16. Juni 2016
Seit dem 6. Juni 2016 ist die Schachwelt um eine große Persönlichkeit ärmer. Er war zwar nie Weltmeister, aber trotzdem hat Viktor Kortschnoi eine schwer zu schließende Lücke hinterlassen. In Erinnerung wird er uns durch seine zwei Weltmeisterschaftskämpfe gegen Anatoli Karpow, die Abkehr von seiner sowjetischen Heimat und seine bis zuletzt ungebrochene Liebe für das Schach bleiben.
Am 14. Juni 2016 fand nun in seinem letzten Heimatort Wohlen im Kanton Aargau in der Schweiz die Trauerfeier und anschließende Beerdigung statt. Nachfolgend veröffentlichen wir die beiden Trauerreden von Dr. Gerhard Köhler und Peter A. Wyss, dem Zentralpräsidenten des Schweizerischen Schachbundes.
Worte des Abschieds an der Abdankungsfeier vom 14. Juni 2016 in Wohlen von Peter Wyss
Liebe Trauerfamilie, liebe Trauernde aus nah und fern
Wir schauen voller Respekt und Ehrfurcht auf 85 Lebensjahre zurück. Auf 85 Jahre, die für immer Teil der Schachgeschichte bleiben werden. Doch wer war der Mann, der zweimal Vize-Weltmeister aber nie Weltmeister war und trotzdem von Garri Kasparow in seiner Buchserie „Meine grossen Vorkämpfer“ auf 200 Seiten geehrt wird? Die Zahl 8 ist für uns Schachspielende von besonderer Bedeutung. Ich versuche daher die Karriere und die Persönlichkeit von Grossmeister Viktor Kortschnoi in 8 Punkten zu würdigen.
Das ist seine eigene Aussage. Viktor Kortschnoi’s Jugendjahre waren geprägt vom Zweiten Weltkrieg. Der tragische Tod seines Vaters, seiner Grossmutter, bittere Armut und die verunmöglichte Flucht aus dem von den Deutschen belagerten St. Petersburg lassen uns nur erahnen, wie schwer diese Zeit für ihn gewesen sein muss.
Mit 7 Jahren erlernte er das Schach von seinem Vater. Mit 12 erfolgte der Eintritt in den Schachclub des Leningrader Pionierpalastes. „Schritt für Schritt meist im zweiten Anlauf“ schaffte er als junger Spieler hart arbeitend und viele Rückschläge einsteckend Stufe um Stufe. Dass dazu auch eine riesige Portion Talent gehörte, versteht sich von selbst.
So wurde Viktor Kortschnoi im respektvollen Sinne genannt. Er lebte sein Leben ohne Kompromisse – auf und neben dem Brett. Er stellte das Schach zu 100 % ins Zentrum seines Lebens, war ehrgeizig, zäh und ausdauernd. Die hohe Zahl seiner Siege (bereits im Jahr 2000 waren es gemäss seinen eigenen Aussagen über 2000 Gewinnpartien in 50 Jahren) führte zwangsläufig auch zu einer sehr langen Liste von Spielern, die gegen Viktor Kortschnoi verloren hatten.
Neben der Liebe zum Schach bedeutete ihm auch die Ehrlichkeit in der Analyse alles. Dabei schonte er weder seine Gegner noch sich selbst. Die folgenden Zitate stehen dafür: „Warum hast du diese Stellung nicht weiter gespielt? Du hattest doch Chancen. Gefährlich? Du solltest besser mit Schach aufhören, wenn es dir zu gefährlich ist.“ Das zweite Beispiel stammt aus dem Jahr 2003. Der aufstrebende GM David Navara beurteilte in der Analyse eine Stellung als „unklar“, worauf Viktor Kortschnoi schonungslos antwortete: „Aber nur für dich!“.
Dann war Viktor Kortschnoi bekannt für sein schroffes „Njet“ auf ein Remisangebot, das seiner Meinung nach zu früh gestellt wurde. Eine Partie gab er erst dann remis, wenn die Stellung in seinen Augen wirklich ausgeglichen war und sich keine Chance auf Gewinn bot. Diese Grundhaltung verunmöglichte es seinen Gegnern, sich auf ein kräftesparendes Grossmeisterremis zu freuen. Sie mussten sich vielmehr darauf einstellen, ein paar Stunden lang auf höchstem Niveau zu spielen. Auch der halbe Punkt musste schwer verdient werden.
