahl für die „inoffizielle Schacholympiade“ 1936 in München (Richter, Ahues und Sämisch gehörten weiterhin zum Aufgebot). Das dafür entscheidende Turnier in Bad Nauheim /17.-31. Mai 1936) beendete er jedoch mit nur zwei Punkten aus neun Partien auf dem letzten Platz. Und vielleicht ist es wie ein Omen zu werten, dass in der Datebase ausgerechnet seine gegen Exweltmeister Alexander Aljechin verlorene Partie die letzte von Gerhard Weißgerber in diesem „ewigen Gedächtnis der Schachwelt“ ist.
Aljechin beendete es punktgleich auf dem geteilten 1.-2. Platz mit dem 20-jährigen Esten Paul Keres (beide je 6,5/9, wobei das direkte Duell remis endete), dessen Schachstern von jenen Tagen im Mai an zu leuchten begann, Doch das ist eine andere Geschichte...
Was Meister WEISSGERBER angeht, so widmeten ihm seine pfälzischen Schachfreunde in der PFÄZISCHEN PRESSEeinen Nachruf, in dem es u.a. heißt:
„Wen die Götter lieb haben, der stirbt früh! An dieses Wort eines griechischen Redners erinnerte uns die traurige Kunde vom Tode Gerhard WEISRGERBERS. War er wirklich ein Liebling der Götter, der kleine zurückhaltende Mensch, dem das Leben so manches versagt, der nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit zu uns nach Kaiserslautern kam, um sich eine Existenz aufzubauen?
Vielleicht doch; denn er war kein Stiefkind des Glücks. In jungen Jahren hat er seinem Namen in die deutsche Schachgeschichte eingeschrieben, hat er Kampf und Sieg, Not und Enttäuschung kennengelernt..."
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 115