13. November 2014
Heute ist Ruhetag für die gerne mit Mozart des Schachs und Tiger von Madras betitelten Großmeister Carlsen und Anand. Die ersten vier Partien der Schachweltmeisterschaft 2014 in Sotschi sind gespielt. Vor einem Jahr in Chennai gab es zu diesem Zeitpunkt des WM-Kampfes nur Punkteteilungen zu verzeichnen. 4 Remis in Folge. Nach dem 2. Ruhetag setzte dann der norwegische Schachheld zu seinem Doppelschlag an, von dem sich der indische Titelverteidiger nicht mehr erholen sollte.
Am Mittwoch eröffnete Magnus Carlsen im olympischen Medienzentrum von Sotschi mit dem Königsbauern und Viswanathan Anand erwiderte mit Sizilianisch. Nach 28 Zügen um 16.13 Uhr vermeldete dann Kommentator Bernd Schroller auf dem Live-Ticker von Spiegel Online:
"Ab dem 30. Zug dürften die Spieler sich auch jederzeit auf Remis einigen. Anand würde sicher sofort einwilligen. Aber ob Carlsen ihm das Angebot macht? Es wäre zu einem solch frühen Zeitpunkt der Partie auch ein Hinweis auf die Verfassung des Weltmeisters, der ja eigentlich JEDE Stellung bis zum Ende ausspielen will."
Nun, es wurde dann tatsächlich noch weitergespielt. Magnus Carlsen gilt ja als ausgesprochen zäher Endspielspezialist, der Stellungen auch so richtig kneten kann. Durfte sich die Schachwelt auf einen langen Nachmittag einstellen?
Volkswirtschaftler sprechen immer gerne die sinkende Produktivität während sportlicher Großereignisse wie Fußball-WM oder olympischen Spielen an. Schachweltmeisterschaften reihen sich da offenbar problemlos ein. Ulrich Stock benannte auf Zeit Online konkret dieser Tage das Phänomen aus norwegischer Sicht. Der Bürgermeister von Oslo, Fabian Stand, klagte gegenüber der norwegischen Zeitung Aftenposten sein Leid:
"Jeder von uns arbeitet für jemanden in der Stadt. Wer uns braucht, darf nicht leiden, weil unsere Angestellten während der Arbeitszeit die Schachweltmeisterschaft verfolgen."
Wer in Norwegen gestern trotzdem das Match von Sportstar Magnus Carlsen verfolgte, erlebte ein Endspiel mit dem auf ein Remis zusteuernden Ausgang. Bernd Schroller war sich auf Spiegel Online um 16.53 Uhr sicher:
"Das ist ein halbes Remisangebot. Carlsen bietet die Springer zum Tausch. Das Damenendspiel ist nicht mehr zu gewinnen."
Nun, es wurde dann noch gut eine Stunde gespielt. Dann gab es den Händedruck, der das Remis besiegelte. Damit steht es im russischen Sportort Sotschi nach 4 WM-Schachpartien 2:2.
Schön zu sehen wie Viswanathan Anand und Magnus Carlsen nach der Schachpartie noch entspannt am Brett saßen und ein wenig plauderten. Festgehalten in der langen und sehenswerten Bildstrecke bei ChessBase inklusive der Analyse der Mittwochpartie. Bonusmaterial obendrein: Der Videobeitrag von Daniel King, der die Geschehnisse auf den 64 Feldern gekonnt aufdröselt.
Die Neue Zürcher Zeitung geht kurz auf die Eröffnung der 4. Partie ein und merkt an:
"Der Herausforderer Viswanathan Anand, beflügelt durch den durchschlagenden Erfolg in der dritten Partie, lud Weltmeister Magnus Carlsen mit der Sizilianischen Verteidigung erneut zu einem scharfen Gefecht ein, aber wie schon im zweiten Spiel wich der Norweger einem Theorieduell frühzeitig aus."
Was bedeutet der Zwischenstand von 2:2 für den weiteren Turnierverlauf? Nun, psychologisch hat Viswanathan Anand durch den schnellen Ausgleich des Rückstandes ein großes Achtungszeichen gesetzt. In Chennai gelang es nie, den smarten Carlsen in die Knie zu zwingen und einen Punktsieg in einer einzelnen Partie davonzutragen. Der indische Ex-Weltmeister wirkt körperlich und mental stärker als im November 2013. Vielleicht ist auch der psychologische Druck vom Spiel vor heimischem Publikum gewichen. Außerdem sind die Rollen vertauscht. Weltmeister Carlsen hat jetzt den Titel zu verlieren. Anand ist als Herausforderer der Jäger. Eine gänzlich andere Situation als vor 12 Monaten.
Trotzdem hat Carlsen alles selber in der Hand - gar keine Frage. Für den neutralen Beobachter ist der jetzige Turnierverlauf selbstverständlich aus Sicht der Spannung gut gelaufen. Man stelle sich eine 2 Punkte Führung vom Weltmeister nach 4 Partien vor. So ist der Reiz auch nach dem 2. Ruhetag gegeben. Am Freitag eröffnet dann Anand mit Weiß das 5. Spiel. Der Spannungsbogen ist für alle Schachfreunde weiterhin hoch. Die Protagonisten werden weiter um den Weltmeistertitel in Sotschi kämpfen.
Bleiben Sie mir gewogen.
Michael Wiemer
Der 51-jährige Michael Wiemer erlernte einst in Leipzig bei MoGoNo unter Anleitung von Trainer Paul Gaffron die Feinheiten des königlichen Spiels. Mit 14 Jahren spielte er seine ersten internationalen Fernschachpartien. Schach ist für ihn immer wieder faszinierend. Seine private Schachbibliothek ist ein beredtes Zeichen davon.
Michael Wiemers Lieblingsspieler in der Schachgeschichte ist Bobby Fischer.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19104