29. Mai 2014
Die aktuelle Diskussion um den Ausschluss des Deutschen Schachbundes (DSB) von der Leistungssportförderung durch das Bundesministerium des Innern (BMI) veranlasst mich zu einigen hoffentlich mehr Klarheit herbeiführenden Erläuterungen. Je nach Autor und Quelle werden unterschiedliche Begriffe verwendet, so dass auch unterschiedliche Schlussfolgerungen herauskommen (müssen) und das Wesentliche nicht immer erkannt wird. Dazu kommen verfestigte Vorurteile, die leider auch unter unseren Schachfreunden weit verbreitet sind und uns nicht gerade dabei helfen, einen zeitgemäßen Blick auf die Angelegenheit zu werfen. Ziel meiner Ausführungen ist es, damit aufzuräumen und alle Anstrengungen auf den entscheidenden Punkt zu richten.
Fakt ist: Der Deutsche Schachbund und damit das organisierte Turnierschach ist in Folge eines langen Prozesses, der national um 1950 herum begann, international vollständig in die Strukturen des Sportes eingebunden. Ob der Einzelne Schach als Sport betrachtet oder nicht ist in diesem Zusammenhang völlig unerheblich. Rechtlich und politisch ist das entschieden. Dies hat sehr weitreichende Konsequenzen und lässt sich nicht mehr ohne riesige Anstrengungen ändern. Deshalb ist es keine Alternative, sich jetzt dem kulturellen Bereich zuzuwenden, das ist nur Ablenkung vom Thema. Es steht außer Frage, dass Schach auch weiterhin als Sport anerkannt wird. Das BMI behauptet „nur“, dass ein entscheidendes Kriterium dafür, dass Schach auch in die öffentliche Leistungssportförderung aufgenommen werden kann, fehle. Dazu schiebt das Ministerium die „DOSB Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport 2014-2017“ vor, die es falsch zitiert und falsch auslegt, wie ich im Folgenden darlegen werde, und instrumentalisiert den DOSB zwecks Erreichung seiner eigenen, verdeckten Ziele. Mir liegen schriftliche Unterlagen vor, die diese Interpretation sehr nahe legen.
Um den Irrtum des BMI erkennbar zu machen, müssen wir eine sorgfältige Analyse vornehmen, die das DSB-Präsidium bereits vor der Mitgliederversammlung des DOSB im Dezember begonnen hatte und die dem DOSB in schriftlicher Form zusammen mit einem Abänderungsantrag zur „DOSB Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport 2014-2017“ vorgelegt worden war. Welches Ergebnis dies hervorrief werde ich weiter unten erläutern.
Um einen möglichst guten Blick über die Thematik zu bekommen, müssen wir zuerst drei unterschiedliche Begriffe betrachten, die leider wegen zu oberflächlichen Hinschauens synonym verwendet werden. Dies trägt erheblich zu den aktuellen Verwirrungen bei.
Im „§3 Sportliche Voraussetzungen“ der Aufnahmeordnung des DOSB steht: „1. Die Ausübung der Sportart muss eine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität eines jeden zum Ziel haben, der sie betreibt. Diese eigenmotorische Aktivität liegt insbesondere nicht vor bei Denkspielen, Bastel- und Modellbautätigkeit, …“ und „2. Die Ausübung der eigenmotorischen Aktivitäten muss Selbstzweck der Betätigung sein“.
Entgegen landläufiger Meinung ist Punkt 1 kein Ausschlusskriterium für den Deutschen Schachbund, weil das Turnierschach, und diese Erkenntnis sollte sich jetzt endlich durchsetzen, definitiv nicht zu den Denkspielen zu rechnen ist. Die FIDE ist eine vom IOC anerkannte Sportart und das Turnierschach zählt nicht zu den Denkspielen.
Das Kriterium 1 wird vom Deutschen Schachbund erfüllt, auch wenn dies immer wieder negiert wird. Machen wir dazu ein Gedankenexperiment („Heiteres Beruferaten“): Sie haben die Aufgabe, eine ihre Sportart bestimmende, eigenmotorische Aktivität (SPEMA) vorzuführen. Fällt Ihnen etwas ein?
Anders verhält es sich mit dem 2. Kriterium. Die eigenmotorische Aktivität beim Schachspielen ist kein Selbstzweck, sondern sie dient dem gezielten Platzieren der Figuren und dem anschließenden Drücken der Uhr. Deshalb denkt das BMI möglicherweise, wie es mir kolportiert wurde, dass der DSB heute gar nicht mehr in den DOSB aufgenommen werde würde und nur Mitglied ist wegen des in §5 der Aufnahmeordnung garantierten Bestandsschutzes. Dort ist geregelt, dass der §3 nicht für Mitgliedsorganisationen gilt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aufnahmeordnung Mitglied des Deutschen Sportbundes waren.
Das wäre ein gewaltiges Eigentor, denn der Selbstzweck der SPEMA ist bei allen Sportarten fraglich, deren Ziel es ist, ein Objekt in ein Ziel zu bringen. Fällt Ihnen dazu etwas ein? Wie wäre es mit Speerwerfen, Diskuswerfen, Fußballspielen, Handballspielen, …? Es würden nicht mehr viele Sportarten übrig bleiben!
Aus obigen Überlegungen heraus ist es verständlich, dass der Selbstzweck der SPEMA in der „DOSB Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport 2014-2017“ nicht mehr gefordert wird.