1947 und 1948 Jugendmeister der Sowjetunion; 1954 Internationaler Meister und zwei Jahre später – also erst mit 25 Jahren - Internationaler Grossmeister; vierfacher sowjetischer Landesmeister; sechsfacher Gewinner der Schach-Olympiade mit dem Team Sowjetunion; 1978 und 1981 Vize-Weltmeister nach den verlorenen WM-Kämpfen gegen Anatoli Karpow; mit 75 Jahren nahm er erstmals an der Senioren-WM teil und holte sich gleich den Weltmeister-Titel mit überragenden 9 Punkten aus 11 Partien; mit 76 Jahren noch immer in den Top 100 der Weltrangliste und mit 80 Jahren feierte er seinen letzten von insgesamt 5 Schweizermeister-Titeln. Seine höchste FIDE-Wertung betrug 1979 sagenhafte 2695 ELO-Punkte. 2014 ernannte ihn die FIDE zum Ehrenmitglied.
Sein Kampfgeist war legendär. Nicht von ungefähr tragen zwei seiner publizierten Bücher die Titel „Meine besten Kämpfe - Band 1 mit Weiss und „Meine besten Kämpfe – Band 2 mit Schwarz“. Unvergessliches Zeugnis seines Kampfgeistes war der WM-Kampf 1978. Innert 4 Partien holte er gegen den 20 Jahre jüngeren Anatoli Karpow einen Drei-Punkte-Rückstand auf und verlor das Match erst nach 32 Partien. Die Freude am Schach setzte bei ihm bis in hohe Alter beeindruckende Kräfte frei, die ihn einzigartig machten und ihm weltweit Anerkennung brachten.
1976 emigrierte Viktor Kortschnoi aus der Sowjetunion nach Holland. Auch wenn in den Zeiten des Kalten Krieges von beiden Seiten versucht wurde, diese Flucht politisch zu begründen, sie war es nicht. Er wählte die Freiheit, um in erster Linie frei Schach spielen zu können.
1978 zog er in die Schweiz; 1991 erhielt er die Schweizer Staatsbürgerschaft und wurde von der Gemeinde Wohlen später zum Ehrenbürger ernannt.
Für das Schweizer Schach war die Einreise von Viktor Kortschnoi wie ein Sechser im Lotto. Ein Team-Leader erster Klasse: 11 Teilnahmen mit dem Schweizer Team an Schach-Olympiaden und viermal bei Mannschafts-Weltmeisterschaften; dabei gewinnt er dreimal Gold für das beste Resultat am Brett 1. Er war das kämpferische Vorbild und gab mit seiner ausgeprägten Analysefähigkeit imponierende Einblicke in sein profundes Schachwissen. 2001 wurde er von der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Schachbundes zum Ehrenmitglied gewählt.
Er war nicht nur für die Schweiz ein Glücksfall sondern auch für die beiden Vereine, mit denen er die Schweizerische Mannschaftsmeisterschaft spielte. So führte er das Team von Biel dreimal und das Team der Schachgesellschaft Zürich siebenmal zu Titelehren.
Viktor Kortschnoi war Schachspieler durch und durch. Wenn er sich als Amateur bezeichnete, betraf dies nur seine Freiheit, dort zu spielen, wo er wollte. In meinen wenigen persönlichen Kontakten versuchte ich vergeblich, andere Themen anzusprechen, spätestens nach drei Sätzen landeten wir wieder beim Schach. Die folgenden Anekdoten beleuchten nun Seiten von Viktor Kortschnoi, die nur Insider kennen.
Aus dem Jahr 1994 stammt ein schönes Beispiel, das seinen feinen Humor unterstreicht. Der Schachclub Chur feierte sein 75 Jahre-Jubiläum und organisierte ein Simultan mit Viktor Kortschnoi. Der neben mir spielende Regierungsrat Christoffel Brändli stiess mich plötzlich an und meinte: Stehe ich nicht super? Ich werde gleich Remis anbieten. Gesagt getan. Viktor Kortschnoi studiert die Stellung und meinte dann spitzbübisch: Sie stehen ja viel besser als ich – spielen Sie weiter!
