27. November 2013
Gut ging es los für das deutsche Team bei der Mannschafts-WM in Antalya. Als hätte es die etwas verkorkste Europameisterschaft in Warschau nie gegeben, sicherte der frisch gekürte Ex-Europameister gegen Ägypten alle vierundsechzig Felder zuverlässig ab und startete mit einem schönen 2,5:1,5 in das Turnier. Vor dem eigenen Tor brannte diesmal nichts an, und vorne sorgte Georg Meier gegen den etwas übereifrigen Abdel für die frühe Führung mit den schwarzen Steinen. Auch David Baramidze punktete voll gegen Bassem Amin (ELO 2652), den die Ägypter als ihren stärksten Spieler überraschend an Brett 4 versteckt hatten.
Baramidze und Amin spielten dabei eine Partie so ganz nach dem Geschmack des Internetpublikums, bei der die Schottische Eröffnung nach 22 Zügen zu der folgenden keineswegs blutleeren Stellung führte:
Hei, was ist da los? Robert von Weizsäcker würde sich freuen! Baramidze hat mutig geopfert, und Amins weiße Figuren sind elegant auf den Seitenlinien postiert. Man beachte die große Harmonie – die Läufer auf a6 und h6, die Dame auf a4 und der König gleich gegenüber auf h4, so nah und doch so fern, und dann die Türme auf a1 und h1 – besser geht es doch eigentlich nicht. Baramidze wird diese progressive Ästhetik mit Sicherheit gewürdigt haben, wenn auch nur für einen Augenblick. Danach hat er nicht lange gezögert und mit Schwarz nach weiteren neun Zügen gewonnen.
Und dieser Punkt war wichtig, denn unser Mann an Brett drei(!), der junge Arkadij Naiditsch, war leider ein wenig ins Trudeln geraten. Gegen Samy Shoker hatte er eine feine Zentralstellung aufgebaut und bald darauf mit viel Ambition eine Figur für Angriff geopfert. Zu einem Remis hätte das auch bequem ausgereicht, doch Naiditsch und Shoker entschieden auf Weiterspielen (ich konnte nicht rekonstruieren, wie der Zwischenstand im Match zu diesem Zeitpunkt war). Der Ägypter demonstrierte daraufhin gute Technik und brachte seine Mehrfigur sicher nach Hause.
Glück für Deutschland, dass mit Igor Khenkin der Deutsche Meister von 2011 an Brett eins saß. Khenkin hatte sich in einem schwerfälligen Königsinder langsam Vorteile erspielt, verwaltete irgendwann einen entspannten Mehrbauern und kam eigentlich nie wirklich in Gefahr, hier mit weniger als einem Unentschieden das Brett zu verlassen. So kam es dann auch – und damit waren die Punkte für den 2,5:1,5-Auftaktsieg insgesamt unter Dach und Fach. Glückwunsch!
Khenkin an eins, Naiditsch an drei - manch eine(r) mag sich gewundert haben, warum die Mannschaft heute so ganz anders ausgesehen hat als sonst. Vielleicht ist das schon die Handschrift des neuen Trainers? Mit Konstantin Sakajew hat das Team bei der WM einen anderen Betreuer, alldieweil Uwe Bönsch aus familiären Gründen diesmal absagen musste. Und man kennt das ja mit den neuen Trainern – da wird dann mal die Aufstellung geändert, einer muss von der Abwehr ins Mittelfeld rücken, ein anderer von links nach rechts, und überhaupt. Was genau die Idee war, weiß ich natürlich nicht, aber auf Anhieb finde ich es ganz sympathisch. Nun sitzt Naiditsch als anerkannter Elo-Riese also an Brett 3 - manchmal braucht man einfach etwas Schräges, vor allem nach den durchwachsenen neun Runden von Warschau. In Antalya gibt es Gelegenheit zu einem fresh start für das ganze Team und vielleicht für eine neue Leichtigkeit. Gestern jedenfalls ging es gut los!
In den anderen Begegnungen des Tages kam es zu folgenden Ergebnissen:
So schnell kann das gehen – da sieht die Schachwelt doch gleich schon wieder ganz anders aus! In der Tabelle liegen die deutschen Herren nun aktuell an führender Stelle (wenn auch gemeinsam mit drei anderen Mannschaften). Sie sind verlustpunktfrei, und haben die Auftaktrunde mit Bravour bewältigt. Außerdem bekamen sie die Startnummer eins für dieses großartige Turnier. Lauter gute Omen - was mehr kann man sich wünschen?
Nun gut, eine Sache fiele mir schon ein – ein Sieg gegen die Türkei heute (auch wenn das schwer genug wird), und dann noch zwei Punkte gegen die Niederlande am Donnerstag. Und dann … aber schauen wir mal.
PS! Entgegen ersten Meldungen hat sich herausgestellt, dass Armenien kein Land ist, das in irgendeiner Form reich an Erdöl ist. Schach ist schwer, und Geographie erst recht, und da muss ich im Vorbericht zu dieser WM Armenien wohl mit Aserbaidschan verwechselt haben. Oder mit Saudi-Arabien? Jedenfalls habe ich wieder etwas gelernt. Danke für die Hinweise bei schachfeld.de!
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Olaf Steffens
Olaf Steffens ist FIDE-Meister, wohnt in Bremen und spielt dort für den SV Werder in der Zweiten Bundesliga. Obwohl das Schachspiel eigentlich viel zu schwierig für ihn ist, versucht er es immer wieder und schreibt darüber zusammen mit anderen auf www.schach-welt.de.
Während der Weltmeisterschaft in Antalya schreibt er für den Deutschen Schachbund.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9281