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Der Schachkongress in Braunschweig von 1880

12. Mai 2022

Seit seiner Gründung im Jahr 1877 bis zur Gleichschaltung im Großdeutschen Schachbund 1933 richtete der Deutsche Schachbund zahlreiche Deutsche Schachkongresse aus. Doch schon davor gab es Schachkongresse der regionalen Schachbünde, die national viel Beachtung fanden und den Weg für den DSB ebneten. Der DSB-Beauftragte für Schachgeschichte und Schachkultur André Schulz hat die Geschichte der Kongresse des Westdeutschen Schachbunds und insbesondere des letzten im Jahr 1880 zusammengefasst.

Die Zeit vor den Weltkriegen war die Zeit der Schachkongresse. So wurden große Schachveranstaltungen genannt, bei denen oft mehrere Turniere parallel in verschiedenen Leistungsklassen ausgetragen wurden. Heute würde man es vielleicht Festivals nennen. Nach der Gründung im Jahr 1877 richtete der Deutsche Schachbund seine Meisterschaften, die auch für internationale Spieler zugänglich waren, im Rahmen solcher Schachkongresse aus. Wenn man den Gründungskongress 1877 in Leipzig mitzählen möchte, gab es bis 1914 zwanzig Schachkongresse des Deutschen Schachbundes. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden zwischen 1920 und 1931 noch acht weitere Schachkongresse organisiert. Und nachdem der Deutsche Schachbund infolge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten durch den Großdeutschen Schachbund ersetzt wurde, organisierte dieser bis 1943 zehn weitere Schachkongresse. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Tradition nicht fortgeführt, aber mit seinem Schachgipfel knüpft der Deutsche Schachbund jüngst wieder an die alte Tradition an.

Noch vor der Gründung des Deutschen Schachbundes, sieben Jahre nach der Reichsgründung, hatten sich regionale Schachverbände formiert, wie der Westdeutsche Schachbund, der Norddeutsche Schachbund oder der Mitteldeutsche Schachbund. Auch diese führten schon Schachkongresse durch, wenn auch nicht in der dichten Folge wie später der Deutsche Schachbund. Der älteste dieser regionalen Schachverbände war der Westdeutsche Schachbund, der 1861/62 ins Leben gerufen wurde und seine Keimzelle bei Schachfreunden in Elberfeld (heute ein Teil von Wuppertal) und Düsseldorf hatte. Am 23. August 1861 lud Alfred Schlieper (1828-1907) vom Elberfelder Schachclub zu einem Kongress am 22. September 1861 nach Düsseldorf ein. Das war der erste Schachkongress auf deutschem Boden überhaupt, gleichzeitig der Beginn des organisierten Schachs in Deutschland. Von nun an traf man sich fast jedes Jahr erneut. Die Initiative schlug hohe Wellen und fand auch bei den prominenten Schachfreunden jener Zeit, z.B. Tassilo von der Heydebrand und der Lasa (1818-1899) oder Dr. Dr. Max Lange (1832-1899) großen Widerhall. Max Lange, Chefredakteur der Schachzeitung fertigte von den Kongressen des Westdeutschen Schachbundes 1862 und 1863 Jahrbücher an, die das Geschehen und die beteiligten Personen für die Nachwelt festhielten. Der Westdeutsche Schachbund bestand auch nach der Gründung des Deutschen Schachbundes weiter fort.

Zwischen 1861 und 1880 organisierte der Westdeutsche Schachbund insgesamt 13 Schachkongresse, davon fünf in Düsseldorf, je einen in Elberfeld und Barmen (Wuppertal), zwei in Köln, einen in Crefeld (Krefeld) und einen in Aachen. Die beiden letzten Schachkongresse des Westdeutschen Schachbundes fanden etwas außerhalb des westdeutschen Kerngebietes statt. 1878 traf man sich in Frankfurt am Main und 1880 beim letzten Kongress des Westdeutschen Schachbundes in Braunschweig.

