Der Bildungswert des Schach - eine vergleichende Untersuchung

von Herbert Zapf

In einer Zeit, die von Schnellebigkeit, Konsumdenken, Fremdbestimmung und durch ein hohes Maß an äußerer Ablenkung geprägt ist, wächst die Bedeutung von ausgleichender zur Besinnung und Selbstbesinnung führender Tätigkeit.

In dieser Hinsicht bietet das Schachspiel vielfältige Möglichkeiten. Abgesehen von den positiven Auswirkungen auf das menschliche Denken, beinhaltet es eine Fülle von persönlichkeitsbildenden Aspekten.

Künstlerische, wissenschaftliche und sportliche Anteile lassen sich im Schach wiederfinden, individuell-erzieherische Momente kommen in gleichem Maße zum Tragen wie gesellschaftlich-soziale.

Deshalb kann das Schachspiel einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung des allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrages unserer Schulen leisten.

Dass dieses Spiel die gesamte Persönlichkeit ausbildet, hat schon Willi Weyer, der langjährige Präsident des Deutschen Sportbundes, in seiner bekannten Rede in Bad Lauterberg 1977 ausgeführt.

Um nicht auf einer zu allgemeinen Ebene stehenzubleiben, sind nunmehr jedoch die oben genannten Bereiche näher zu beschreiben und zu konkretisieren:

So fördert Schach im Bereich des Denkens vor allem die Konzentrationsfähigkeit und das folgerichtige logische Denken, ferner werden Urteilsvermögen, allgemeine Analysefähigkeiten und das räumliche und auch das abstrakte Denken stark verbessert. Darüber hinaus spielen in diesem Zusammenhang die Voraussicht und damit die Fähigkeit zur Vorausplanung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Am wichtigsten jedoch und von fast unschätzbarem Wert ist das durch ständiges Anwenden und Üben sich herausbildende Phänomen der Entwicklung eigener Problemlösestrategien.

Diese Fähigkeit ist übertragbar auf andere Wissensgebiete, was nicht nur –aber sich gerade- in der Schule von großer Bedeutung ist.

Eine derartige Schulung für Gedächtnis und Intellekt ist in so konzentrierter Form vor allem durch das Schach möglich.

Künstlerische, wissenschaftliche und sportliche Anteile lassen sich im Schach wiederfinden, individuell-erzieherische Momente kommen in gleichem Maße zum Tragen wie gesellschaftlich-soziale

Zwischen den reinen Denkabläufen und der emotionalen Ebene eines Menschen bestehen bekanntlich enge Zusammenhänge.

Schachspezifisch sind hier wohl einzuordnen: die starke Verbesserung des intuitiven Erfassens komplexer Zusammenhänge und die Entwicklung von Willensstärke, Ausdauer und Disziplin.

Wie fließend die Übergänge sind und welche Nähe zu charakterbildenden und persönlichkeitsfördernden Faktoren vorhanden ist, wird an folgenden Punkten sichtbar:

Zielstrebigkeit und Entschlusskraft, Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik in einem klar sachbezogenen Rahmen, erhöhte geistige Belastbarkeit, Verbesserung von Selbstbewußtsein und realistischer Selbsteinschätzung, Ausbildung von Kreativität, Phantasie und Spielfähigkeit, Förderung der Wahrnehmung ästhetischer und künstlerischer Phänomene auch außerhalb des Schachspiels.

Neben allen diesen individuell-psychologischen Faktoren sollte der soziale Aspekt des Schachspiels nicht vergessen werden.

Man braucht einen Spielpartner, den man nicht nur als Gegner zum Messen der eigenen Kräfte zu betrachten lern. Nicht selten sind schon Freundschaften durch gemeinsames Schachspielen entstanden. Schach-Arbeitsgemeinschaften an Schulen setzen sich häufig aus Schülern unterschiedlicher Altersstufen zusammen, wobei das fürsorgliche Betreuen jüngerer und schwächerer Spieler durch älter und schachlich fortgeschrittene Mitschüler ein oft zu beobachtendes Verhalten ist.

Urteilsvermögen, allgemeine Analysefähigkeit und das räumliche und auch das abstrakte Denken stark verbessert. Entwicklung eigener Problemlösestrategien

Außerdem sollte der sportliche Charakter des Schachspiels einmal ganz klar betont werden.

Schach ist inzwischen in allen Bundesländern von den Landessportbünden als Sportart anerkannt.

In Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden Württemberg und Berlin werden die Schulschachwettbewerbe von den Kultusministerien durchgeführt bzw. finanziell unterstützt.

In NRW und Hamburg z. B. ist Schach als gleichwertige Disziplin neben anderen Sportarten seit 1986 in das Programm "Landessportfest der Schulen"/"Sportprogramm der Hamburger Schulen" aufgenommen.

Untersuchungen zufolge, die die Wesensmerkmale von Sportarten definieren, erreichte Schach bis auf das Merkmal "körperliche Bewegung" die Höchstpunktzahl.

Das Argument der fehlenden körperlichen Aktivität wird von vielen Kritikern immer wieder ins Feld geführt. Dr. Helmut Pfleger hat durch seine sportmedizinischen Untersuchungen an Schachspielern jedoch diesem Vorurteil den Boden entzogen. In einem mit Gerd Treppner gemeinsam abgefassten Artikel kommt er zu dem Schluss, dass "Schach gesund ist", da es das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden fördere. Auf die interessanten Vergleiche physiologischer Abläufe zwischen Schachspielern und Betreibern von Ausdauersportarten soll hier nicht näher eingegangen werden. Sie sprechen insgesamt keinesfalls gegen das Schach.

die starke Verbesserung des intuitiven Erfassens komplexer Zusammenhänge und die Entwicklung von Willensstärke, Ausdauer und Disziplin

Im weiteren Verlauf des Artikels werden dem Schach sogar therapeutische Wirkungen "bei psychischen und sozialen Störungen" zugesprochen.

Abgesehen davon weiß heute jeder gute Schachspieler um die Bedeutung des Ausgleichssports. Dafür sprechen nicht nur die Trainingsprogramme bekannter Spieler, sondern auch die Aufnahme dieses Bereiches "Ausgleichssport und Kondition" in die Übungsleiter- und Trainerausbildung der Landesverbände.

Im Schach können Spannungen und Aggressivität spielerisch abgebaut und das Bewußtsein für eine gesunde Lebensführung stark gefördert werden. "Mens sana in corpore sano", eine alte Weisheit, findet im Schach ihre Bestätigung.

Zum Schluss soll ein sehr häufig genannter Aspekt erwähnt werden, der in der heutigen Zeit und in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird: Schach ist eine hervorragende Möglichkeit für eine sinnvolle Freizeitgestaltung.

Es erfordert nur einen geringen finanziellen Aufwand und kann helfen, die anwachsende Freizeit gewinnbringend und kreativ auszufüllen.

Gleichzeitig kann es einen Beitrag liefern für die soziale Integration: Ausländer, Jungen und Mädchen, Alt und Jung, alle können im Schach eine gemeinsame kummunikative Ebene finden.

Im "Fernschach" werden Kontakte über die Ländergrenzen hinaus geknüpft.

Kranken oder körperlich Behinderten bietet das Schachspiel eine hervorragende Möglichkeit, sich aktiv und kreativ zu betätigen.

Schließlich ist Schach als life-long-sport (Sportart für das ganze Leben) eine interessante Betätigung.

Sicher wird es auch immer Kritiker geben, die dem Schach weniger positiv gegenüberstehen. Auch sollte man "seinen (eigenen) Hut" (Brecht) nicht zu sehr "loben".

Nach all den angeführten Beispielen sollte jedoch deutlich geworden sein, dass Schach im persönlich-individuellen und im gesellschaftlich-sozialen Bereich eine wichtige Aufgabe erfüllen kann.

Schach können Spannungen und Aggressivität spielerisch abgebaut und das Bewußtsein für eine gesunde Lebensführung stark gefördert werden. "Mens sana in corpore sano"

Diesen Gedanken brachte auch Bundespräsident Richard von Weizäcker zum Ausdruck, als er am 24.02.1988 anlässlich des größten Schulschachturniers in Deutschland "Linkes gegen rechtes Alsterufer" im Hamburg sagte: "Ich bin schon oft im Congress-Centrum in Hamburg gewesen – habe natürlich großen Respekt vor allem, was hier geschieht – aber etwas so Sinnvolles wie dieses Schachturnier hier habe ich noch nie erlebt".

Das Schachspiel intensiver und fester gerade im schulischen Bereich zu verankern, ist ein Ziel, das verstärkt angestrebt und von allen Seiten unterstützt werden sollte.

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Herbert Zapf (Lehrwart/Schachbund NRW)