4. Oktober 2024
Gewöhnlich ist der Mensch geneigt, Probleme eher zu vermeiden. Ganz anders beim Schach: Mindestens so lange, wie es Schach als Kampfspiel zwischen zwei Spielpartnern gibt, so lange gibt es auch schon Problemschach. Darunter versteht man das Komponieren und Lösen von kunstvollen Schachstellungen, die beim Löser/der Löserin ein besonderes ästhetisches Gefühl erzeugen: Die Freude am Überraschenden, Schönen, und daran, Schwierigkeiten mit Logik und Kombinationsgabe zu überwinden. Dabei werden die Begrenzungen des Kampfschaches gerne überwunden und es entstehen oft Stellungen, die wegen der ungleichen Materialverteilung oder anderen besonderen Konstellationen im normalen Turnierschach gar nicht vorkommen können. Allein die Schönheit des Gedankens zählt.
Die Frage, was zuerst kam, Kampfschach oder Problemschach, erinnert an das Dilemma von Henne und Ei. Man weiß es nicht. Solange Schach gespielt wird, hat der Mensch auch an Problemen getüftelt. Schon aus dem Mittelalter sind arabische Schachaufgaben überliefert, sogenannte „Mansuben“, die als Vorläufer des Problemschachs gelten. Große Meister des Turnierschachs, wie beispielsweise Weltmeister Emanuel Lasker, Richard Reti oder Paul Keres, haben auch Schachprobleme kreiert. Darunter Studien, die zum Problemschach zählen. Die Verbindungen zwischen beiden Schachvarianten waren und sind fließend. Ein aktuelles Beispiel ist der englische Großmeister John Nunn: Der mittlerweile 69-Jährige steht aktuell auf Platz vier der Problemlöser-Weltrangliste:
Pl. | Titel | Name | Land | Rating |
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1 | GM | Danila Pawlow | 2819 | |
2 | GM | Kacper Piorun | 2717 | |
3 | GM | Piotr Murdzia | 2700 | |
4 | GM | John Nunn | 2654 | |
5 | GM | Ural Chasanow | 2654 | |
6 | IM | Nikos Sidiropoulos | 2590 | |
7 | GM | Bojan Vuckovic | 2586 | |
8 | GM | Alexej Popow | 2578 | |
9 | GM | Eddy van Beers | 2577 | |
10 | IM | Ilija Serafimovic | 2560 | |
11 | IM | Danila Moisejew | 2555 | |
12 | GM | Marko Filipovic | 2555 | |
13 | IM | Ulrich Voigt | 2549 | |
14 | GM | Boris Tummes | 2541 | |
15 | GM | Martynas Limontas | 2531 | |
16 | Nikolozi Kacharava | 2529 | ||
17 | GM | Ofer Comay | 2525 | |
18 | IM | Kevinas Kuznecovas | 2517 | |
19 | IM | Tomáš Peitl | 2515 | |
20 | GM | Ram Soffer | 2503 | |
... | ... | ... | ... | ... |
26 | GM | Arno Zude | 2465 | |
62 | FM | Frank Richter | 2353 | |
64 | GM | Michael Pfannkuche | 2347 |
Stand: 1. Oktober 2024
Was wir genau bestimmen können, ist der Anfang des organisierten Problemschachs in Deutschland: Am 10. Februar 1924 wurde die Schwalbe in Essen gegründet. Und zwar zunächst als regionale Lösergruppe für Probleme aus der „Schachecke“ des Essener Anzeigers. Die weit verbreiteten Schachspalten in der deutschen Presse jener Tage - oftmals mehrere Spalten breit, heute unvorstellbar - waren der Nährboden für das wachsende Interesse am Problemschach im 20. Jahrhundert. „Im Vordergrund stand damals das Bedürfnis, die selbst komponierten Probleme auf unerwünschte Nebenlösigkeit zu überprüfen, was in geselliger Form vor sich ging. Aber eben auch der Austausch und das wettbewerbsmäßige Lösen und Kreieren von Problemen“, erklärt Thomas Brand, 2. Vorsitzender der Schwalbe. Eine eigene Zeitung wurde 1924 auch gegründet, das Mitteilungsblatt wurde ebenfalls „Schwalbe“ benannt und besteht bis heute, jetzt allerdings zusätzlich in digitaler Form.
