11. April 2015
Am 5. April ging in Sotschi (Russland) die Weltmeisterschaft der Frauen zu Ende. Die 22-jährige Ukrainerin Maria Musitschuk setzte sich gegen 63 Kontrahentinnen, von denen sie sechs selbst ausschaltete, souverän durch. Damit trat sie wohl endgültig aus dem Schatten ihrer zweieinhalb Jahre älteren Schwester Anna, die schon länger zur Weltspitze bei den Frauen zählt.
Im Finale besiegte Maria Musitschuk die Russin Natalja Pogonina mit 2½:1½. Die Entscheidung fiel dabei glücklicherweise bereits in den Partien mit langer Bedenkzeit. Der Nervenkitzel, im Schnell- oder gar Blitzschach böse danebenzugreifen, blieb beiden erspart.
Für den Zuschauer mag der Nervenkitzel dagegen durchaus willkommen sein, muß man doch nicht mehr den halben Tag lang auf die Entscheidung in nur einer Partie warten. In den Stichkämpfen mußten dagegen gleich mehrere Partien hintereinander absolviert werden. Die Bedenkzeit wurde dabei immer kürzer und die Fehlerquote immer höher. Manche WM-Kandidatinnen, die sich zu sehr auf ihre Schnellschachqualitäten verlassen haben, werden bitter enttäuscht worden sein, wenn die Gegnerin einen unerwartet großen Widerstand beim Kurzzeitspiel leistete.
Bei den Männern wurde der K.o.-Modus mit hohem Glücksfaktor abgeschafft. Warum die Frauen immer noch nach diesem Modus ihre Weltmeisterschaft austragen, darüber machte sich auch Ilja Schneider im Zeit-Blog Gedanken: "Bei den Frauen scheint es niemanden zu stören, vielleicht gar erwünscht zu sein, die Partien den Launen der Schachgöttin Caissa zu überlassen. 24 von 63 Begegnungen wurden in Sotschi im Schnell- oder gar Blitzschach entschieden. Dabei besitzen Blitzpartien zur Ermittlung einer Weltmeisterin ungefähr so viel Aussagekraft, wie wenn im Fußball der Masseur, Platzwart und Busfahrer im Falle eines Gleichstands an den Elfmeterpunkt müssen."
Mit Wehmut erinnere ich mich an die WM-Zweikämpfe des letzten Jahrhunderts, wo sich die Kandidaten noch durch die Mühlen von Zonen- und Interzonenturnieren mit normaler Bedenkzeit kämpfen mußten. Nur die besten Sechs durften danach in mitunter wochenlangen Zweikämpfen mit den Finalisten des vorherigen Kandidatenzyklus den Herausforderer des Weltmeisters ausspielen. Dieser Weg war lang und steinig und viele große Talente überstanden dieses Auswahlverfahren nicht unbeschadet. Am Ende war sich aber die Schachwelt einig, daß sich wirklich die Besten im WM-Finale gegenübersitzen.
Das kann man vom jetzigen Modus nicht behaupten. In unserer schnellebigen Zeit ist die FIDE offensichtlich immer noch der Meinung, möglichst vielen Spielerinnen eine WM-Chance geben zu müssen. Und damit das Ganze nicht zu lange dauert, wird die Bedenkzeit immer weiter verkürzt. Wenigstens wurde die Frauen-WM in Sotschi dadurch nicht ganz auf den Kopf gestellt. Mit Maria Musitschuk gewann immerhin die Weltranglistenzwölfte. Ob sie aber in einigen Monaten beim Zweikampf gegen Hou Yifan eine Chance hat, bezweifeln zumindest die Elo-Experten. Ilja Schneider: "Rechnerisch würde sie [Hou Yifan] ein Match über zehn Partien etwa mit 7:3 gewinnen."
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19620