18. November 2014
Der Marathonpartie vom Montag folgte am Dienstag die 8. Partie. Doch bevor es zum heutigen Geschehen geht, noch ein paar Worte zur 122-Züge-Schlacht. Anands Festung hielt gegen Carlsen. Ein Lakmustest für die Kondition und Konzentration. Der indische Herausforderer hat ihn am Wochenanfang in Sotschi bestanden. Der von den norwegischen Schachfans erhoffte und vom neutralen Beobachter gefürchtete Doppelschlag vom Champion blieb aus. Eine 2-Punkte-Führung nach sieben Spielen im skandinavischen Team, blieb so Wunschdenken, dank der Verteidigungskraft des indischen Herausforderers. Es stand 4:3 für Magnus Carlsen.
Im Schachmatch des Jahrhunderts zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski 1972 in Reykjavik führte das amerikanische Schachgenie mit demselben Ergebnis nach sieben Partien. Allerdings war der Schachgigant mit einem 0:2-Rückstand in der isländischen Metropole vor 42 Jahren gestartet.
Seither hat sich einiges im Schach geändert. Die Technik hielt Einzug. WM-Kämpfe wurden gläsern. Wie heißt es so schön beim Live-Ticker von Spiegel Online:
"Schach-Engines sehen den Spieler aktuell im Vorteil.“
Ulrich Stock warf auf Zeit Online einen Blick auf die Schachprogramme, die den Zuschauern oft zu Prognosen verleiten.
"Durch den technischen Fortschritt hat sich Schach zu einer Vorhersagesportart entwickelt. Während die beiden Kämpfer auf sich gestellt sind und in komplexen Stellungen die Übersicht behalten müssen, glauben die Damen und Herren am Spielfeldrand, allwissend zu sein. Die TV-Moderatoren vor den Kameras im Medienzentrum des Olympischen Dorfes und die Kiebitze rund um den Globus zu Hause an ihren Computerbildschirmen, sie überbieten sich an Schlauheit in der Kommentierung, gestützt immer auf die Rechenkraft der mitlaufenden Schachprogramme. Manchmal führt das direkt in die Irre – wie an diesem Montag.“
Schachexperte André Schulz drückte auf ChessBase seinen Wunsch nach einem neuen Rekord aus, der in der Mammutpartie am Montag möglich gewesen wäre:
"Nach 122 Zügen und knapp 6,5 Stunden endete die Partie. Damit verfehlten Carlsen und Anand den WM-Rekord knapp. Die 5. Partie zwischen Kortschnoi und Karpow bei der WM 1978 dauerte 124 Züge. Die drei Züge hätte Carlsen doch noch machen können...“
Die Länge der Schachpartie war auch eine Herausforderung für die Kommentatoren. Schachreporter Ulrich Stock auf Zeit Online:
"Die Partie dauert und dauert. Im Pressezentrum werden Tee und Kaffee abgeräumt, für die Journalisten beginnt eine Durststrecke.“
Richard Forster titelt für die Neue Zürcher Zeitung Anands heroische Verteidigung und merkt gestern Abend um 22.18 Uhr an:
"122 Züge dauerte die Abwehr, doch am Ende hatte Anand das Remis gesichert. Es war eine trostlose, zähe und undankbare Sache, aber er hatte Carlsen standgehalten, und zwar auf dessen bevorzugtem Terrain. Nach sieben von zwölf Partien liegt Anand noch immer einen Punkt zurück. Doch 122 Züge ohne Fehler bedeuten mehr als nur guten Schlaf – sie sind psychologisch sehr wichtig.“
Doch nun zur 8. Schachpartie zwischen Schachweltmeister Magnus Carlsen und Herausforderer Viswanathan Anand im olympischen Medienzentrum von Sotschi. Wer hatte die gestrige Begegnung mit 6 Stunden und 22 Minuten Spieldauer besser verkraftet? Lag heute ein schnelles und friedfertiges Remis in der Luft? Oder wollte der Tiger von Madras mit den weißen Figuren seinen Anzugsvorteil vehement in einen vollen Punktgewinn ummünzen?
Der Ex-Weltmeister aus Indien eröffnete wieder mit dem Damenbauern. Der norwegische Weltmeister hatte im bisherigen Verlauf mit Grünfeld-Indisch in der 1. Partie, mit dem Abgelehnten Damengambit in der 3. Partie und Damenindisch in der 5. Partie geantwortet. Heute befanden sich beide Schachprofis nach Carlsens Antwort wieder im Abgelehnten Damengambit.
Kommentator Bernd Schroller merkt auf dem Live-Ticker von Spiegel-Online an:
"Mit der heutigen Partie verschiebt sich auch ein wenig der grundsätzliche Blick auf dieses Duell. Carlsen hat sein Eröffnungsrepertoire scheinbar deutlich verbessert. Das deutete sich schon in der fünften Runde im Dameninder an, heute diktierte er mit einer tief vorbereiteten Variante das Geschehen in einer nur scheinbar scharfen Eröffnungsphase.“
Apropos Eröffnungsvorbereitung. Vor dem Match in der russischen Universitäts- und Sportstadt Sotschi hatte sich Schachpublizist Johannes Fischer auf Zeit Online in seiner Vorschau auf die WM auch darüber Gedanken gemacht und befand:
"Ohne Frage kann Anand phasenweise annähernd perfekt spielen. Doch wird dies nicht ausreichen. Anand müsste es schaffen, Carlsen unter Druck zu setzen und ihn zu Fehlern zu verleiten. Doch Anands Ansatz, den Gegner mit einer guten Eröffnungsvorbereitung anzuspringen, hat schon 2013 nicht funktioniert. Und wird es auch dieses Mal nicht.“
Nach der gespielten Eröffnung in der 8. Schachpartie der beiden Schachgiganten ging es unmittelbar ins Mittel- und Endspiel. Dies war für den Herausforderer nicht zu gewinnen. Nach 41 Zügen gaben sich Viswanathan Anand und Magnus Carlsen die Hände. Remis.
André Schulz titelt auf ChessBase Carlsen mühelos zum Remis und leitet seinen Artikel mit folgendene Worten ein:
"Das Carlsen-Team hat sich gut auf die heutige Partie eingestellt und im Abgelehnten Damengambit mit 5.Lf4 eine interessante Spielweise vorbereitet. Nach 9...Te8 war Anand aus seiner Vorbereitung und konnte in der Folge keinerlei Vorteil nachweisen. Carlsen kam mühelos zu einem Remis und der Titelverteidigung einen halben Punkt näher.“
Damit geht es in den morgigen Ruhetag am Mittwoch mit einem Zwischenstand von 4,5:3,5 für Carlsen.
Bleiben Sie mir gewogen.
Michael Wiemer
(Anm. Redaktion: Mangels aktueller Bilder zum Redaktionsschluß, wurden Fotos von vor dem WM-Match hinzugefügt.)
Der 51-jährige Michael Wiemer erlernte einst in Leipzig bei MoGoNo unter Anleitung von Trainer Paul Gaffron die Feinheiten des königlichen Spiels. Mit 14 Jahren spielte er seine ersten internationalen Fernschachpartien. Schach ist für ihn immer wieder faszinierend. Seine private Schachbibliothek ist ein beredtes Zeichen davon.
Michael Wiemers Lieblingsspieler in der Schachgeschichte ist Bobby Fischer.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19124