DSB-Vizepräsident Professor Jürgen Klüners kommt nicht nur als Internationaler Schiedsrichter bei vielen internationalen schachlichen Großereignissen zum Einsatz, sondern er kämpft als „Fairplay Expert“ der FIDE-Fairplay-Commission auch gegen Betrug beim Schach, zuletzt an prominenter Stelle bei der Schacholympiade. Außerdem war er lange beim DSB zuständig für die Schiedsrichterausbildung und ist Experte für Anti-Cheating. Über seinen Einsatz in Budapest wurde Jürgen Klüners von Veit Godoj befragt:
Die Turnierhalle der Olympiade in Budapest: Es geht zu wie am Flughafen. Sicherheitsschleusen, Metalldetektoren, Untersuchungen unter den Spieltischen, zeitlich begrenzter Zugang für die Zuschauer, insgesamt ein hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen. Warum sind Anti-Cheating-Maßnahmen nötig und welche besonderen Anti-Cheating-Maßnahmen wurden in Budapest getroffen?
Leider hat es in der Vergangenheit Betrugsfälle gegeben. Bei der Schacholympiade 2010 in Chanty-Mansiysk wurde ein Spieler zusammen mit seinem Trainer und einem weiteren Helfer wegen Betruges gesperrt. Man möchte natürlich ähnliche Betrugsfälle verhindern, darum wurden Anti-Cheating-Maßnahmen eingeführt. Und deswegen gab es jetzt in Budapest wie bei den drei Olympiaden zuvor einen Eingangscheck für alle Spieler und Mannschaftsführer, also eine Schleuse wie am Flughafen. Wenn dieser Flughafenscanner ein Signal gab, wurde anschließend mit einem Handscanner genauer untersucht. Schön war, dass wir von einer ungarischen Sicherheitsfirma bei diesen Kontrollen unterstützt worden sind, die die Checks nach unseren Vorgaben durchgeführt hat. Wir haben noch zusätzlich kontrolliert: Wenn zum Beispiel ein Mannschaftsführer ein Buch mit hineinnehmen wollte, haben wir überprüft, dass es sich nicht um ein Schachbuch handelt. Leider kann der Flughafenscanner nicht jede Elektronik erfassen, ein Handy sollte man finden, bei einer SIM-Karte wird es schwieriger.
Dies war jetzt meine vierte Schacholympiade, die erste war 2016 in Baku, da hieß unser Team noch FIDE-Anti-Cheating-Team und es war zum ersten Mal dabei, zirka 20 Leute plus Volunteers. Damals wurde es von Klaus Deventer geleitet, der auch als Schiedsrichter tätig war und der heute Anti-Cheating-Beauftragter des DSB ist. Schon damals gab es Eingangschecks durch eine Sicherheitsfirma und sogar Checks mit Scannern von Spielern während der Partie, wenn sie das Brett mal verlassen hatten. Das hat nicht immer zur Freude bei allen geführt. 2018 in Batumi war es ähnlich. Ab 2022 in Chennai hießen wir dann FIDE-Fairplay-Team.
Das Fairplay-Team der FIDE bestand in Budapest aus 3 Officers und 13 Experten, dazu kommen noch Volunteers und wie gesagt die Mitarbeiter der Security. In Chennai 2022 war das FIDE-Team rund 30 Personen stark, also etwa doppelt so groß. Bei uns in Deutschland sprechen wir heute noch von Anti-Cheating, was mir logischer erscheint, denn man will ja Cheating verhindern und nicht etwa den fairsten Spieler küren.
Zu Beginn der Olympiade gab es einige Verzögerungen, hängen diese mit der Eingangskontrolle zusammen?
Aus meiner Sicht war es in den ersten Tagen eher so, dass der Bustransfer nicht optimal funktioniert hat, wodurch es zu Verspätungen kam. Allerdings hat die Eingangskontrolle am Anfang etwas länger gedauert, weil die Leute sich erst daran gewöhnen mussten.
