6. Februar 2025
Die deutsche Nummer eins, GM Vincent Keymer, war nur kurz in der Heimat, nach dem Tata Steel in Wijk aan Zee. „Ein bisschen relaxen, Koffer aus- und wieder einpacken – und los geht`s.“ Zum nächsten Highlight: Zum ersten Akt der Freestyle Chess Grand Slam Tour im luxuriösen Resort Weissenhaus (7. bis 14. Februar). Aus der Premiere vor einem Jahr an der Ostsee ist eine vielversprechende Serie geworden – mit Haltepunkten in Paris, New York, Delhi und Kapstadt. Glamour, Geld und die absoluten Top-Stars. Bevor es aber um Spitzensport geht, eskalierte der Streit des Veranstalters Jan Henric Buettner mit der FIDE. Im Kern ging es darum, ob am Ende der Turnierserie ein Freestyle-Weltmeister gekürt werden darf. Standpunkt des Weltverbandes: WM-Titel vergeben dürfe nur sie. Der Konflikt ist nicht allein eine Frage der Begrifflichkeiten, das ist längst klar – sondern es geht auch um Macht. Mitorganisator GM Magnus Carlsen sprach von "Nötigung der Spieler" und "Machtmissbrauch" durch die FIDE, im Interview mit Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit legt Jan Henric Buettner nun nach. Aber es ging in dem Gespräch nicht nur um Freestyle-Schach, bei dem die Startformation der Figuren ausgelost wird - sondern auch um die Zukunft von Buettners Talentförderung, seine Unterstützung für Vincent Keymer – und, last but not least: den Deutschen Schachbund.
Herr Buettner, am Wochenende macht die "Freestyle Chess Grand Slam Tour" im Gut Weissenhaus Halt. Inwiefern kommt der ein oder andere Spieler auch verunsichert zu dem Turnier?
Ach, gar nicht. Ich habe gerade Hikaru Nakamura und Gukesh vom Flughafen abgeholt – die waren super entspannt und happy. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, aber: Wir haben jetzt für uns eine Regelung getroffen im Konflikt mit der FIDE, die die Spieler aus der Schusslinie nimmt. Die können hier unbelastet aufspielen und ihren Spaß haben – in einem tollen Ambiente.
Es scheint, als seien die Fronten zwischen Freestyle Chess und der FIDE völlig verhärtet.
Ja, aufgrund der Dämlichkeit der FIDE. Die haben mir viel Zeit und Energie geraubt mit ihrer Sturheit. Aber inzwischen sehe ich es so: Der ganze Ärger vor dem Start der Freestyle-Serie hat uns weltweite Aufmerksamkeit gebracht. Journalisten aus aller Herren Länder interessieren sich jetzt für das Thema.
Besteht denn noch eine Chance auf Einigung?
Nein, es gibt auch keinen Grund mehr für mich, mich mit der FIDE zu einigen. Das lassen wir jetzt juristisch klären. Als FIDE würde ich mich allerdings ärgern: Sie hat eine Chance vergeben, Geld zu verdienen. Und darum geht es der FIDE ja in erster Linie.
Sie hatten der FIDE zuletzt 300 000 Dollar geboten, damit Sie ihren Grand-Slam-Sieger auch Weltmeister nennen dürfen…
Ja, aber das war absurd, bis wir scheinbar soweit waren. Erst ging es darum, einen WM-Titel zu lizenzieren. Da haben wir überlegt: Was wäre uns das wert? 100 000 Dollar? Da kann man drüber reden. Dann wollten die eine halbe Million – das fanden wir schon befremdlich. Mir kommt da der Song der Dire Straits spontan in den Sinn: „Money for Nothing.“ Aber gut, wir haben immer noch an eine Einigung geglaubt, auch FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich signalisierte mir am 5. Dezember, dass wir schon zusammenfinden werden. Und dann fangen die plötzlich an, die Spieler zu belästigen, mit dubiosen Verträgen, die die unterschreiben sollten – und mit Androhung von Sanktionen, wenn sie bei uns spielen. Schon da hatte ich das Gefühl, mit dem Hausmeister gesprochen zu haben – und nicht mit dem Präsidenten des Schach-Weltverbandes.
Wie meinen Sie das?
Es gibt einen endlos langen Schriftverkehr, oft über WhatsApp, mit Dvorkovich. Wir waren uns einig, er wollte sich nur noch mit den letzten Änderungswünschen melden. Dann war plötzlich wieder alles ganz anders, was in Form einer Pressemitteilung von denen kommuniziert wurde. Diese Art der Kommunikation geht gar nicht. Ich käme nie auf die Idee, als Geschäftsmann mit einem Partner was auszumachen, gehe dann mal kurz aufs Klo – und irgendeiner meiner Mitarbeiter schreibt dann dem Geschäftspartner: alles Quatsch, wir machen das jetzt ganz anders, als der Chef gesagt hat. Wir wollten das friedlich lösen, die wollten Streit – das war mein Eindruck. Und ich weiß nicht mehr, wer bei der FIDE noch Entscheidungen trifft. Der Präsident scheinbar nicht. Irgendwann wollten die sich sogar den Begriff „Welt“ bezahlen lassen – das muss man sich mal vorstellen. Wir haben die Verhandlungen beendet, weil wir seriöse Verhandlungspartner brauchen.
Sie waren ja im engen Austausch mit FIDE-CEO Emil Sutovsky. Der hat Sie zwischenzeitlich sogar gelobt: Die Freestyle-Serie biete mehr Möglichkeiten für den Schachsport, sei also eine gute Sache.