Am 5. Oktober 2024, wird ab 10 Uhr mit einem Festakt am Gründungsort Essen das hundertjährige Bestehen der deutschen Problemschachvereinigung „Schwalbe“ unter dem Dach des Deutschen Schachbundes gefeiert. Im Hotel Bredeney (Theodor-Althoff-Straße 5, 45133 Essen) wird Julia Jacob, 1. Bürgermeisterin von Essen, gemeinsam mit Bernd Gräfrath, dem 1. Vorsitzenden der Schwalbe und dem Organisator der Feierlichkeiten, die internationalen Gäste begrüßen. DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach wird eine Grußbotschaft übermitteln. Der Schweizer Problemfreund und langjähriges Präsidiumsmitglied des Welt-Problemverbandes Thomas Maeder wird in seiner Festrede die Geschichte der Schwalbe aus internationaler Sicht präsentieren. Denn die Schwalbe ist wahrscheinlich die einzige Mitgliedsorganisation im Deutschen Schachbund, die einen hohen Anteil von internationalen Mitgliedern hat, die im Ausland leben und wirken: Von den rund 400 Schwalbe-Mitgliedern insgesamt leben rund ein Drittel im Ausland, verteilt über alle Kontinente. Die internationalen Problemschachverbände sind unter dem Dach der WFCC (World Federation for Chess Composition) organisiert, die früher zur FIDE gehörte und heute selbstständig ist.
Weitere Vorträge werden unter anderem von Thomas Brand, Günter Büsing und Werner Keym präsentiert.
Ab 16 Uhr leitet Bernd Gräfrath dann die jährliche Mitgliederversammlung der Schwalbe, die ebenfalls im Hotel Bredeney stattfindet und natürlich ganz im Zeichen des Jubiläums steht. Ein spezieller Kompositionswettbewerb „100 Jahre Schwalbe“ rundet die Feierlichkeiten ab.
Der Name der Vereinigung und der Zeitschrift gehen auf eines der bekanntesten Schachprobleme des frühen 20.Jahrhunderts zurück. Es wurde von den beiden Co-Autoren Kohtz und Kockelkorn 1911 geschaffen. Die Aufgabe war problemschachtheoretisch und schachästhetisch etwas ganz besonderes, eine Art Meilenstein des Problemschachs. Ganz konkret ging es bei der Löung nicht um spektakuläre Opfer oder Schlagzüge, sondern um ein subtiles Hin- und Herziehen der Dame auf der siebenten Reihe, die jeweils „nur“ damit droht, ein Feld zu erreichen, von dem aus sie den gegnerischen König bedrohen könnte. Dieses Hin- und Herziehen der Dame erinnerte die Autoren an den Flug einer Schwalbe und deswegen erhielt das besondere Problem den Namen „Eine Schwalbe“. So etwas wie die „Blaue Mauritius“ der Problemisten.
1. Da7? (droht 2. Da1#), aber 1. ... Ta4!
1. Dh7? (droht 2. Db1#), aber 1. ... Te4!
1. Df7! (mit der schönen versteckten Drohung 2. Sd3+ Kd1 3. Db3#) 1. ... Ld5 (das pariert gut durch Linienverstellung; schlecht wäre die andere Linienverstellung 1. ... Tc4? wegen 2. Dg6! und 3. Db1#/Dg3#)
2. Da7 (droht 3. Da1#. Dagegen geht 2. Dh7? noch immer nicht wegen 2. ... Le4!) 2. ... Ta4
3. Dh7! (Endlich! Es droht 4. Db1#)
3. ... Te4 4. Dh1# oder 3. ... Le4 4. Dh4#
Wir gratulieren der „Schwalbe“ und allen Problemfreunden ganz herzlich zum 100. Geburtstag und wünschen viel Freude bei den Jubiläums-Festlichkeiten in Essen! (vg)
von Ralf Binnewirtz, Meerbusch
Vor genau 100 Jahren, im August 1924, erschien das erste Heft unserer Vereinszeitung unter dem Titel "Die Schwalbe – Monatshefte für Problemschach", herausgegeben von der sechs Monate zuvor gegründeten „Schwalbe“-Vereinigung von Problemfreunden. Anlässlich dieses Ereignisses erscheint es opportun, im aktuellen August-Heft eine Retrospektive auf die wechselvolle Geschichte unserer Zeitschrift zu geben. Mein absichtlich kurz gefasster Beitrag soll allerdings nur ein Amuse-Gueule sein zur Einstimmung auf eine umfänglichere Darstellung, die für ein Jubiläums-Sonderheft im nächsten Jahr vorgesehen ist.
