Bei der Senioren-WM auf der portugiesischen Atlantikinsel Porto Santo („Heiliger Hafen“), rund 40 Kilometer von Madeira entfernt, holten WIM Brigitte Burchardt und GM Rainer Knaak in der Altersgruppe Ü65 jeweils die Goldmedaille. Ein unerwarteter Doppelerfolg, auf den die DSB-Senioren lange gewartet hatten. Brigitte Burchardt hat sich mit ihrem WM-Erfolg auch den Großmeister-Titel der Frauen erspielt. Für unseren Newsletter haben wir den beiden frischgebackenen Weltmeistern jeweils drei Fragen gestellt.
Wie hoch ist der Titelgewinn von Porto Santo einzuschätzen?
Brigitte Burchardt:
Ein Traum ist in Erfüllung gegangen! Es gibt nicht Höheres als diesen Titel für mich. Was sollte sonst noch kommen? Dieser Titel das Höchste, was ich schachlich jemals erreichen konnte. Es war immer ein Traum, der irgendwo im Hinterkopf war, der aber um so unrealistischer wurde, je älter man wird. Umso mehr hat es mich überrascht, dass ich nach dem kräftezehrenden Sieg bei der Europameisterschaft immer noch genügend Kräfte für das WM-Turnier mobilisieren konnte.
Rainer Knaak:
Für mich persönlich steht er weit oben. Aus zwei Gründen. Da ist die sportpolitische Komponente, dass in der DDR bereits 1973 nichtolympischen Sportarten wie Schach der Leistungsauftrag entzogen wurde, was für Sportler wie mich bedeutete: Ich war weg von der großen Bühne, konnte mein Können nur noch lokal zeigen, Im Ostblock. Keine internationalen Meisterschaften wie die Olympiade, keine Titel. Jetzt habe ich einen Titel. Das freut mich. Aber hinzu kommt ja auch: Ab einem gewissen Alter, vor allem bei der Ü65, bekommst Du nicht mehr so viele Chancen, Weltmeister zu werden. Zwei, drei Anläufe hast Du vielleicht – dann wirst Du immer älter, während jedes Jahr immer mehr noch sehr starke 65-Jährige nachrücken. Ich habe Glück, dass ich kaum abgebaut habe bisher – aber in dieser Altersklasse sind zwei, drei Jahre oft schon ein gewaltiger Unterschied, was die Leistungsstärke angeht. So ist der Titel mit 71 Jahren auch unter diesem Aspekt schon bedeutsam für mich.
Wie bereitet man sich auf eine WM vor?
Brigitte Burchardt:
Für die WM hatte ich eigentlich gar keine Zeit zur Vorbereitung. Ich kam ja gerade ziemlich erschöpft von der Europameisterschaft mit einer Erkältung aus Italien zurück, habe erst mal ein paar Tage flach gelegen und musste mich um die Wäsche kümmern und organisatorische Sachen wegen der Anreise nach Portugal klären. Dann habe ich versucht, Kraft zu schöpfen um so gesund wie möglich nach Porto Santo zu kommen.Wir sind alle sehr unterschiedlich angereist, manche sogar mit einem Kleinflugzeug. Ich bin nach Madeira geflogen und habe dann im Hotel eingecheckt und habe mich erst mal vom Flug erholt. Am nächsten Tag bin ich dann ganz entspannt mit der Fähre zweieinhalb Stunden angereist, was ganz schön geschaukelt hat. Dann war ich zeitig auf der Insel und konnte in aller Ruhe ankommen. So habe ich auch den menschenleeren, breiten Sandstrand etwas genossen, so viele Wärme und Ruhe. Wer Ruhe nicht leiden kann, der ist auf Porto Santo definitiv falsch. Auf dem Rückweg bin ich dann nach Madeira geflogen und habe dort noch drei Tage Zwischenstopp gemacht, um alle intensiven Eindrücke erst mal sacken zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich das schon abschließend geschafft habe.
Rainer Knaak:
Akribisch. Ich habe ein bisschen auf diesen Titel hingearbeitet, nachdem es zuletzt bei zwei Weltmeisterschaften – mit Platz sieben und vier – nicht geklappt hat. Zuhause mit meinem täglichen Taktiktraining, aber vor allem habe ich intensiv an meinem Eröffnungsprogramm gefeilt. Ich hatte den Laptop dabei und wusste nach dem Blick in die Datenbank genau, was jeder meiner Gegner am nächsten Tag zuletzt gespielt hat. In unserem Alter kannst Du mit einer guten Eröffnung noch am meisten machen, manche Spiele früh entscheiden – mitten in der Partie ist man nicht mehr so stark wie früher. Unter zwei, drei Stunden Vorbereitung auf so eine Partie läuft bei so einer Senioren-WM für mich nichts. Eine Schach-WM ist kein Urlaub.
Viele Schachspieler sind der Meinung, dass man sich über 50 im Schach nur noch verschlechtert. Was sagen Sie zu dieser Auffassung?
Brigitte Burchardt:
Rainer Knaak hat ja nun bewiesen, dass das so nicht der Fall ist! Wir haben uns beide wirklich sehr füreinander gefreut. Übrigens Rainer und ich waren 1978 beide DDR-Meister, haben früher beide Mathematik studiert und nun sind wir beide gleichzeitig Weltmeister geworden, das verbindet. Und zur Frage zurück: Vielleicht bin ich nicht mehr ganz so konstant. Ich habe schon gemerkt, dass von der Europameisterschaft einige Kraft weggegangen war. Dann habe ich mich entschieden, in Porto Santo all meine Kraft nur fürs Schach einzusetzen und nicht etwa fürs Baden. Manchmal habe ich mich auch nach dem Frühstück noch mal ausgeruht.
So um 1982 war ich auf Platz 14 der Elo-Frauenweltrangliste mit damals 2230 Elo. Inzwischen hat sich so vieles verändert, heute wäre ich mit dieser Zahl weit hinten. Es wirkt sich aber noch heute aus, dass ich mal so weit vorne war. Später habe ich noch die 2295 erreicht, was dann noch etwa Rang 30 war. Und damals war es für mich sehr schwer, den WGM-Titel zu erreichen, den ich nun durch den WM-Sieg doch noch erreicht habe.
Für viele ist so eine Senioren-WM aber auch vor allem ein Wiedersehen mit langjährigen Schach-Weggefährten. Wie ist das bei Ihnen?
Rainer Knaak:
Also wen ich tatsächlich am längsten kenne: Brigitte Burchardt. Ich habe mich für ihren WM-Titel riesig mitgefreut. Wir beiden alten DDR-Sportler ganz oben – das war schon ein schönes Gefühl, das man sich bei manchem gemeinsamen Abendessen gar nicht ausmalen konnte. Aber natürlich sind da einige dabei, mit denen man sich über Jahrzehnte gemessen hat – und nun immer noch. Ich sage immer: Es war eine Altersklassenmeisterschaft in der Jugend – und es ist heute noch eine Altersklassenmeisterschaft bei den Senioren. Leider ist vielen guten Spielern so eine Reise zu beschwerlich. Aber auch in Portugal wurden wieder Schach-Freundschaften gepflegt. Wobei, ich muss Ihnen sagen: Man sitzt abends mit sieben, acht Leuten zusammen, alles ist nett – aber: Am Brett ist das vergessen. Da willst Du nur den Punkt. Da sind wir Senioren nicht weniger ehrgeizig als die jungen Spieler.