Abschlussbericht zur Jugendeuropameisterschaft in Batumi

30. September 2010

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Partiefragmente nachspielen - aus dem nachfolgenden Bericht

Die deutschen Spieler und Trainer

"Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen" – die Verszeile in "Reiters Morgenlied" von Wilhelm Hauff trifft die Stimmungslage im deutschen Lager recht genau. Wo es bei Hauff's Reiter aber um das nackte Überleben geht, beziehen sich die deutschen Enttäuschungen zum Glück nur auf das sportliche Abschneiden.

Hochhäuser in der Nähe des Spiellokals

Dass der sportliche Erfolg nicht das Wichtigste im Leben ist, wurde uns in Georgien fast täglich vor Augen geführt: In diesem Land voller Gegensätze begegnet einem die Armut auf Schritt und Tritt: Bettelnde Kinder, streunende Hunde, auf offener Straße verprügelte Straßenkinder... Dabei ist die Landschaft sehr reizvoll, die Menschen zwar lärmend, aber sehr offen und überwiegend freundlich.

Kurz hinterm Strand beginnt der Kaukasus

Ein Kapitel für sich war unser Hotel: Die gesamte Anlage macht einen sehr großzügigen und weiträumigen Eindruck, liegt zudem sehr reizvoll direkt am Strand. Die Zimmer boten viel Platz mit direktem Blick aufs Meer, außerdem gab es einen Pool und im Hotel ein richtig großes Schwimmbecken.

Swimmingpool

Leider zeigte ein zweiter Blick, dass nicht nur die schönen Blumen auf dem Gelände, sondern in den Zimmern leider auch der Schimmel blüht.

Pflanzen auf dem Hotelgelände

Häufiger waren auf dem Gelände Gottesanbeterinnen zu bestaunen: Diese großen Fangschrecken bewegen sich äußerst grazil und gemächlich mit bestechender Eleganz.

Gottesanbeterin

Fast ebenso graziös bewegten sich die Kellnerinnen im Hotelrestaurant, wenn sie hinter dem Buffett bei ohrenbetäubend lauter Musik eine ihrer häufigen spontanen Tanzpausen einlegten und sich dabei glänzend zu amüsieren schienen. Der Anblick von Hotelgästen, die vergeblich auf Kaffee aus dem Kaffeeautomaten hofften und sich stattdessen mit heißem Wasser begnügen mussten, schien sie besonders zu erheitern. "Coffee???!" – "Niento!"

Im Gegensatz zu dem munteren Treiben des Hotelpersonals wurde unsere Stimmung auch dadurch getrübt, dass mit zunehmender Aufenthaltsdauer immer mehr Mitglieder unserer Delegation mit massiven Magen-DarmBeschwerden zu kämpfen hatten. So verwundert es nicht, dass am Ende alle froh waren, die Heimreise antreten zu können. Alle? – Nein, Frau Geske hat den Aufenthalt sehr genossen und bedauerte nur, keinen Ausflug nach Tiflis (380 km oder 7 Zugstunden entfernt!) gemacht zu haben.

Immerhin konnten wir am spielfreien Tag Überreste einer alten römischen Festung besichtigen und einen Stadtbummel durch Batumi machen:

David Lobzhanidze

Beim Verlassen der römischen Festung wurde Frau Grigorjan vom Fernsehen interviewt:

Sportlich blieben die deutschen Teilnehmer einmal mehr hinter den im Vorfeld genährten Erwartungen zurück – ein Bild, das uns von internationalen Jugendwettbewerben nur allzu vertraut ist. "Hinter den Erwartungen zurück" – diese Formulierung, die so leicht und selbstverständlich daherkommt, möchte ich etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Rein rechnerisch ist die Sachlage einfach: Vier unserer acht Starter nahmen in der Setzliste ihres Wettbewerbs einen Platz unter den ersten 10 ein, am Ende sprang lediglich ein 5. Platz heraus. Doch die ELO-Zahlen erweisen sich als zwar einzig mögliches, aber dennoch unzuverlässiges Instrument der Eingruppierung. Bei den U10-Mädchen führte unsere Fiona Sieber die Setzliste sogar an, aber wenn nur 6 von 53 Spielerinnen überhaupt eine ELO-Zahl besitzen, dann ist sofort klar, dass die Aussagekraft dieser Reihenfolge sehr gering ist. In der Tabelle stehen denn auch nur drei ELO-Trägerinnen vorne, auf den Plätzen zwei und vier finden sich zwei ELO-lose Spielerinnen.

