5. November 2014
Lange haben wir darauf gewartet, Samstag 8.11. geht es los - was die Partien betrifft, die Eröffnungsfeier ist tags zuvor. Mitunter hiess es, wir könnten noch ein Jahr länger warten, d.h. einen WM-Kampf sollte es nur jedes zweite Jahr geben. Zwischenzeitlich war unklar, ob dieses WM-Match in dieser Form an diesem Ort mit diesen beiden Spielern stattfinden würde.
Zum ganzen (schach)politischen Drumherum nur so viel: Einerseits ist Sochi bzw. Russland in der momentanen politischen Situation kein idealer Austragungsort. Andererseits ist es der einzig mögliche Austragungsort - niemand anders wollte dieses Match bzw. konnte/wollte es finanzieren. Ausserdem ist, wenn man Politik aussen vor lässt, Russland mit seiner langen Schachtradition kein "verkehrter" Ort für ein WM-Match? Aus dem Carlsen-Lager war zu hören, dass man den "Markennamen Magnus Carlsen" anderswo - genannt wurden New York, Paris und 'notfalls' Norwegen - besser präsentieren könnte; aber Sinn und Zweck eines WM-Matches ist doch nicht, _einen_ Spieler selektiv zu präsentieren? Sie setzten offenbar voll auf Kasparov als Sieger der FIDE-Präsidentenwahl, womit alles anders und besser würde ('besser' aus Sicht von Carlsen), aber dann haben die Delegierten sich anders entschieden. Danach hat Carlsen gepokert und gezögert und hat am Ende doch den Spielervertrag unterschrieben - nun wird Karjakin bis auf weiteres nicht Weltmeister.
OK, WM-Match in Sochi - in offenbar ansprechendem Ambiente: So (Titelbild, Quelle Turnierseite) sieht der Turniersaal anscheinend aus.
Zunächst ein paar nackte Fakten: Gespielt wird offenbar (auch wenn ich das auf der Turnierseite nirgendwo finden kann) um 15:00 Ortszeit, d.h. 13:00 in Deutschland. Nach zwei Tagen gibt es jeweils einen Ruhetag. Falls das Match dann noch nicht entschieden ist, gibt es auch nach der 11. Partie einen Ruhetag sowie - wenn es immer noch nicht entschieden ist - nach der 12. Partie mit klassischer Bedenkzeit und vor dem Tiebreak. Tiebreak wäre Schnellschach, eventuell nach 4 Schnellpartien Blitzschach, eventuell wenn es nach 10 (5*2) Blitzpartien immer noch unentschieden steht, Armaggedon.
Kurze Spielerporträts findet der Leser (zum Beispiel) auf der WM-Seite des Schachbunds. Ich setze das weitgehend als bekannt voraus und werde nur auf die letzten 12 Monate eingehen - aber zunächst beide Spieler 'fotografieren' bzw. Fotos von der Turnierseite übernehmen.
Carlsen war bekanntlich klarer Sieger des letzten WM-Matches in Chennai/Madras. Danach gab es Spekulationen, ob Anand seine lange und erfolgreiche Laufbahn beenden oder zumindest auf eine 'Demütigung' im Kandidatenturnier verzichten würde. Bekanntlich spielte Anand im Kandidatenturnier (dem Vernehmen nach musste sein Kumpel Kramnik ihn überzeugen) und verzichtete dann auf eine Demütigung. Stattdessen gewann er überlegen - was Carlsen ein Jahr zuvor nicht gelang. Anschliessend spielte Anand nur sporadisch, um sich vor allem auf ein WM-Match im November vorzubereiten. Carlsen und Kasparov wollten dieses Match dann ein halbes Jahr verlegen - aber ich will ja Schachpolitik aussen vor lassen. Zuletzt gewann Anand in Bilbao. Ganz zuletzt erinnerte er sich daran, dass eine Generalprobe schief gehen sollte - Niederlage gegen Aronian in der letzten Runde in Bilbao (Anand hatte den Turniersieg bereits gesichert) und mässig erfolgreicher Auftritt bei einem Schnellturnier in Korsika. Gesamteindruck: Anand hat jedenfalls wieder Spass am Schachspiel und ist auch bereit, gewisse Risiken einzugehen.