Das Besondere an einer Olympiade ist, dass wir es einerseits mit Profis zu tun haben und andererseits, bei den Teams aus kleineren Ländern, mit Amateuren. Die Top-Profis kennen natürlich die Prozeduren schon und haben dafür eine Akzeptanz von vornherein. Viele Topspieler kommen zum Beispiel in Stoffhosen ohne Gürtel, ohne Uhr und haben nichts in den Hosentaschen und gehen dann einfach durch die Kontrolle. Wir bekommen von vielen Profis auch eine positive Resonanz für unsere Arbeit. Die Amateure kommen wie unsereins eher mit Portemonnaie, Gürtel, Uhr und so weiter zur Partie, dann schlagen die Geräte erst mal an und es dauert alles etwas länger.
Wurde in Budapest vom Fairplay-Team ein Verstoß festgestellt?
Hier muss man differenzieren. Wenn wir zum Beispiel am Eingang jemanden mit einer Uhr oder Smartwatch festgestellt haben, dann sagen wir: Das darf man nicht reinbringen und die Betroffenen kommen dann „ohne“ wieder. Wir stellen damit sicher, dass derjenige sich an die Fairplay-Regeln hält und verhindern, dass jemand einen Fehler begeht, unterstellen aber natürlich keinen Betrug. Im Verlauf der Olympiade haben wir immer weniger mit solchen unerlaubten Gegenständen zu tun gehabt, die Anforderungen hatten sich herumgesprochen. Etwas anderes wäre es, wenn wir etwa jemanden mit einem eingenähten Handy oder Ähnlichem erwischen würden. Das gab es aber nicht.
Ist denn jemand in Budapest des Cheatings überführt worden?
Diese Frage kann man mit einem klaren „Nein“ beantworten, niemand wurde des Cheatings überführt. Wir unterscheiden hier allerdings juristisch den Begriff „beim Cheating überführen“, was ähnlich wie Doping zu einer Sperre führt, von dem wesentlich kleineren Umstand, gegen die Fairplay-Regeln verstoßen zu haben, was etwas anderes ist. Es gab mehrere Fälle, wo gegen diese Regeln verstoßen wurde, weil etwa Stifte, Uhren oder andere Gegenstände am Spielort verwendet wurden, die nicht gestattet sind. Das hat in einigen Fällen zum Partieverlust geführt.
Der Bundestrainer der deutschen Frauen beklagte, dass er während des Matches nicht mal über Remisangebote mit seinen Spielerinnen sprechen durfte. Diese Regelung wurde bereits 2022 bei der Olympiade in Chennai als FIDE-Regel eingeführt. Ist diese Regel nicht etwas übertrieben?
Der Zeitpunkt zur Einführung dieser Regel war aus meiner Sicht ungünstig, weil dies in Chennai kurz vor dem Wettkampf bekanntgegeben worden ist. In den FIDE-Regeln gibt es übrigens hierzu zwei unterschiedliche Passagen: In der einen darf mit dem Kapitän über Remis gesprochen werden, in der anderen nicht, es hängt von der Art der Meisterschaft ab. Bei der Schacholympiade dürfen Trainer und Kapitäne jedenfalls nicht mehr mit den Spielerinnen und Spielern während der Partie über etwaige Remisangebote reden. Dies ist seit der Olympiade in Chennai 2022 eine FIDE-Regel. Es gibt immer noch die Regel, dass ein Trainer im Beisein eines Schiedsrichters in einer dem Schiedsrichter verständlichen Sprache mit einem Teammitglied sprechen darf, aber dies ist eine Regel, die eher für den Notfall gedacht ist. Ich denke es war noch nie vorgesehen, dass ein außenstehender Kapitän oder Trainer Einfluss auf eine Partie nehmen darf. Ein Austausch über ein Remisangebot war bis Chennai noch möglich, wurde aber abgeschafft. Es ist auch die Frage, ob ein solcher Austausch bei den Topleuten überhaupt etwas bringt. Die wissen alle, wie sie stehen und was das für ein Match bedeutet. Etwas anderes ist es vielleicht bei einem Amateurteam, da kann der Betreuer schon mal eine deutlich höhere Wertungszahl und ein höheres Verständnis haben. Nach meinem Wissen, ist diese Regeländerung auch nicht aus der Fairplay-Commission gekommen und es muss spekuliert werden, warum sie so eingeführt wurde. Hintergrund wird wohl sein, das man einen Einfluss durch Coaching ausschließen wollte. Bei der Olympiade dürfen die Teamkapitäne nach Verlassen des Spielerbereichs nicht zurückkehren, sie haben also gar nicht die Möglichkeit, irgendwelche Hilfsmittel zu verwenden.
