4. November 2024
Es ist eine Premiere: Die erste Offene Deutsche Einzelmeisterschaft der Schachspieler mit Behinderung findet vom 25. November bis 1. Dezember 2024 in Augsburg statt. Ein guter Anlass, um mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung zu sprechen.
Behindertenbeauftragter ist der 59-Jährige Jürgen Dusel für die 19. und die 20. Legislaturperiode. Der Jurist hat seine Amtszeit unter das Motto „Demokratie braucht Inklusion“ gestellt. Er ist großer Fußball-Fan (und freut sich als solcher über die Erfolge des Drittliga-Aufsteigers Energie Cottbus), hat aber auch eine Affinität zum Schach, wie Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit beim Interview mit Dusel feststellte.
Herr Dusel, welche Beziehung haben Sie zum Schachsport?
Ich spiele selbst ab und zu Schach. Teilweise mit Freunden, teilweise mit meiner Familie – früher mehr als heute. Ich habe es von meinem Vater beigebracht bekommen, der übrigens auch blind ist - und dementsprechend weiß ich auch, wie Blindenschach funktioniert: wie die Figuren gekennzeichnet sind, die Erhöhung der Felder. Aber ich sage es auch ganz ehrlich: Ich bin kein guter Schachspieler, sondern einer, der die Regeln kennt und klar kommt auf dem Brett. Aber ich bin jetzt nicht der Nerd, der die letzten zwanzig Endrunden der Schachweltmeisterschaft auswendig kann - und die dann immer wieder nachspielt.
Also ein reiner Spaß-Spieler…
Ja. Das Spiel hat mich fasziniert: Es ist sehr strategisch. Ein spannendes, intelligentes Spiel – eigentlich genau meine Sache. Ich war zwischendurch sogar so weit, das intensiver zu betreiben und habe auch mal bei einem Schachclub reingeschnuppert.
Wie lange liegt das zurück – und warum wurde nicht mehr draus?
Ach, das dürfte 40 Jahre her sein. Da sind wir gleich beim Thema. Als ich darüber nachgedacht habe, mich ein bisschen intensiver damit zu beschäftigen, um auch ein bisschen schlauer zu werden im Schach – da bin ich dann tatsächlich auch auf Barrieren gestoßen, die auch Ihr Inklusionsbeauftragter beim Schachbund, Gert Schulz, schon beschrieben hat. Also wenn man dann wirklich Turniere spielen will oder Wettkämpfe bestreiten will, dann haben sie das Problem mit den barrierefreien Spielorten – und Details wie: Wird die Schachuhr angehalten, wenn man als Behinderter mal aus diesem oder jedem Grund aus dem Raum muss. Das hat mich eher ein bisschen abgeschreckt und ich bin dann zum Schwimmsport gekommen.
Das ist schade.
Ja. Aber wie schon gesagt: Ich spiele ab und zu immer noch Schach – und empfinde das Spiel als schönes Erlebnis. Wie andere Hobbyspieler auch.
Schach ist eigentlich ein sehr inklusiver Sport. Natürlich gibt es bei lokalen Turnieren auch Probleme mit der Barrierefreiheit - aber bei allen großen Turnieren des Deutschen Schachbundes können Menschen mit allen Formen der Behinderung mitspielen.
Ja, das weiß ich. Aber das ist wahrscheinlich noch nicht so im Mainstream angekommen. Ich selbst habe sogar mal mitbekommen, wie jemand, der blind ist, simultan Schach gespielt hat gegen mehrere Leute. Das ist ja schon ohne Behinderung eine unglaubliche intellektuelle Leistung, und erst Recht, wenn man den Spielverlauf nicht visuell verfolgen kann. Das sind Beispiele, die Mut machen sollten. Ich glaube schon, da ist noch eine Menge Potenzial drin ist in Sachen Barrierefreiheit – auch im Schachsport. So gesehen: Vielleicht ist Ihr Turnier auch ein Mutmacher.
Sie sprechen es an. Nun veranstaltet der Deutsche Schachbund die erste Deutsche Meisterschaft für Menschen mit Behinderung. Sind wir da als Schachbund früh dran – oder eher spät?