Ein Turnierbuch vom letzten Kongress des Westdeutschen Schachbundes von 1880 in Braunschweig gibt es nicht, aber Schachfreund Rainer Krämer hat aus den zeitgenössischen Berichten der Deutschen Schachzeitung und in der lokalen Presse mit etwas Verspätung ein sehr schönes Turnierbüchlein zusammengestellt. Das 75 Seiten starke Heft lädt dazu ein, in eine andere Zeit und in die Frühgeschichte des deutschen Turnierschachs einzutauchen. Der lokale Ausrichter des Schachkongresses war der Braunschweiger Schachclub von 1869. Der Klub existiert auch über 150 Jahre später immer noch. Nach einer Fusion heißt er seit 2004 „Schachclub Braunschweig Gliesmarode von 1869“.
Das Büchlein bietet viele nette Details und Informationen. Der Kongress wurde im Hotel d’Angleterre gespielt. Das Haus, 1713 erbaut, war auch der Treffpunkt für die Schachfreunde des Braunschweiger Schachclubs und gehörte Rutger Heinrich Röntgendorf. Gottfried Ephraim Lessing gehörte zu seinen regelmäßigen Gästen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus zerstört, danach neu aufgebaut. Die Organisation des Schachkongresses wurde vom „Local-Comité“ unter der Leitung von C. Freystedt übernommen. Die Veranstaltung wurde am Samstagabend des 17. Juli 1880 mit einem geselligen Empfang eröffnet. Am folgenden Sonntag ab 9 Uhr saßen die Herren an ihren Brettern und spielten die erste Runde. Am Sonntagabend Generalversammlung und ein weiteres Bankett. Montag und Dienstag Doppelrunden, morgens und nachmittags. Mittwoch-Nachmittag: Ausflug in den Harz.

Die Kreuztabelle des Meisterturniers führte handschriftlich (wie auch sonst?) Fritz Riemann (1859-1932), der im deutschen Schachleben jener Zeit eine wichtige Rolle spielte. Riemann hat die Tabelle aufbewahrt. Sie wurde in seinem Nachlass gefunden. Das Turnier gewann Louis Paulsen (1833-1891) mit 9 aus 10.

Seine Partie gegen August Franke (1832-1891) zeugt vom tiefen Spielverständnis von Louis Paulsen, einem der besten Spieler seiner Zeit.

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Als erster Preis waren mindestens 500 Mark ausgelobt. Fritz Riemann wurde Zweiter mit 7,5 Punkten, was sicher ein guter Grund für ihn war, die Tabelle aufzubewahren. Mit Wilfried Paulsen (1828-1901), Max Bier (1854-1934), Emil Fritz („Fritz-Variante“), Johannes Minckwitz (1843-1901) oder Emil Schallopp (1843-1919) waren einige weitere bekannte Namen im Feld des Meisterturniers zu finden. Der Turnierverlauf ist in den zeitgenössischen Berichten gut dokumentiert und anders als heutzutage bei Topturnieren war damals nach den Partien auch ausreichend Zeit für ein geselliges Beisammensein. Niemand musste sich vorbereiten. Womit auch? Dem Büchlein kann man entnehmen, dass der damalige Zeitgeist von einer gewissen Heiterkeit beseelt war. Das Heft enthält nämlich auch einige Verse. Vermutlich wurden bei viel Gesang auch geistige Getränke konsumiert. In alten Fotos schaut man den Spielern ins Gesicht. Wie heute wieder, waren Bärte groß in Mode. Last, but not least sind über 40 Partien abgedruckt. So wurde also damals Schach gespielt.

Das Büchlein kann bei Rainer Krämer direkt bezogen werden:

Der Schachkongress Braunschweig 1880

Im Selbstverlag hat Rainer Krämer die Informationen über den 13. und letzten Kongress des Westdeutschen Schachbundes in einem 76-seitigen DIN-A5-Büchlein zusammengetragen. Neben den Berichten aus der Deutschen Schachzeitung und den lokalen Tageszeitungen werden auch viele Partien des Meisterturniers und einige einzigartige Dokumente veröffentlicht.

Preis 12,50 € (zzgl Portokosten).

Bestellungen unter oder Tel. 05337-1388

André Schulz
Beauftragter für Schachgeschichte und Schachkultur

// Archiv: DSB-Nachrichten - Schachgeschichte // ID 10931

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