Bei der Eröffnung des Casinos in Bad Ragaz 2002, zu der das Ehepaar Kortschnoi als Ehrengäste eingeladen war, fragte ich Petra Kortschnoi, wie sie Viktor kennengelernt habe. Ihre Antwort werde ich nie vergessen: „Wissens Sie, als ich in der Presse las, dass er sich anlässlich eines Turniers in Amsterdam abgesetzt hatte, dachte ich, dieser Mann braucht Hilfe… und ich kann Ihnen versichern, er brauchte sie!“
Petra Kortschnoi’s Unterstützung begann damals und dauerte dann rund 40 Jahre. Dass auch sie mit Überraschungen leben musste, beweist die SMM-Geschichte als die SG Zürich gegen Mendrisio antreten musste. Viktor Kortschnoi verpasste in Mendrisio den Ausstieg aus dem Zug, fuhr eine Station weiter und musste ein Taxi nehmen, um rechtzeitig im Spiellokal einzutreffen. Weil er zu wenig Geld bei sich hatte, bezahlten seine Kollegen. Das Rätsel des Liquiditätsengpasses löste sich erst, als Petra Kortschnoi bemerkte, sie hätte Viktor doch genügend Geld mitgegeben. Da musste er gestehen, dass er dieses Geld bereits für den Kauf seines von ihm so geliebten Kaviars ausgegeben hatte!
Viktor Kortschnoi war auch sonst ein Geniesser. 2010 spielte er in einer Rahmenveranstaltung des Mitropacups ein Simultan in Chur. Nach knapp 5 Spielstunden ohne einen Schluck zu trinken, lud ich ihn zum Nachtessen ein und schlug vor, als erstes ein Mineralwasser zu bestellen. Seine Antwort war kurz und eindeutig. „Nein! Rotwein!“ Dann wollte ich zu vorgerückter Stunde den Abend mit einem russischen Schlummertrunk ausklingen lassen und fragte: Trinken wir noch einen Wodka? Nein! Ich trinke Cointreau!
Und schliesslich ein Zitat das die Unterschiede zwischen den Generationen und der verschiedenen Lebensumständen treffend aufzeigt. Wenn sich seine Teamkollegen über dieses und jenes aufregten, kommentierte er dies gerne mit: „Ihr wisst ja nicht, dass ihr im Paradies lebt!“
Wie bereits gesagt, Viktor Kortschnoi war kein Wunderkind. Seine Karriere startete später. Den Zenit seines Könnens erreichte er mit über 40 Jahren. Dafür dauerte sein Höhenflug durch die Schachwelt viel länger als bei all seinen Mitspielern. Rückblickend war er sicher ein Wundersenior.
„Ein Leben für das Schach“ lautet der Titel seines ersten Buches. Viktor Kortschnoi blieb sein Leben lang ein Suchender, wobei die Suche mindestens so wichtig war wie das Resultat. Mit Viktor Kortschnoi hat uns ein grossartiger Schachspieler verlassen, der über 50 Jahre zur Weltspitze zählte, Generationen von Schachspielenden begeisterte und der ein herausragendes Beispiel dafür war, dass Schach eine positive Wirkung für den Erhalt geistiger Fähigkeiten auch im hohen Alter besitzt. Er wird für immer als einer der ganz Grossen in der Geschichte des Schachs in unserer Erinnerung bleiben.
Schliessen möchte ich mit einem Zitat von ihm: „Ich spiele, um den Jungs zu beweisen, dass man von mir noch etwas lernen kann.“ Viktor - wir lernen weiter! Herzlichen Dank für dein unvergessliches Lebenswerk.
Schweizerischer Schachbund
Peter A. Wyss
Zentralpräsident
Rede von Dr. Gerhard Köhler auf der Trauerfeier am 14. Juni 2016 in Wohlen, Schweiz
Liebe Trauergäste, ich spreche heute im Namen von Herbert Bastian, Vizepräsident der FIDE und zugleich Präsident des Deutschen Schachbundes und für die Emanuel Lasker Gesellschaft sowie für mich persönlich.
Am 6. Juni 2016 verstarb Viktor Kortschnoi im Alter von 85 Jahren in Wohlen bei Zürich. Er gehörte zu den stärksten Spielern des 20. Jahrhunderts.