Schon ziemlich spät, würde ich sagen. Es gibt andere Sportarten, die sind in Sachen Inklusion schon weiter. Aber es ist sehr gut, dass es eine solche Meisterschaft beim Schachbund jetzt gibt - weil dann auch ein Problembewusstsein wächst. Kurzum: Es ist nie zu spät, damit zu beginnen. Ich finde es persönlich gut – aber, um ehrlich zu sein: Sie sind als Deutscher Schachbund jetzt nicht gerade die Speerspitze der Bewegung.
Demokratie braucht Inklusion – so lautet ja Ihr Motto als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Nun ist der Plan des DSB-Inklusionsbeauftragten, dieses Turnier bereits im zweiten Jahr in eine inklusive Meisterschaft münden zu lassen. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben?
Das ist der richtige Weg, so ein Turnier stetig weiter zu entwickeln. Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen ist ja sehr heterogen und dementsprechend macht es einfach Sinn, das so zu machen. Also wir haben jetzt gerade ein inklusives Golfturnier gemacht, da waren viele Gruppen dabei: Menschen, die körperliche Einschränkungen haben, Menschen mit intellektuellen Einschränkungen, als Vertreter der Special Olympics und, und, und. Ich glaube, das war für viele Menschen mit und ohne Behinderungen ein richtiger Augenöffner, wie inklusiver Sport funktionieren kann.
Was könnte das konkret für den Schachsport bedeuten?
Ich glaube schon, dass Schach das Potenzial hat, noch inklusiver zu werden. Ich meine, wenn jetzt jemand „nur“ im Rollstuhl sitzt, warum soll der denn bitteschön nicht Schach spielen können? Ganz normal wie alle anderen auch. Vorausgesetzt, es sind eben keine Stufen da, die er überwinden muss. Oder wenn jemand eine Hörbehinderung hat oder gar taub ist - warum sollte er da nicht sofort mitmachen können? Also es gibt eigentlich keinen Grund, warum das nicht klappt. Es müssen halt die Rahmenbedingungen stimmen und dann glaube ich, kann Schach wirklich ein ganz gutes Spiel für alle sein. Woran viele Leute teilhaben können.
Gert Schulz sagt ja auch, er kenne viele Schachspieler, die sich mit ihrer Behinderung schwertun, überhaupt das Haus zu verlassen – und in den Verein zu gehen.
Wenn man sowas mal startet, dann kann das für viele ein Anfang sein. Ich bin allerdings ein bisschen überrascht, dass angeblich viele sagen, sie gehen nicht raus. Ich glaube, es gibt da ganz unterschiedliche Menschen. Also ich kenne viele, die blind sind und sich selbstverständlich aus dem Haus trauen und Sport treiben wollen. Aber klar, es kann für ältere Menschen schwer sein, die vielleicht später erblindet sind. Für die ist es vielleicht ein bisschen schwieriger als für Leute, die von Anfang an, also von Geburt an, erblindet sind.
Gert Schulz möchte über dieses Turnier versuchen, ein Netzwerk aufzubauen. Möglichst auch eine Kommission für Inklusion beim Schachbund zu bilden, in der Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen mitarbeiten.
Ich will das gar nicht generalisieren, aber das kann eine gute Strategie sein. Und wenn das Turnier erfolgreich ist, man gute Gespräche auch am Rande des Turniers führt - ja klar, dann kann man Netzwerke bilden. Parallel würde ich mich an seiner Stelle mit Fachverbänden in Verbindung setzen. Das Wichtigste ist doch, auch bei einem solchen Turnier: Begegnungen schaffen, dass die Leute was gemeinsam machen. Dafür ist dieses schöne Spiel doch ideal.
Mal losgelöst vom Schach: Sie haben oft kritisiert, dass Deutschland nicht barrierefrei genug ist. Welche Auswirkungen hat das auf den Sport?
Na ja, wir haben in diesem Jahr die Paralympics in Paris erlebt. Die Bilder, mit wie viel Energie und wie viel Begeisterung und Enthusiasmus Sport gemacht wurde, welche Leistungen abgerufen wurden. Und jetzt kommen die Athletinnen und Athleten wieder zurück in ihre Länder. Für die Deutschen bedeutet das: Die erste Challenge war vermutlich, dass sie in die Deutsche Bahn einsteigen und stoßen bei der Ankunft hier im Alltagsbereich genau wieder auf die Barrieren, die behindern.
