17. November 2014
Sotschi, 2014. Im olympischen Medienzentrum war die 7. Partie der Schach-WM zwischen Weltmeister Carlsen und dem Kontrahenten Anand angesetzt. Die spannende Frage: Kann der Titelverteidiger zum Doppelschlag ansetzen? Ein weiterer Sieg nach dem vorherigen Erfolg in der Doppelpatzer-Partie vom Samstag wäre gleichbedeutend mit einem 2-Punkte-Vorsprung im Match. Das wäre für den 44-jährigen Anand schon eine schwer zu schulternde Hypothek. Am Ende stand die bisher längste Schachpartie im aktuellen Duell der Giganten in der russischen Universitätsstadt. Doch der Reihe nach.
Mit welchem Bauer würde Magnus Carlsen das Spiel nach dem 3. Ruhetag eröffnen? Nun, er zog 1. e4. Im WM-Match von Sotschi zum vierten Mal. Herausforderer Viswanathan Anand versuchte es wie in der 2. Partie mit der Spanischen Eröffnung. Auf dem Schachbrett ergab sich dann schnell eine Berliner Variante. Die Protagonisten wurden dabei auch wieder von Bernd Schroller mit dem Live-Ticker auf Spiegel Online begleitet. Dabei wird auch an Chennai 2013 erinnert:
"Im vergangenen Jahr war die WM praktisch zur Halbzeit entschieden. Carlsen lag nach zwei Siegen in Folge mit +2 in Front. In der zweiten Turnierhälfte musste er nur noch das komfortable Ergebnis verwalten, was mit Norweger mit seiner Art zu spielen nicht sonderlich schwer fiel. Ein einziger Fehler kann hier letztlich die Entscheidung bringen, vielleicht haben wir ihn schon am Samstag gesehen.“
In der 7. Partie ging es dann auch erwartungsgemäß in das Endspiel und Kommentator Bernd Schroller merkt nach dem 36. Zug an:
"Wenn Carlsen hier noch eine Chance auf den ganzen Punkt haben will, dann muss er wohl seine Bauern möglichst lange zurückhalten und mit Turm und Springer für Schwächen in der schwarzen Stellung zu sorgen. Ich finde die schwarze Bauernstruktur aber so stabil, dass ich keine ernsthaften Angriffsoptionen sehe.“
Die erste Zeitkontrolle schafften dann beide Protagonisten problemlos. Gelegenheit für mich einen kleinen Einschub vorzunehmen.
Sven Oliver Clausen, stellvertretender Chefredakteur des manager magazin, hat sich auf der Online-Website vom Spiegel unter dem Titel Was Manager vom Schach-Weltmeister lernen können an die bekannten Kernstärken des Norwegers herangewagt:
"Natürlich ist ein Schachspiel eine Sondersituation und Magnus Carlsen eine spezielle Persönlichkeit. Dennoch lohnt ein Blick darauf, wie sich der Norweger sortiert hat. Schließlich ist er so nicht nur der weltbeste Stratege im strategischsten Spiel des Planeten geworden, sondern hat auch gute Chancen, es noch viele Jahre lang zu bleiben.“
ChessBase hat sich nochmals der Samstagpartie angenommen. Chefredakteur André Schulz nimmt dabei auch die Gesamtkonstellation vom Schachmatch in Sotschi unter die Lupe und befindet:
"Auch in Bezug auf die Matchstrategie trifft Anand diese Niederlage nun zum schlechtesten Zeitpunkt. Der Farbwechsel zur Mitte des Wettkampfes begünstigt jetzt Carlsen besonders stark. Er hat zum Ende der ersten Halbzeit glücklich gepunktet und beginnt die zweite Hälfte nun mit Aufschlag. Man wird sehen, ob und wie Anand sich erholen kann.“
Stefan Kindermann, der Geschäftsführer der Münchner Schachakademie und Mitbegründer der Münchner Schachstiftung, hat sich in seiner Video-Analyse für die Süddeutsche Zeitung auch nochmals der 6. Partie zugewandt und faßt seine Eindrücke zur Halbzeit der WM zusammen:
"Zwischenfazit zur Schach-WM: Magnus Carlsen präsentiert sich zunächst stark, dann flatterhaft. Noch wechselhafter ist der Auftritt von Viswanathan Anand. Das gipfelt in der sechsten Partie.“
Doch zurück zur 7. Schachpartie. Nach der locker geschafften Zeitkontrolle beim 40. Zug ging es auf dem Schachbrett weiter. Magnus Carlsen kann ja Endspiele kneten. Minimalvorteile oder scheinbar klare Remisstellungen umwandeln von halben Punkten in Partiesiege ist eine Spezialität des Weltmeisters und norwegischen Sportler des Jahres 2013. Zahlreiche Beispiele lassen sich dafür in den Schachdatenbanken finden. Konnte Viswanathan Anand die entsprechende Gegenwehr bieten?