Es ist nicht verwunderlich, dass ein lückenloses Erscheinen der Schwalbe-Hefte in den krisengeschüttelten Zeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht immer möglich war, aber die „Schwalben“ waren stets imstande, ihre Zeitschrift nach unabwendbaren Unterbrechungen oder schicksalhaften Ausfällen baldmöglichst wieder auferstehen zu lassen. Einen frühen Einschnitt gab es bereits nach den ersten acht Heften, ab Juni 1925 erschien Die Schwalbe nach Fusion mit dem Funkschach (Organ des Norddeutschen Funkschachbundes) in einer gemeinschaftlichen Wochenschrift (herausgegeben von Willibald Roese), in die sich im Oktober 1925 auch noch das dahinsiechende Deutsche Wochenschach eingliederte. Indes scheiterte das heikle Projekt nach kaum zwei Jahren, „Das letzte Heft“ vom 27. März 1927 (Es gab noch ein Ergänzungsheft April 1928.) war die Konsequenz der unerfüllten Hoffnung, dass sich die Einnahmen durch Abonnements und die Herstellkosten hinreichend ausgleichen würden.
Ab Januar 1928 erschien Die Schwalbe – untertitelt mit Neue Folge – wieder als Monatsschrift in Eigenregie, erneut beginnend mit Heft Nr. 1. Dank der äußerst engagierten Vorsitzenden Eduard Birgfeld und Wilhelm Karsch, die zugleich als Schriftleiter fungierten, konnte die Vereinszeitung eine längere Phase der Kontinuität erleben und auch nach 1933 die Unabhängigkeit der Zeitschrift weitgehend bewahren, bis im April 1943 auf Anordnung des Nazi-Regimes alle vier deutschen Schachzeitungen (Deutsche Schachzeitung, Deutsche Schachblätter, Schach-Echo und Die Schwalbe) zu einer einzigen Schachzeitung verschmolzen wurden. Diese konnte allerdings nur bis September 1944 überleben. W. Karsch hat in den Jahren 1943-1946 das arg reduzierte Angebot für Problemfreunde durch Herausgabe der Mitteilungen der „Schwalbe“ wesentlich verbessert.
In der schwierigen Nachkriegszeit konnte Die Schwalbe bereits mit dem Oktober/Dezember-Heft 1946 ihren Flug wieder aufnehmen, und zum Ende der 1940er Jahre hatte sich wieder ein Erscheinungsmodus mit sechs Heften pro Jahr durchgesetzt. Vorsitzender und Schriftleiter Carl Schrader führte die Zeitung bis zum Jahresende 1957, worauf er sein Amt wegen gesundheitlicher Probleme und beruflicher Überlastung niederlegen musste. Nach dem Jahr 1958 ohne Heftausgaben kam es mit Heft 1, Januar/Februar 1959 – nun untertitelt Zeitschrift für Problemschach – zu einem Neustart, bei dem der erste Vorsitz (Werner Speckmann) und die Schriftleitung (zunächst Karl Junker, nachfolgend Peter Kniest) erstmals in getrennte Hände gelegt wurden. Seitdem konnte Die Schwalbe ohne jede Unterbrechung bis heute erscheinen.
Im Oktober 1969 änderte sich noch mit dem Wechsel zu einem größeren Format das Erscheinungsbild der Zeitschrift und die Heft-Nr. wurde ein weiteres Mal auf „1“ gesetzt. Die Schwalbe hat sich aus bescheidenen Anfängen im Jahre 1924 allmählich zu einer der weltweit führenden Problemschachzeitungen entwickelt, ist im Umfang erheblich angewachsen (von einst acht auf aktuell 48 bis 60 größere Seiten) und in allen Aspekten des Inhalts wie auch in der Erstellung des Textsatzes auf höchste Qualität bedacht. Ohne dieses für die vereinsinterne Kommunikation essenzielle Organ hätte unsere Vereinigung kaum zusammenhalten und einen stetigen Aufschwung verzeichnen können. Der selbstlose Einsatz der Schriftleiter, die in den ersten Jahrzehnten mehrere Vorstandsämter in Personalunion bekleideten, sowie ihrer engagierten Helfer verdient daher höchste Wertschätzung und Anerkennung. Ich fühle mich ihnen in Dankbarkeit tief verbunden und ziehe den Hut!
Die Schriftleiter und ihre Amtszeiten:
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11527