Herr Sutovsky redet viel, postet alle drei Minuten was. Ich kann das nicht mehr ernst nehmen und habe Besseres zu tun, als wertvolle Lebenszeit mit solchen Leuten zu verschwenden. Für uns ist in der Sache mit der FIDE das letzte Wort gesprochen. Wir machen unsere Turnierserie, verzichten erstmal auf den Titel „World Champion“ – und schauen parallel mal, was auf juristischem Wege herauskommt.
Steckt womöglich auch dahinter, dass in der klassischen Schachszene oft die Furcht vor Neuem um sich greift, wenn ein neuer Player den Markt betritt?
Ja, ich denke auch, dass die FIDE vor allem Angst hat, dass sie die Schachwelt nicht mehr alleine kontrollieren könnte. In unserem Fall sind sie selbst schuld, wenn ihnen jetzt Geld durch die Lappen geht – wir hätten sie eingebunden und daran teilhaben lassen dabei, wenn etwas Großes im Schachsport entsteht.
Schon jetzt haben sie aus einer Idee eine spannende Serie entwickelt: Turniere gibt es in diesem Jahr nicht nur in Weissenhaus, sondern auch in Paris, New York, Delhi und Kapstadt.
Das wird großes Business. Wir haben fast 20 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt, die jetzt gespannt darauf sind, was wir daraus machen. Und ich kann versprechen: Das wird spektakulär.
Eine Herzensangelegenheit für Sie?
(lacht) Mein Herz habe ich an meine Frau verloren. Aber ja, ich bin schon stolz auf etwas, das ich selbst erfunden habe. Das wird die Formel 1 des Schachs. Ich gehe davon aus, dass wir auf dem Weg zu einer Milliardenfirma sind.
Es gibt das Gerücht, es bleibt nicht bei einem Standort in Deutschland…
…ein gutes Gerücht. Ich dementiere es nicht. Aber es ist zu früh, um darüber zu sprechen, was wir wo planen. Aber ein zweites Turnier in Deutschland ist schon unser Ziel.
Es gibt noch ein zweites Projekt: Die Weissenhaus Chess Academy, die auch Talenten des Deutschen Schachbundes zugutekommt. Wie beurteilen sie die Entwicklung der Akademie?
Da lasse ich meinem sportlichen Leiter Sebastian Siebrecht weitgehend freie Hand, aber eines kann ich schon sagen: Da wollen wir auch einiges verändern. Weg von der klassischen Talentförderung. Eigentlich haben wir das gemacht, um andere Leute zu inspirieren, auch in die Talententwicklung zu investieren. Künftig muss auch dieses Projekt zu unserem Weg passen. Freestyle Chess ist das, worauf wir uns konzentrieren wollen, also werden wir auch hier vom klassischen Schach weggehen und Weissenhaus in eine Freestyle-Akademie umwandeln. Die Talente werden künftig im Freestyle Chess geschult.
In der Schachszene herrscht bei vielen der Eindruck vor, der Deutsche Schachbund und Jan Henric Buettner – das sind zwei Welten, die nicht zueinander finden. Wie ist das Verhältnis zum DSB?
Ich würde sagen: gar nicht existent. Aber das ist auch nicht schlimm. Der Deutsche Schachbund macht seine Arbeit, eine gute und wichtige Arbeit – und wir machen unser Ding. Da gibt es aber keine gemeinsamen Anknüpfungspunkte. Ich sehe die Freestyle Chess Operations GmbH nicht als deutsche Organisation, sondern als internationale Organisation mit Headquarter in Deutschland. Nichts gegen den Deutschen Schachbund, aber: Ich muss mich im Schach auf eine Sache fokussieren. Und meine Lebensplanung sieht auch nicht vor, jetzt weitere Großprojekte anzugehen.
Wie sieht Ihre Lebensplanung aus?
Ich bin ja kürzlich erst 60 Jahre alt geworden. Ich will meine Geschäftsführer-Position abgeben und mich auf die Chairman-Position zurückziehen. Es ist gut möglich, dass ich mich seltener in Deutschland aufhalten werde. Mir schwebt ein Leben in Südafrika vor.
Ich würde gerne mal ganz pathetisch fragen: Was gibt Ihnen der Schachsport?
Viel. Es ist eine tolle Szene, mit super Typen. Ich liebe die Gespräche mit Spielern wie Magnus Carlsen oder Vincent Keymer. Egal, wie es weitergeht: Ich werde die Kontakte zu diesen Spielern immer pflegen. Ich möchte ihnen auch weiterhin die Möglichkeit geben, ihren Sport auf möglichst spannende Weise auszuüben – ohne sich mit Verbandspolitik im Stil der FIDE und anderen Widrigkeiten auseinandersetzen zu müssen.
Stichwort Keymer: Sie sollen mal gesagt haben, dass sie ihn finanziell so intensiv fördern wollen, dass er die Chance hat einen WM-Titel zu erringen.
Das ist falsch rübergekommen: Das ist nicht mein Wunsch – das ist sein Wunsch. Ich unterstütze ihn gerne dabei. Mir ist es aber im Grunde egal, ob er Weltmeister im klassischen Schach werden will oder Freestyle-Weltmeister – Hauptsache, Schach macht ihm weiterhin Spaß.
Elo = FIDE-Rating Standard; WRL = Weltranglistenplatz
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36288