Die Zuschauer durften in Budapest nur eine Stunde auf der Tribüne im Spielsaal verbleiben, wird dadurch nicht die Anteilnahme der Öffentlichkeit an diesem Schach-Großereignis beeinträchtigt?
Ja, das stimmt, nach einer Stunde mussten Zuschauer die Tribüne wieder verlassen. Ich weiß nicht, ob diese Regelung vom Organisator oder dem Fairplay-Team kam, wahrscheinlich ist es eine Kombination. In der riesigen Halle in Budapest fingen die Tribünen erst in 10 Meter Höhe an, also alles andere als nah. Da fragt sich, was für die Zuschauer überhaupt zu sehen war. Man kann ein schönes Panoramabild von oben schießen, ja, aber ob man da mehrere Stunden verbringen möchte? Fünfmal durften 100 Zuschauer für je eine Stunde auf die Tribüne, die Kapazität war noch deutlich größer. Der Zugang zum Innenraum der Halle war sehr streng limitiert. So durfte Ingrid Lauterbach als stimmberechtigte Vertreterin des DSB nicht in den Innenbereich. Stattdessen konnte sie auf der VIP-Tribüne Platz nehmen, die genauso hoch war, nur etwas mittiger. Zusätzlich gab es dort Getränke. Außer den Spielern und Teamkapitänen, den Schiedsrichtern und dem Fairplay-Team durfte neben einigen Pressevertretern niemand in den Innenbereich, also keine Zuschauer. Dabei durften etwa 15 Pressevertreter der FIDE ständig im Innenbereich bleiben, alle anderen akkreditierten Journalisten mussten den Innenraum nach 25 Minuten wieder verlassen. Trotz der Beschränkungen war es ziemlich voll, besonders bei den Spitzenpaarungen sammelten sich die Journalisten.
In der Live-Übertragung konnten alle Partien von den Zuschauern im Internet verfolgt werden, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung von 15 Minuten. Alle Partien waren also online verfügbar und konnten auch im Hinblick auf Anti-Cheating überprüft werden. Welche Maßnahmen gab es diesbezüglich?
Es ist inzwischen Standard bei Top-Turnieren, dass alle Partien auf Auffälligkeiten überprüft werden, wie etwa bei chess.com und anderen Portalen. Diese Daten erhalten die drei Fair-Play-Officer, Klaus Deventer war hierbei der Hauptverantwortliche. Als Officer bekommt man nach jeder Runde eine Tabelle mit einem statistischen Schnelltest, der zeigt, wie gut die Partien gespielt wurden. Dabei werden die Eröffnungen und ganz klare Stellungen sozusagen „abgeschnitten“ und dann wird gemessen, wie stark die Abweichungen der gespielten Züge von denen der besten Engines sind. Die Genauigkeit des Test-Ergebnisses ist aber von der Anzahl der Züge abhängig: je mehr desto besser. Ergeben sich dann Auffälligkeiten, das jemand besonders stark gespielt hat, kann man entsprechende Maßnahmen ergreifen, also diejenigen intensiver beobachten, ob es Unstimmigkeiten gibt. In Budapest wurden nach den Partien auch zufällig ausgewählte Aktive nochmals gescannt. Da ist auch eine Strategie möglich, dass man einige statistisch Auffällige ebenfalls nochmal überprüft und ähnliches.
