von Frank Hoppe
Jan Gustafsson wurde am 25. Juni 1979 in Hamburg geboren. Er ist ein waschechter Hamburger, auch wenn sein schwedisch klingender Name auf eine andere Herkunft schließen läßt. Mit Unterbrechungen ist die norddeutsche Millionenstadt sein Lebensmittelpunkt.
Das Schachspiel erlernte er im Alter von 10 Jahren. Sein erster Verein war 1990 der Hamburger SK, bei dem er auch heute noch spielt.
Schnell konnte Jan erste Erfolge feiern. 1992 gewann er mit dem Hamburger SK die Deutsche Jugend-Mannschaftsmeisterschaft U13, 1994 wurde er Deutscher Meister in der Altersklasse U15 und hatte seine DWZ schon sicher über 2000 etabliert. 1996 kam er zu seinen ersten Einsätzen in der 2. Bundesliga. Seine inzwischen rasant gestiegene Spielstärke (DWZ > 2300) bestätigte Jan im gleichen Jahr mit dem Gewinn der Deutschen U17-Meisterschaft in Pinneberg. Mit dem Hamburger SK räumte er auch die U20-Meisterschaft ab.
1996/97 kam er zu seinen ersten beiden Einsätzen in der 1. Bundesliga - und die waren mit 1½ Punkten ganz erfolgreich. Als ihm 1999 bereits kurzzeitig der Sprung über DWZ 2400 gelang und er die FIDE-Elozahl durch zahlreiche gute Turniere über diese magische Grenze gedrückt hatte, verlieh ihm die FIDE den Titel "Internationaler Meister". 2002 gelang ihm der Sprung über DWZ/Elo 2500, 2003 wurde er Großmeister.
2002 wurde er anläßlich eines Freundschaftskampfes gegen Griechenland erstmals in die deutsche Nationalmannschaft berufen. 2004 vertrat er Deutschland in Calvià und 2006 in Turin bei der Schacholympiade. Jan Gustafsson gehört zu den stärksten deutschen Schachspielern und wurde 2004 und 2005 deutscher Vizemeister.
Jan Gustafsson ist ein sehr starker Blitzspieler und wurde 2001 Deutscher Blitz-Einzelmeister. In den Meisterschaften der norddeutschen Landesverbände liefert er sich regelmäßig heiße Duelle mit den besten Berliner Blitzspielern GM Robert Rabiega und GM Mladen Muse.
Im November 2002 führte das Hamburger Abendblatt ein interessantes Interview mit ihm (sh. Quellen). 23jährig lebte er noch bei seiner Mutter und stand selten vor Mittag auf. Sein Lebensstil paßte sich dem Schach an, da die meisten Turnierpartien erst am späten Nachmittag oder Abend gespielt werden.
Sein größtes Manko ist die fehlende Disziplin, wie er selbst immer wieder betont. Das führte sogar schon dazu, das sein strenger Trainer Lubomir Ftacnik irgendwann das Handtuch warf und Jan wieder allein dastand.
Zwei Jahre wollte Jan noch versuchen in die Weltspitze vorzustoßen. Sollte das nicht gelingen, wollte er sich wieder dem Jurastudium widmen. Bis dahin meint er spöttisch, "kultiviere er die Rechtswissenschaften nur am Fernseher bei den Gerichtsshows. Das aber bilde ungemein."
Aus dem Jurastudium ist bekanntlich nichts geworden. Stattdessen wurde Poker seine zweite Leidenschaft. Im Schach gelang "nur" der Sprung in die erweiterte Weltspitze. Ob seine Maxime "Nach unten treten, nach oben buckeln" (sprich: die Schwächeren besiegen, bei den Stärkeren um Remis winseln) immer noch gilt?
Im Juli 2008 gelang es ihm, im Superturnier von Dortmund mit 4 aus 7 den geteilten 2. Platz zu belegen und ließ dabei den ehemaligen Schachweltmeister Wladimir Kramnik hinter sich.
Gustafsson selbst hält sich für ein "schlampiges Genie" und meint, das "in Deutschland ein bißchen Talent und Arbeit reicht, um im Schach ganz nach oben zu kommen". Aus seiner Sicht mag das sicher stimmen. Ihm scheint die Schachgöttin alles gegeben zu haben, um erfolgreich zu werden. Bei vielen anderen Tausenden Spielern reicht ein bißchen Talent und Arbeit nicht aus. Die müssen dafür malochen, um wenigstens mal über 2100 zu kommen.
Jan Gustafsson ist praktisch alles zugeflogen. Trotzdem hält er Schach wahrscheinlich für ein schweres Spiel - jedenfalls gegenüber Poker. 2007 hat er ein Lehrbuch über das umstrittene Kartenspiel geschrieben. An ein Schach-Lehrbuch traut er sich nicht heran: "Zuviel Arbeit".
Etwa 2004 erfaßte das von den Medien angeheizte Pokerfieber auch die Schachwelt. Jan Gustafsson traf New Yorker Freunde die ihn aufklärten, das Poker "weit mehr ist als Glück, Bluffen und Pokerface und tatsächlich ähnlich komplex ist wie das Schachspiel." Fortan war Poker seine zweite Leidenschaft und Jan Gustafsson war neben Großmeister-Kollege Matthias Wahls einer der Vorreiter, die Pokern "salonfähig" zu machen versuchten. Monatelang erschienen in der Zeitschrift SCHACH ganzseitige Poker-Anzeigen!
Auf www.pokerolymp.de (sh. Quellen unten) wurde im Mai 2007 ein Interview mit Jan Gustafsson veröffentlicht, das sehr interessante Aussagen zum Vergleich Schach/Poker enthält. Hier ein paar Kostproben:
2007 wählte das Hamburger Abendblatt seine Sportler des Jahres. Dazu durften die Leser Vorschläge machen aus denen eine Jury zehn Sportler auswählte, die in die Endausscheidung kamen. Unter den Jurymitgliedern war wohl kein Anhänger Caissas, dafür viele Fussball-, Handball-, Hockey- und Eishockeyfans. Jan Gustafsson schaffte es trotz zahlreicher Namensnennungen nicht in die engere Auswahl und mußte zweit- und drittklassigen Fussballern den Vortritt lassen. Als ihn das Hamburger Abendblatt kurz vor Ende der ersten Wahlphase interviewte und auf seine Beliebtheit aufmerksam machte, meinte er dazu lakonisch "Sind meine Mails also angekommen"...
Von Jan Gustafsson erhielt ich am 23. September 2008 eine Email, die ich nachfolgend wiedergeben möchte:
Hallo Herr Hoppe,
mit Interesse habe ich eben das Portrait gelesen, dass Sie über mich auf schachbund.de verfasst haben.
Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich meinem faulen Ruf alle Ehre gemacht habe und es mal wieder vergessen hab, rechtzeitig auf den zugeschickten Fragebogen zu antworten.
Daher kann ich natürlich verstehen, dass Sie aus älteren Quellen geschöpft haben und ich finde das Portät auch gut gelungen. Ein paar Korrekturen kann ich mir aber dennoch nicht verkneifen:
Soll alles keine Beschwerde sein, wollte das nur kurz loswerden.
Viele Grüße
Jan Gustafsson
Frank Hoppe,
Jahrgang 1964, ist seit dem 1. Januar 2007 für die Internetpräsenz des Deutschen Schachbundes technisch verantwortlich. Er war außerdem von 2003 bis 2009 Referent der Wertungsdatenbank des DSB und von 1996 bis 2010 DWZ-Referent des Berliner Schachverbandes. Zudem betreut er seit 1996 die Webseiten des Berliner Verbandes.