Nach Carlsens Königszug: 46.Kc3 merkt Bernd Schroller auf dem Live-Ticker von Spiegel Online an:
"Der König mischt sich mal wieder ins Geschehen ein. Anand wird sich mit seinem Turm weiter auf der h-Linie bewegen. h3, h5 und h7 sind die möglichen Felder, um Weiß aktives Spiel so schwer wie möglich zu machen.“
Im vergangenen Jahr in Chennai war die 6. Partie mit 67 Zügen das längste Schachspiel zwischen Anand und Carlsen. Der smarte Norweger gewann damals mit Schwarz und besiegelte die Vorentscheidung im WM-Duell 2013.
Heute legten beide Schachgenies noch etwas drauf. Die Protagonisten kämpften sich von Zug zu Zug und bescherten den Live-Tickern und Stream-Angeboten gute Zugriffszahlen.
18.57 Uhr fragt Bernd Schroller nach 81 Zügen auf dem Live-Ticker von Spiegel Online:
"Auf was spekuliert hier Carlsen? Springergabel? Mattbilder? Ich weiß es nicht.“
Doch es ging hartnäckig weiter Richtung 100. Zug. Es wurde dreistellig. Beharrlichkeit bekam eine weitere Episode hinzugefügt. 1978 gab es in Baguio beim WM-Kampf zwischen Herausforderer Viktor Kortschnoi und Weltmeister Anatoli Karpow ein erbittertes Duell über 124 Züge bevor die 5. Partie im Remis endete. Ein stundenlanges Ringen. Zug um Zug. Ein Psychoduell.
Carlsen machte den 110. Zug. Es folgte der 115. Zug des Weltmeisters. Kritiker werden ihm im Nachgang sicher eins vorwerfen: Die Spekulation auf konditionelle Schwächen von Anand, verbunden mit einem Aussetzer in puncto Konzentration. Nach 122 Zügen gab es das Remis. Gespielt waren da 6 Stunden und 22 Minuten. Tief durchatmen.
Der neue Zwischenstand nach der 7. Partie lautet 4:3 für Magnus Carlsen.
Am Dienstag wird die 8. Partie in Sotschi gespielt. Herausforderer Anand besitzt den Anzugsvorteil. Der faszinierende Kampf um die Schachkrone geht weiter.
Bleiben Sie mir gewogen.
Michael Wiemer
Der 51-jährige Michael Wiemer erlernte einst in Leipzig bei MoGoNo unter Anleitung von Trainer Paul Gaffron die Feinheiten des königlichen Spiels. Mit 14 Jahren spielte er seine ersten internationalen Fernschachpartien. Schach ist für ihn immer wieder faszinierend. Seine private Schachbibliothek ist ein beredtes Zeichen davon.
Michael Wiemers Lieblingsspieler in der Schachgeschichte ist Bobby Fischer.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19120