Carlsen im selben Zeitraum? Sieg beim Gashimov-Memorial trotz zweier Niederlagen. Zweiter Platz beim Heimspiel Norway Chess (glücklicher Turniersieger war Karjakin). Durchwachsener Auftritt beim nächsten Heimspiel Olympiade in Tromsö - unter anderem haben Carlsen und Naiditsch gemeinsam bewiesen, dass der Norweger nicht jedes bessere Endspiel gewinnt. Sinquefield Cup im Schatten von Caruana - wobei dieser ihm nun doch bis auf weiteres nicht Platz 1 in der Weltrangliste streitig machen kann. Gesamteindruck: Carlsen ist durchaus verwundbar.
Gegeneinander spielten beide zuletzt nur bei der Schnell- und Blitzschach-WM in Dubai. Carlsen gewann beide Turniere nach jeweils turbulentem Verlauf, Anand gewann das direkte Mini-Match aufgrund eines Sieges im Schnellschach (Fotoquelle Turnierseite):
Dieser Sieg war eher ein Zufallsprodukt nach einem Carlsen-untypischen Patzer, und Schnellschach wird in Sochi nur eventuell am (verflixten) dreizehnten Tag gespielt.
Prognosen? Carlsen ist natürlich trotz alledem wiederum Favorit, aber vielleicht/hoffentlich wird es zumindest spannender als zuvor in Chennai. Damals habe ich immerhin ein neues russisches Wort gelernt: "odnovorotnim" (im Original von Emil Sutovsky und Daniil Dubov) bedeutet 'einseitig' oder in der Fussballsprache 'Spiel auf ein Tor'. Kein 'Experte' rechnete mit Anand als Sieger des Kandidatenturniers oder mit Andreikin als Sieger in Taschkent ... .
Was kann ich noch schreiben? Zu Sekundanten ist diesmal (jedenfalls mir) bisher wenig bekannt. Jon Ludvig Hammer und auch Peter Heine Nielsen (letztes Jahr noch neutral) helfen offenbar Carlsen - beim Höhentraining in Zermatt stand neben Skifahren sicher auch Schach auf dem Programm [hier gefunden, Originalquelle Carlsens Sponsor VG]. Letztes Jahr hatte Anand Freund und Feind überrascht, indem er gleich in der ersten Pressekonferenz die Namen seiner Sekundanten (wenn auch vielleicht nicht alle) nannte - aber diese Pressekonferenz zur Eröffnung des WM-Matches hat bei Redaktionsschluss noch nicht stattgefunden. Abwarten, ob z.B. Wojtaszek nächstes Wochenende in der deutschen Bundesliga spielt, Leko (einer von Anands Sekundanten in Chennai) spielt jedenfalls parallel beim Petrosian-Memorial in Moskau. Aber vielleicht haben Leko, und es gab auch Gerüchte betrifft Kramnik, Anand im Vorfeld geholfen?
Livekommentar gibt es jede Menge: auf Englisch laut Turnierseite Peter Svidler und Sopiko Guramishvili plus Gäste, u.a. Kramnik. Auf Deutsch Stefan Kindermann für die Süddeutsche Zeitung, diverse Grossmeister (vor allem Klaus Bischoff) für Chessbase sowie ein Quintett (Elo-mässig angeführt von Bundestrainer Dorian Rogozenco) für chess24. Ausserdem auch noch in anderen Sprachen, z.B. Russisch und Norwegisch. Matchberichterstattung wird es sicher auch 'überall' geben, von mir wohl wieder nach jeweils vier gespielten Partien - je nach Matchverlauf wird der Abschlussbericht früher oder auch später erscheinen.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 19050
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