Viktor Kortschnoi, Jahrgang 1931, wurde in Leningrad geboren und verbrachte seine Kindheit unter großen Entbehrungen.
In der Zeit der deutschen Belagerung von Leningrad während des Zweiten Weltkrieges vom September 1941 bis zum Januar 1944 litt er Hunger und bitterste Not. Die Blockade kostete ungefähr eine Million Todesopfer unter Leningrads Bevölkerung.
Viktors einziger Trost in dieser Zeit blieb ihm ein Schachlehrbuch von Dufresne, aus dem er die Partien im Kopf nachspielte.
Ab Ende 1943 gehörte er dem Schachzirkel im Leningrader Pionierpalast an. Dort fand er in Wladimir Sak einen ausgezeichneten Trainer. Eines Tages spielte Viktor gegen eine Gruppe jüngerer Spieler simultan und blind gegen den um sechs Jahre jüngeren Boris Spasski, der gerade in den Schachzirkel aufgenommen worden war. Als Viktor ihn matt gesetzt hatte, weinte Boris bitterlich und wollte für immer mit dem Schach aufhören. Aber es kam anders. Zwischen Viktor und Boris bestand zeitlebens eine starke Rivalität.
Nach Kriegsende erlangte Viktor bald Meisterstärke. 1947 und 1948 wurde er Jugendmeister der UdSSR. 1951 erhielt er den sowjetischen Titel „Meister des Sports“, ein Jahr später qualifizierte er sich erstmals für die UdSSR-Meisterschaft.
Kortschnoi studierte Geschichte, entschied sich jedoch Schachprofi zu werden. Schach genoss in der sowjetischen Gesellschaft hohes Ansehen und wurde sehr gefördert.
1954 bekam er vom Weltschachbund FIDE den Titel des Internationalen Meisters verliehen, zwei Jahre später folgte der Titel des Internationalen Großmeisters.
Seinen ersten größeren Erfolg erreichte Kortschnoi 1962 beim Zonenturnier in Moskau, wo er sich für das Interzonenturnier in Stockholm qualifizieren konnte, nachdem er beim ersten Anlauf vier Jahre zuvor noch gescheitert war. In der schwedischen Landeshauptstadt belegte er schließlich den vierten Rang, was ihm einen Startplatz beim Kandidatenturnier in Curacao – dem Ausscheidungswettkampf für die Weltmeisterschaft – bescherte. Dort erreichte Kortschnoi beim Sieg des späteren Weltmeisters und Landsmannes Tigran Petrosjan den fünften Platz.
Nachdem er die Teilnahme am nächsten Interzonenturnier 1964 in Amsterdam und damit vorzeitig die mögliche WM-Ausscheidung für 1966 verpasst hatte, qualifizierte sich Kortschnoi 1967 in Tiflis für das Interzonenturnier in Sousse. In der tunesischen Hafenstadt machte er mit Rang zwei seine Teilnahme am Kandidatenturnier 1968 perfekt, bei dem er bis in das Finale vordrang.
Dort scheiterte er an dem unterlegenen WM-Herausforderer von 1966, Boris Spasski, der sich anschließend gegen Weltmeister Petrosjan erfolgreich revanchieren sollte.
Durch seinen Finaleinzug drei Jahre zuvor war Kortschnoi für das anschließende Kandidatenturnier 1971 gesetzt, musste aber diesmal bereits im Halbfinale gegen den entthronten Weltmeister Petrosjan die Segel streichen.
1973 gewann Kortschnoi das Interzonenturnier in Leningrad nach Wertung vor seinem punktgleichen Landsmann Anatoli Karpow. Beim Kandidatenturnier im Jahr darauf standen sich beide Spieler im Finale erneut gegenüber.
Diesmal musste sich Kortschnoi seinem 20 Jahre jüngeren Kontrahenten mit 11,5:12,5 geschlagen geben. Karpow wurde1975 kampflos zum Weltmeister erklärt.
Kortschnoi gewann viermal den Titel des UdSSR-Meisters (1960, 1962, 1964, 1970). Insgesamt sechsmal war er mit der sowjetischen Mannschaft der UdSSR bei Schacholympiaden(1960, 1966, 1968, 1970, 1972 und 1974) siegreich.