In der „DOSB Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport 2014-2017“ lautet die um den „Selbstzweck“ beschnittene SPEMA-Bedingung etwas anders:
„Die Ausübung der Sportart muss durch eine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers gekennzeichnet sein, die nicht überwiegend in der Bewältigung technischen, motorgetriebenen Gerätes besteht. Diese eigenmotorische Aktivität liegt insbesondere nicht vor bei Denksport-, Geschicklichkeits- und Glücksspielen, Bastel-, Funk-, Computer- und Modellbautätigkeiten.“
Dieser Text ist eindeutig! Turnierschach gehört definitiv nicht zu den Denksportspielen, sondern zu den vom IOC anerkannten Sportarten! Ein Blick ins Internet genügt, um sich das klar zu machen. Auch die Gleichsetzung mit Geschicklichkeits- und Glücksspielen schließt das aus. Dennoch bezeichnet das BMI den früheren und auf seinen Druck hin gegen den Widerstand der Nichtolympischen Verbände entfernten Klammerzusatz „Dieses Kriterium findet keine Anwendung auf Verbände, die derzeit die Förderungswürdigkeit besitzen“ als „lex-Schach“.
Dies ist politische Willkür, denn wie ich weiter oben schon angedeutet habe, hat die Intervention des DSB-Präsidiums dazu geführt, dass alle Gremien des DOSB einschließlich der Mitgliederversammlung am 7. Dezember 2013 bestätigt haben, dass der Deutsche Schachbund mit „Denksportspiele“ eben nicht gemeint ist. Die Förderungswürdigkeit des Deutschen Schachbundes wurde dementsprechend vom DOSB bestätigt.
Entlarvend ist, dass das BMI weder von Denkspielen, noch von Denksportspielen, sondern vom „Denksport“ spricht, ein Begriff, der im Ordnungswerk des DOSB aus gutem Grund nicht vorkommt. Wörtlich schreibt das BMI: „Aufgrund dieser eindeutigen Regelung hat das BMI keine Fördergrundlage, um Schach, das nicht alle Kriterien erfüllt, insbesondere die beim Denksport nicht vorliegende eigenmotorische Aktivität, weiter zu fördern“ (Hervorhebung durch mich).
Es ist offensichtlich, dass das BMI erstens den Sinn des Textes der „DOSB Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport 2014-2017“ durch eine abweichende Wortwahl entstellt, insbesondere in Verbindung mit den Ergänzungsvoten der DOSB-Gremien, und zweitens das entscheidende Adjektiv „sportartbestimmende“ einfach weglässt. Aus einer SPEMA macht das BMI eine EMA und entstellt damit den Sinn der Regelung, nämlich dass die Sportart sich eindeutig von anderen Sportarten abgrenzen muss!
Um die Hintergründe noch besser zu beleuchten, müssen wir weiter in die Materie eindringen.
Als in den 1970er Jahren geklärt wurde, dass Schach für die Politik als Sport gilt, hat der Gesetzgeber explizit erklärt, dass bei der Definition von Sport auf das Merkmal der „körperlichen Ertüchtigung“ verzichtet wird, auch wenn man es noch als wesentliches Merkmal von Sport ansieht. Entsprechende Dokumente liegen mir vor. Dadurch kam der Satz „Schach gilt als Sport“ in die Abgabenordnung, und die Schachvereine konnten gemeinnützig werden. Anscheinend spukt das Gespenst der „körperlichen Ertüchtigung“ nach wie vor im BMI herum. Aus der aktuellen Diskussion muss es verscheucht werden!
In seiner Dissertation zum Thema „Der Begriff Sport im deutschen und im europäischen Recht“ (2001) geht Frank Holzke auf den Seiten 91 – 101 im Kapitel II. Sport als „körperliche Betätigung“ ausführlich auf die Eignung dieses Merkmals zur Definition des Sportbegriffs ein und kommt zu dem Ergebnis: „Körperliche Betätigung sollte daher nicht als notwendiges Merkmal des Sports angesehen werden“. Der DOSB tut es auch nicht, indem er nicht von „körperlicher Betätigung“, sondern von „eigenmotorischer Aktivität“ spricht, und das ist etwas Anderes!
Nach den vorangehenden Ausführungen sollte klar geworden sein, wie kompliziert die Thematik ist und dass man schon sehr genau hinschauen muss, um die zugrunde liegenden Regelungen richtig zu interpretieren.
Für mich steht fest: Der Deutsche Schachbund erfüllt die SPEMA-Bedingung uneingeschränkt, und dies wurde implizit durch alle Gremien des DOSB bestätigt. Das BMI verfolgt politische Ziele und schiebt den „Schwarzen Peter“ nun dem DOSB zu, der sich sicher nicht optimal verhalten hat. Dieses Vorgehen kann und darf nicht akzeptiert werden!
Max Planck hat einmal gesagt: „"Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist."
Und so hoffe ich, dass der Einsicht, dass es keine Grundlage für den Ausschluss des Deutschen Schachbundes aus der Leistungssportförderung gibt, das plancksche Schicksal erspart bleibt. Zumindest unsere Mitglieder hoffe ich mit meiner Argumentation überzeugen zu können, und das wäre schon mal ein guter Anfang!
Herbert Bastian, Präsident
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9820