Was hatte es in Budapest mit den SIM-Karten auf sich?
Es gab mehrere Fälle, wo es zu Partienullungen kam: Es gab Fälle mit Armbanduhren, die am Brett entdeckt worden sind, es gab aber auch Fälle mit SIM-Karten. Diese SIM-Karten wurde von mir bei zufälligen Kontrollen nach der Partie in einem Portemonnaie entdeckt. Da das Mitsichführen von Elektronik gegen die Fairplay-Regeln verstößt, wurden in zwei Fällen mit gefundenen SIM-Karten die Partien als verloren erklärt. In einem Fall wurde dagegen vom Spieler Berufung eingelegt, der auch stattgegeben wurde. Es ist klar, dass Handys, Smartwatches und normale Uhren verboten sind, aber eben auch andere Arten von Elektronik wie etwa elektronische Zigaretten und eben SIM- oder Speicherkarten. Die SIM-Karten wurden bei der Einlasskontrolle leider nicht gefunden, weil sie so klein sind.
Aber was soll man mit einer SIM-Karte ohne Gerät anfangen?
Man muss hier die Gegenfrage stellen: Wozu führt man so etwas bei einer Partie mit sich? Nehmen wir mal folgendes extremes Beispiel: Jemand bringt einen Föhn mit. Nun, der würde hoffentlich bei der Eingangskontrolle entdeckt. Aber wenn wir jetzt einen Föhn erlauben würden, wie sollte man sicherstellen, das in dem Föhn nicht irgendwelche Vorrichtungen verbaut sind, mit denen man sich einen Vorteil verschaffen könnte? Verboten sind nun mal alle nicht genehmigten elektronischen Geräte.
War die Olympiade in Budapest aus Sicht des Anti-Cheating ein Erfolg?
Nun, manche werden sagen, wir haben keinen Cheater erwischt, deswegen waren wir nicht erfolgreich. Ich würde sagen, vor dem Hintergrund unserer umfangreichen Maßnahmen ist die Schacholympiade wohl der falsche Ort fürs Cheating. Und das ist eine ganz wichtige Botschaft, denke ich. Leider ist das nicht bei allen Turnieren so. Es gibt Profis die sagen, dass sie manches Open eher nicht mitspielen wollen, weil die Kontrollen zu dürftig sind.
Im Rahmen der Schacholympiade haben Sie auch eine Auszeichnung von der FIDE erhalten, welche war das?
Es gab in Budapest Sitzungen der „Arbiters Commission“ und der „Fair Play Commission“, an denen ich teilgenommen habe. Von der Fairplay-Commission der FIDE erhielt ich eine Auszeichnung für meine Mitwirkung an dieser Kommission. Das hatte eher weniger mit meiner Arbeit in Budapest zu tun, sondern damit, dass man im Zuge der 100-Jahr-Feier der FIDE Ehrungen vorgenommen hat.
Wie wird wahrscheinlich die Zukunft der Anti-Cheating-Aktivitäten aussehen, wird es bei diesem hohen Level an Kontrollen bleiben, wird man diese eventuell noch verschärfen, oder wird man zukünftig eher wieder etwas zurückfahren, was glauben Sie?
Eine reine Richtung wird es wohl nicht geben, aber ich denke, dass die Maßnahmen tendenziell eher noch schärfer werden. Es wird Dinge geben, wo man strenger sein wird und andere, wo man vielleicht auch wieder etwas lockerer wird. In jedem Fall haben wir bei der Olympiade eine gute Arbeit gemacht, denke ich.