1976 kehrte er aus politischen Gründen vom IBM-Turnier in Holland nicht in die Heimat zurück. Viktor Kortschnoi wurde daraufhin in der Sowjetunion zum Staatsfeind erklärt.
Als gesetzter Teilnehmer bei der folgenden WM-Ausscheidung 1977 bekam Kortschnoi nach Siegen über Petrosjan, Lew Polugajewski und Spasski (alle UdSSR) erstmals die Gelegenheit geboten, im Finale um die Weltmeisterschaft zu spielen.
Und so wurde 1978 das WM-Match in Baguio City (Philippinen) zwischen dem „linientreuen“ Karpow und dem „Verräter“ Kortschnoi für die Sowjetunion zu einem Politikum.
Unter diesen widrigen Umständen gelang es dem staatenlosen Kortschnoi am Ende nicht, den WM-Titel zu erringen. Er unterlag in der 32. Partie und damit das spannende Finale äußerst knapp nach 5:6 Siegen.
Nach Siegen in den Kandidatenmatches gegen Petrosjan, Polugajewski und Hübner erreichte Viktor Kortschnoi erneut das WM-Finale. In Meran scheiterte er 1981 erneut an Karpow nach 2:6 Gewinnpartien.
Auch für das nächste Kandidatenturnier 1983 war Kortschnoi gesetzt. Als er im August 1983 im Halbfinale gegen Garri Kasparow (UdSSR) antreten sollte, kam es zum Streit zwischen dem Weltschachbund FIDE und der sowjetischen Schachföderation über den geplanten Austragungsort Pasadena in den USA. Die FIDE sprach Kortschnoi einen kampflosen Sieg zu, den dieser nicht annehmen wollte. Schließlich kam der Wettkampf nach dreimonatiger Verzögerung in London zustande, Kortschnoi unterlag dem späteren Weltmeister Kasparow mit eins zu vier Siegen.
Nachdem Kortschnoi das Staatsbürgerrecht der Schweiz erhielt, nahm er für sein neues Heimatland an 11 Schacholympiaden teil. 2006 gewann er die Seniorenweltmeisterschaft.
Sein kompromissloser Stil brachte Kortschnoi den Spitznamen Viktor der Schreckliche ein. Er gehörte über 50 Jahre lang der Weltspitze an. Seine Erfolge bis in hohe Alter sind einzigartig. Viktor spielte jede Partie kompromisslos auf Gewinn, entwickelte dabei eine unglaubliche Kampfkraft und Stärke. Sein Spielstil erinnerte dabei häufig an Emanuel Lasker.
Die höchste je erreichte Historische Elozahl von Kortschnoi betrug 2825. Laut dem US-amerikanischen Mathematiker Jeff Sonas besaß er zwischen September und Dezember 1965 die höchste Historische Elo-Zahl aller zu diesem Zeitpunkt aktiven Schachspieler.
Seine bestgelistete Historische Elo-Zahl betrug 2814, womit er 1978 zweitbester aktiver Spieler hinter Weltmeister Karpow war. Vom gewonnenen Interzonenturnier 1973 in Leningrad stammte Kortschnois höchste je erreichte Historische Elo-Zahl mit 2825.
Aufgrund seiner ungewöhnlich langen aktiven Karriere hielt Kortschnoi mit fast 5000 dokumentierten Partien den Rekord für die meisten gespielten Schachpartien.
Fast 50 Jahre kämpfte er auf Schacholympiaden, wohl ein weiterer weltweiter Rekord. Er nahm seit 1960 an 17 Schacholympiaden teil. Neben den sechs Goldmedaillen für die UdSSR erhielt er viermal Gold für sein bestes Brettergebnis, zuletzt 1978 am ersten Brett der Schweizer Mannschaft.
Kein anderer Spieler hat mehr Turniere gewonnen als er. Viktor Kortschnoi war mit seinem Kampfgeist und Siegeswillen für viele Schachfreunde in aller Welt ein leuchtendes Vorbild. Der „Meister des Gegenangriffs“ hat der Schachwelt eine Fülle von Glanzpartien geschenkt. Sein Buch „Mein Leben für das Schach“ trägt einen programmatischen Titel.
Viktor Kortschnoi war ein leuchtendes Beispiel für die vitalisierende Wirkung des Schachspiels auf den Erhalt der geistigen Fähigkeiten des Menschen in hohem Alter. Mochte auch der Körper gebrechlich werden, der Geist blieb jung durch Schach.