Was meinen Sie genau?
Da gibt es so viele bauliche Hindernisse in Deutschland, die vom Sport abhalten. Ist denn die Spielstätte, die Sportstätte, barrierefrei? Komme ich da rein, komme ich als sehbehinderter blinder Mensch problemlos ins Schwimmbecken – oder als Schachspieler im Rolli ohne Treppe ins Spiellokal? Da haben wir große Mängel in Deutschland. Aber der erste Punkt ist, finde ich, überhaupt einen Verein zu finden – ob im Schach, Fußball oder einen Schwimmverein - der eine Willkommenskultur hat für Menschen mit Behinderungen. Da hören wir oft, wie schwer das ist. Dass die Menschen sich auch willkommen fühlen. Insbesondere wenn es um Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen geht. Zweiter Punkt: Gibt es Expertisen in den Vereinen? Also Barrierefreiheit kann man nicht so nebenbei machen. Das braucht Expertise bei Trainerinnen und Trainern, Vorstandsmitgliedern. Weitere Punkte sind dann: Komme ich denn im Bus zur Sportstätte? Da sind wir in Deutschland nicht gut. Und meine Forderung ist, und da gibt es ein schönes Beispiel aus Frankreich, die machen das nämlich jetzt: Dass in der Breitensportförderung die Fördermittel geknüpft werden an die Barrierefreiheit. Also dass man sagt, wir fördern nur noch Vereine, die offen sind für alle, auch für Menschen mit Behinderungen.
Wie ist die Reaktion aus der Politik?
Verhalten. Aber: Das sind in der Regel Steuergelder, die für den Breitensport ausgegeben werden. Und die werden auch erwirtschaftet von Menschen mit Schwerbehinderung, die arbeiten gehen. Und deswegen bin ich schon der Meinung, man muss die Sportförderung ändern. Die muss man knüpfen an bestimmte Standards - und ein Standard muss Barrierefreiheit sein. Ich weiß, das kann man jetzt nicht von heute auf morgen durchsetzen – aber man sollte da ran, mit vernünftigen Übergangsfristen. Und zwar nicht als Akt der Nächstenliebe, sondern aufgrund der Verpflichtungen aus Artikel 30 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die Deutschland ja ratifiziert hat - und die ja den Menschen mit Behinderungen ein Recht geben auf Zugang zum Sport.
Wie sieht die Realität aus?
Wie schwierig es ist, überhaupt Sport zu treiben und wie gering eigentlich die Quote von Menschen mit Behinderungen ist, die überhaupt Sport treiben, zeigt ja der Teilhabebericht der Bundesregierung. Dort wird ja auch immer wieder Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, zitiert: Menschen mit Behinderungen treiben deutlich weniger Sport als Menschen ohne Behinderungen. Weil sie auf zu viele Barrieren stoßen. Und da kann man dann von der Gleichberechtigung und von der Gleichstellung nicht sprechen. Aber, nochmal, weil es mir wichtig ist: Willkommenskultur muss am Anfang stehen. Sie können noch so eine tolle, barrierefreie Sportanlage haben - wenn die Leute sich nicht willkommen fühlen, wenn die komisch angeguckt werden, wenn sie zum Sport wollen, dann machen die das auch nicht.
Es geht, so verstehe ich Sie: in erster Linie um das Zusammenkommen.
Ich habe ja erzählt, ich war im Schwimmverein. Das Bad war jetzt nicht besonders barrierefrei, aber ich habe mich irgendwie durchgewurstelt - und für mich war Sport zu treiben dann eben toll, weil alles andere stimmte. Es geht ja nicht nur um die Leistung, sondern man quatscht ja auch vorher und hinterher. Und wenn man dann älter wird, geht man gleich hinterher noch ein Bier trinken oder Saft oder was auch immer. Das das ist dann der Weg zur Inklusion. Ein ganz kurzer Weg also. Und so wünsche ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei Ihrem Turnier nicht nur guten Sport, sondern auch viele gute Gespräche und Erlebnisse abseits der Schachbretter. Ich betone nochmal: Das ist das Wichtigste.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36173