4. November 2025
Nächster Halt: Lehrte. Am Sonntag, 23. November, findet von 10.30 Uhr bis 17.30 Uhr die zweite Regionalkonferenz zum gemeinsamen Projekt von DSB und DSJ statt, um mehr Mädchen und Frauen für den Schachsport zu gewinnen. Im Mittelpunkt stehen Themen wie die Mitgliederstatistik, die Auswertung der Fragebögen und Präsentation der Erkenntnisse – und welche Angebote die Verbände im Mädchen- und Frauenschach schaffen könnten. Ziel ist es, strukturelle und kulturelle Hindernisse zu identifizieren - und konkrete Maßnahmen zu entwickeln, um mehr Mädchen und Frauen für das Schachspiel zu begeistern und nachhaltig zu binden. Wie der aktuelle Stand bei dem Projekt ist, dazu hat Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit mit Jannik Kiesel gesprochen, dem Vizepräsidenten Verbandsentwicklung und Projektmitglied des DSB-DSJ-Projektes.
Jannik, das gemeinsame Projekt von DSB und DSJ zur Förderung des Mädchen- und Frauenschachs ist weiter in vollem Gange Die erste Regionalkonferenz fand bereits im September in Stuttgart statt. Wie hast Du als Mitorganisator diesen Auftakt empfunden?
Ich würde den Auftakt als sehr gelungenen, ja sogar starken Impuls bezeichnen. Beim SV Stuttgart Wolfbusch kamen engagierte Teilnehmende aus Vereinen und Verbänden zusammen, um mit einem Teil unseres Projektteams – Kristin Wodzinski, Tatjana Gallina und mir – die zentralen Fragen zu diskutieren. Die Atmosphäre war offen, der Austausch intensiv. Wir haben sofort gemerkt: Das Interesse und der Bedarf sind riesig. Die Konferenz in Stuttgart hat den Grundstein für die weitere Projektarbeit gelegt.
Wie fruchtbar war der Austausch mit Blick auf konkrete Strategien für die Basis?
Er war äußerst produktiv. Die Diskussionen waren lebendig und basierten auf den Ergebnissen unserer statistischen Auswertung der Mitgliederzahlen und umfangreichen Online-Befragung. Wir haben offengelegt, welche Hürden es gibt – von Leistungsdruck und fehlenden Gleichaltrigen bis hin zu zeitlichen Belastungen und männlich geprägten Vereinsstrukturen. Gleichzeitig haben wir über Formate gesprochen, die Spielerinnen langfristig motivieren können, etwa Mannschaftsturniere mit Rahmenprogramm oder geschützte Mädchentrainings. Die wichtigste Erkenntnis, auf die sich alle einigten, war: Es gibt nicht die eine große Lösung, sondern nur ein Bündel an vielen kleinen Maßnahmen, die im Zusammenspiel wirken.
Geplant sind ja weitere Konferenzen. Eine geplante Konferenz musste verschoben werden. Nährt das Zweifel, ob die Wichtigkeit des Themas von allen Beteiligten und Betroffenen erkannt worden ist?
Die Verschiebung des Termins war bedauerlich, wir hatten leider zu wenige Anmeldungen für die Regionalkonferenz. Wir haben gelernt, dass wir noch viel stärker in der Region werben müssen und die Verbände und Vereine vor Ort miteinbeziehen müssen. Die positiven Rückmeldungen aus Stuttgart haben unseren Ansatz bestätigt. Wir sehen einen klaren Bedarf an Austausch und Kooperation. Unser Fokus liegt nun voll und ganz auf der Durchführung der verbleibenden Regionalkonferenzen, wofür der Fahrplan steht - mit der Konferenz Nord in Lehrte in Niedersachsen am 23. November geht es weiter.
Ihr wollt das Thema Frauen- und Mädchenschach vor allem über Erhebungen und auch persönliche Interviews voranbringen. Was sind da Eure bisherigen Erkenntnisse? Zuerst: Wie sehen die nackten Zahlen aus?
Die detaillierten Zahlen werden wir den Teilnehmern in Lehrte in einer Präsentation zur Mitgliederstatistik vorstellen. Grob gesagt zeigen die Auswertungen der Online-Befragung und der DSB-Statistik, dass der Anteil weiblicher Mitglieder im deutschen Schach weiterhin besorgniserregend gering ist. Der Anteil an weiblichen Mitgliedern in Schachvereinen in Deutschland liegt bei gerade einmal zehn Prozent, bei U20-Mitgliedern aber immerhin bei 16 Prozent. Dramatisch ist der „Drop-out“: Ab dem Alter von elf bis 12 Jahren verlieren wir die meisten Spielerinnen und Spieler. Die Mädchen hören tendenziell ein bis zwei Jahre früher mit Schach auf als die Jungs. Auch bemerkenswert: Im Bereich des Renteneintrittsalters erhalten wir einen starken Zuwachs von männlichen Schachspielern, bei weiblichen Schachspielerinnen bleibt dieser Trend leider aus.