Viktor hat uns vorgelebt, welchen Wert Schach von der Kindheit bis ins Alter besitzt. Und Viktor bewies bis ins hohe Alter am Schachbrett sein Können.
Seit 1977 war Petra Kortschnoi die Frau an Viktors Seite. Als junge Frau, die ihr Studium an der Leipziger Universität vor sich hatte, wurde sie verhaftet und in die Sowjetunion verschleppt. Ein ganzes Jahrzehnt verbrachte sie im GULAG unter unsäglichen Arbeits- und Lebensbedingungen. In der Zeit der Trostlosigkeit spendete Petra das Schachspiel Trost und Freude. Sie erhielt eine Urkunde bei der Lagermeisterschaft im Schach.
Dieses Dokument zeigte sie Viktor Kortschnoi, als er der Sowjetunion den Rücken gekehrt hatte und im Westen ein neues Leben aufbauen wollte. Petra wurde die Frau an Viktors Seite. Seit knapp 40 Jahren begleitet sie ihn, wie ehemals Martha Lasker ihren Mann Emanuel, zu allen Turnieren und Schachveranstaltungen. Sie war immer für ihn da. Die letzten Jahre lebten beide in einer Seniorenresidenz in Wohlen (Schweiz).
Viktor und Petra Kortschnoi nahmen im Januar 2001 an der Internationalen Lasker Konferenz in Potsdam teil und wurden Gründungsmitglieder der Emanuel Lasker Gesellschaft.
Im November 2001 gab er eine Simultanvorstellung im Casino Berlin in der 37. Etage des Forum Hotel am Alexanderplatz. In den folgenden Jahren waren sie immer wieder zu Gast bei Veranstaltungen der Lasker Gesellschaft. Mehrmals gab Viktor Simultanvorstellungen, siegte beim Lasker Masters und stand als Gesprächspartner zur Verfügung.
2009 wurden Petra und Viktor Kortschnoi von der Emanuel Lasker Gesellschaft für ihre herausragenden Verdienste zum Wohle des Schachs zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Bei der Buchpremiere der Monografie "Emanuel Lasker - Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister" am 20. November 2009 in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel signierte Viktor Kortschnoi das umfangreiche Buch, an dem er mitgewirkt hatte.
Unvergesslich für uns bleibt der 2012 von der Emanuel Lasker Gesellschaft organisierte Besuch in Berlin. Im Berliner Hauptbahnhof gab Viktor Kortschnoi eine Simultanvorstellung.
Ich selbst und meine Frau haben sich in den letzten vier Jahren um unsere Ehrenmitglieder Viktor und Petra Kortschnoi gekümmert. Wir besuchten beide regelmäßig in Wohlen. Noch im Jahr 2013 waren wir gemeinsam in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg.
Auf meine Initiative kamen zwei legendäre Wettkämpfe zustande.
Wer kann schon die beiden Duelle zwischen Viktor Kortschnoi und Wolfgang Uhlmann vergessen, die 2014 in Leipzig und 2015 in Zürich noch stattfanden.
Das zahlreich versammelte Publikum staunte nicht schlecht über den Kampfgeist der beiden Rivalen. Gebannt verfolgten die Schachfreunde die Partien am Demobrett.
In Leipzig dominierte Viktor Kortschnoi, in Zürich gab es einen unentschiedenen Ausgang des Matches.
Die beiden Wettkämpfe waren eine Werbung für Schach. Wer Schach spielt, trainiert seinen Geist und kann bis ins hohe Alter klaren Verstand behalten.
Viktor und Petra Kortschnoi verfolgten Jahr für Jahr das hochkarätige Züricher Schachturnier "Zurich Chess Challenge". Hier gab es immer wieder ein Stelldichein der Supergroßmeister. Und dies wollte sich Viktor nicht entgehen lassen. Er verfolgte die Partien sehr aufmerksam.
Und hier noch eine Glanzpartie von Viktor Kortschnoi gegen den Weltklassespieler Bent Larsen.
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Viktor, wir werden, ich werde dich sehr vermissen.
(inhaltlich zusammengestellt von Paul Werner Wagner Vorsitzender der Emanuel Lasker Gesellschaft)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21049