1. Dezember 2024
Am Sonntag saß er im Zug, auf der Heimreise. „Such Dir aus, wie ich mein Gefühl beschreiben soll“, sagte Gert Schulz, der Referent des Deutschen Schachbundes für Inklusion, „rundum zufrieden, überglücklich, voller Freude über ein wunderbares Turnier.“ Die ersten Deutschen Meisterschaften für Behinderte in Augsburg haben mehr als nur Sieger gefunden. Sie strahlten Lebensfreude aus, rund um das Thema Schach. „Es war ein Höhepunkt für unseren Sport“, sagte Schulz.
Zum Abschluss noch eine dieser schönen Geschichten, die diese Meisterschaft geschrieben hat – und die Gert Schulz schwärmen lassen. Am Brett: Matthias Steinhart, ein blinder Spieler, gegen Moritz Jakob Gronemeyer, einen Autisten. Das Ergebnis (Sieg für Gronemeyer): nicht so wichtig. Aber: Mit dabei, aus dem sechsköpfigen Assistenten-Team: Zarko Vuckovic, 2334 Elo. Schachfreunde Augsburg, 23 Jahre alt, er studiert auf Lehramt. „Es ist ein Geschenk, einen Assistenten zu haben mit so viel Schach-Wissen“, sagte Gert Schulz, „und zudem so viel Feingefühl und Souveränität für die Menschen, denen er da am Brett assistiert. Solche Partien haben diese Meisterschaft so beeindruckend gemacht.“ Ja, auch das ist gelebte Inklusion.
Hinzu kam: Ein großes Helferteam, bestehend aus Mitgliedern der Schachfreunde Augsburg und der Schachgesellschaft Augsburg 1873, dem ältesten Verein der Stadt. Menschen, die sich aus Überzeugung reinknieten, wie Schulz es beschreibt: „Die hatten alle so viel Interesse für das Thema Schach und Behinderung, das fand ich fantastisch. Und für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer war natürlich die Turnierleitung ein Highlight“, so Schulz, „Analysen ihrer Partien mit einer Schach-Legende wie Artur Jussupow – das werden viele niemals vergessen.“
Zum Sportlichen. Es war, so Turnierdirektor GM Artur Jussupow, „ein tolles Turnier mit einem dramatischen Finale.“ Artur Kevorkov, der lange auf dem ersten Platz lag, unterlag im entscheidenden Duell IM Sergej Salov, dem Gehörlosen-Weltmeister der Senioren, und landete schließlich nur auf dem dritten Platz. Doch auch Salov reichte dieser Erfolg nicht zum Turniersieg, da ein anderer Favorit, IM Alexander Meier, sich noch in den Kampf einmischte. Er besiegte Daniel Flock und überholte den Veteranen aus Lübeck dank besserer Feinwertungen. „Das war spannend und hat richtig Spaß gemacht“, sagte Jussupow, der sich gemeinsam mit Gattin WFM Nadja Jussupow ein Sonderlob von Schulz abholen durfte. „Ohne die beiden wäre so vieles nicht möglich gewesen, was das Turnier zu einem Erlebnis gemacht hat.“
Hervorzuheben ist laut Jussupow auch die starke Leistung von Manuela Mekus, die nicht nur den Damenpreis gewann, sondern sich auch den Titel der Turniersiegerin sicherte - sowie das Recht, am Kandidatenturnier der Deutschen Meisterschaft teilzunehmen. Sie war zwar die einzige Frau, habe sich aber durch ihr mutiges Spiel auch die Auszeichnung verdient, so Jussupow. Sonderpreise für die "beste Performance" gingen an Moritz Gronemeyer, Stefan Kewe und Mark Vlad. So ging kaum einer mit leeren Händen nach Hause – und vor allen Dingen: alle reisten mit guten Gefühlen ab.
Die Ergebnisse bei chess results
Bei der Abschlussfeier im Hotel Ibis am Königplatz überreichten Schirmherr Benedikt Lika, Augsburger Stadtrat, und der Vizepräsident des Deutschen Schachbundes, Guido Springer, sowie Thomas Weischede und Laura Schalkhäuser von der Emanuel-Lasker-Gesellschaft, die Preise – gemeinsam mit Schulz.
Am Rande wurden zudem große Pläne geschmiedet. Da ist das Inklusions-Festival im kommenden Jahr in Ruit (geplant ist es vom 18. bis 24. August), in dessen Rahmen auch die nächste Deutsche Behinderten-Meisterschaft stattfinden soll. „Da herrscht schon eine gewisse Vorfreude“, sagt Schulz. Aber nicht nur darauf liegt der Focus. Er habe in Augsburg potenzielle Mitstreiter gefunden für eine breiter aufgestellte Kommission innerhalb des Referats Inklusion, die Schulz in der Vergangenheit gerne als „One-Man-Show“ bezeichnet hat: „Da gibt es jetzt einige Interessierte, die mitarbeiten wollen.“ Außerdem plane er die Gründung eines Fördervereins für Inklusion im Schach.
Ein Turnier als Initialzündung für noch mehr Inklusion in einer der inklusivsten Sportarten überhaupt – so war es geplant. Es hat offensichtlich funktioniert. (mw)
Bisherige Berichterstattung zum Turnier
26.09.2024 Gert Schulz über die erste Deutsche Behindertenmeisterschaft
15.10.2024 Die ersten Meisterschaft für behinderte Spielerinnen und Spieler
04.11.2024 Das Interview mit dem Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel
21.11.2024 Der kleine Mark Vlad: "Beim Schach ist meine Behinderung völlig egal."
27.11.2024 Wenn der gehörlose auf den blinden Spieler trifft
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