Was sagen Euch diese Zahlen? In erster Linie ja vermutlich, dass die Kernaufgabe ist, Mädchen im Verein halten zu können?
Absolut. Die Bindung ist unsere größte Baustelle. Die Zahlen legen offen, dass wir es schaffen, Mädchen über Schulschachprojekte oder erste Vereinserfahrungen zu gewinnen – wir können sie aber nicht langfristig im organisierten Schach halten. Es entsteht ein Bruch nach dem Jugendalter. Wenn wir den Schachsport langfristig weiblicher machen wollen, müssen wir diese Lücke dringend schließen.
Derzeit kommen ja offensichtlich zu wenige Mädchen im Erwachsenenbereich an. Woran liegt das Deiner Meinung nach?
Neben den bereits diskutierten Faktoren wie Leistungsdruck und der Konkurrenz durch andere Hobbys sehen wir zwei strukturelle Probleme. Erstens: Mangelnde weibliche Vorbilder in Trainer-, Funktionärs- und oft auch Spielerrollen. Und zweitens: Männlich geprägte Vereinsstrukturen, die in vielen Fällen keine einladende oder geschützte Atmosphäre für Mädchen und junge Frauen bieten. Zudem fehlen oft gezielte Einstiegsangebote für erwachsene Frauen und Seniorinnen, die das Schachspiel erst später für sich entdecken.
Welche Daten habt ihr erhoben und ausgewertet – und welche Schlüsse zieht Ihr daraus?
Wir haben durch Online-Fragebögen eine Vielzahl an tiefgehenden Antworten von Spielerinnen, Eltern, Ehrenamtlichen und Referentinnen erhalten. Die qualitativen Ergebnisse bestätigen die quantitativen Zahlen eindrücklich. Viele Mädchen und Frauen berichten, dass nicht nur die sportliche Herausforderung, sondern vor allem die Vereinskultur und das Gefühl der Zugehörigkeit über den Verbleib entscheiden. Sie liefern uns wertvolle Impulse, wie man das Training und die Vereinsarbeit so gestalten kann, dass sie integrativer und attraktiver sind.
Was erwartet nun die Teilnehmer und Teilnehmerinnen bei der nächsten Regionalkonferenz am 23. November in Lehrte?
Wir freuen uns sehr auf die Tagung im Haus der Vereine in Lehrte. Im Mittelpunkt stehen die Auswertung der Fragebögen und der daraus gewonnenen Erkenntnisse sowie einen Überblick über die Hindernisse und Erfolgsfaktoren für Mädchen- und Frauenschach. Der wichtigste Block wird die Diskussion der Ergebnisse sein. Wir wollen die Erfahrungen der Teilnehmenden kennenlernen und mit ihnen konkrete Vorschläge erarbeiten, was in der Region sofort umgesetzt werden kann. Es ist ein Mitmach-Workshop, der direkt in die Praxis münden soll. Die Teilnahme ist kostenfrei und Reisekosten werden erstattet.
Für wann ist die Bundeskonferenz geplant? Wann wird es eine endgültige Auswertung geben?
Die Abschlusskonferenz als Bundeskonferenz planen wir für Sommer 2026. Dort werden wir die Ergebnisse aller Regionalkonferenzen zusammenführen und mit allen diskutieren. Die endgültige Auswertung wird unmittelbar danach erfolgen und in einen umfassenden Abschlussbericht mit Maßnahmenkatalog münden, der als konkreter Fahrplan für den DSB und die DSJ dienen wird, um den Schachsport in Deutschland nachhaltig weiblicher zu machen.
Im Sport heißt es immer wieder: Mitgliedergewinnung läuft viel über Vorbilder. Könnte die in Batumi erreichte EM-Bronzemedaille für die deutschen Frauen dazu beitragen, dass es auch im deutschen Schach so laufen kann?
Unbedingt! Jede Erfolgsgeschichte auf höchster Ebene hat einen Leuchtturm-Effekt und ist eine unbezahlbare PR-Maßnahme. Der Erfolg der Frauen-Nationalmannschaft ist ein immens wichtiges Signal: Er beweist, dass Frauen im Schach Außergewöhnliches leisten können, und motiviert Mädchen, diesen Weg selbst einzuschlagen. Wir müssen solche Erfolge nutzen, um unsere Arbeit zu bewerben und Mädchen zu zeigen: Im Schach gibt es große Vorbilder, und es gibt einen Platz für Dich im Verein und an der Spitze.
// Archiv: DSB-Nachrichten - Frauenschach // ID 36830