Fiona Sieber bei der Siegerehrung

Fiona erreichte mit dem 5. Platz eine ausgezeichnete Platzierung bei ihrer ersten Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb. Schaut man sich die Partien an, war sogar noch einiges an Luft nach oben: In der Spielanlage und beim Angriff war sie ihren Gegnerinnen klar überlegen. Lediglich mit der Vorteilsverwertung kann sie nicht ganz zufrieden sein, in der 6. Runde verdarb sie eine sehr gutstehende Partie durch einen einzügigen Einsteller. Dafür zeigte sie in der 3. Runde eine tolle Angriffsleistung, bei der sie die Königsstellung ihrer Gegnerin mit einem Läuferopfer in Schutt und Asche legte.

Auch in den höheren Altersklassen sind die ELO-Zahlen ein trügerischer Maßstab. Während die Turniere unserer Jugendlichen zum größten Teil ELO-gewertet werden, ist dies in anderen Nationen nicht immer so. Im Teilnehmerfeld befinden sich daher immer etliche "getarnte Riesen", wie man in den Endtabellen unschwer nachlesen kann. Dennoch können Jens, Jonas und Julian mit ihrem Abschneiden nicht zufrieden sein.

Jens Kotainy

Dabei verlief das Turnier für Jens besonders dramatisch: Zunächst deutete er mit drei überzeugenden Siegen an, dass er auch in diesem starken Feld schachlich niemanden zu fürchten braucht. Seine Weißpartien der 1. und 3. Runde gewann er im Opferstil. Der Knick kam in der 4. Partie: In Zeitnot lief er in ein Endspielmatt, die am selben Tag gespielte 5. Partie verdarb er mit einem einzügigen Übersehen. Immer deutlicher machte sich nun bemerkbar, dass er am stärksten mit den grassierenden Magen-Darm-Problemen zu kämpfen hatte, zumal bei ihm noch ein Infekt hinzukam. Zwar konnte er die 6. Partie wieder gewinnen, aber danach bekam er hohes Fieber, am spielfreien Tag musste sogar der Notarzt gerufen werden. Halbwegs fieberfrei, aber mit starken Magenschmerzen lieferte er danach in der 7. Runde dem designierten Großmeister Absov einen offenen Schlagabtausch, den er erst in der Zeitnotphase verlor. Die 8. Partie spielte er völlig außer Form, nach einer weiteren Fiebernacht entschieden wir, ihn in der letzten Runde nicht mehr antreten zu lassen. Immerhin war er bis zum Aufbruch am Mittwoch wieder soweit hergestellt, dass er den Rückflug ohne größere Probleme überstand.

Neben Jens hatte Lea Maria Brandl am meisten Grund, mit dem Turnierverlauf zu hadern: In der 7. Runde übersah sie in Gewinnstellung ein einzügiges Matt, in der letzten Runde verlor sie durch Zeitüberschreitung.

Spartak und Jens bei der Vorbereitung

Spartak Grigorian erreichte wie Daniela Schäfer etwa seinen Platz in der Setzliste, spielte also "erwartungsgemäß". Aber gerade Spartak hätte deutlich mehr erreichen können, er spielte aber in einigen Partien zu schnell und war manchmal vielleicht auch mit zu wenig zufrieden.

Steffen Ratzke von Stoyentin

Völlig in Ordnung geht die Platzierung von Steffen. Taktisch konnte er mit seinen Kontrahenten durchweg mithalten, leider war der Blick für die gegnerischen Möglichkeiten noch nicht scharf genug, so dass er einige Male gerade dann in Nachteil geriet, wenn er kurz zuvor Beute gemacht hatte und eigentlich schon auf der Siegesstraße schien.

Wie schnell man etwas einstellt, musste ich auf der Rückfahrt am eigenen Leib erfahren: Etwa eine halbe Stunde nachdem uns der Bus zum Hotel gebracht hatte bemerkte ich zu meinem nicht geringen Entsetzen, dass ich meinen Fotoapparat im Bus vergessen hatte. Zum Glück erreichte Bernd Vökler den Turnierdirektor übers Handy, und der versprach nicht nur, sich um die Angelegenheit zu kümmern, sondern brachte die Kamera sogar persönlich zum Flughafen, wo ich sie noch vor dem Start wieder in Empfang nehmen konnte. So endete diese so zwiespältige Reise zumindest für mich mit einem positiven Schlussakzent.

Bernd Rosen ist laut T-Shirt im falschen Film oder im falschen Land
Deutsche Sitzreihe bei der Siegerehrung. V.l.n.r.: David Lobzhanidze, Bernd Vökler, Julian Geske und Bernd Rosen.
Fiona Sieber bei der Siegerehrung

Bernd Rosen

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