26. September 2024
Das besondere Turnier gibt es zum ersten Mal. Und wenn es nach dem Wunsch der Veranstalter geht, soll es auch nur den Weg bereiten für eine weitere Neuerung. Das klingt seltsam? Verwirrend? Ganz und gar nicht für Gert Schulz, den Referenten des Deutschen Schachbundes für Inklusion. Die erste Offene Deutsche Einzelmeisterschaft der Schachspieler mit Behinderung, wie das Turnier vom 25. November bis 1. Dezember 2024, in Augsburg heißt, ist für ihn in erster Linie “eine Krücke”. Der Mann will mehr.
Sein Ziel ist eine Deutsche Meisterschaft in Form eines großen inklusiven Schachfestivals. Um das zu schaffen, hat er diese Deutsche Meisterschaft für behinderte Schachspieler gewählt, an der alle mit einem Schwerbehindertengrad ab 50 Prozent teilnehmen dürfen. Als taktischer Kniff, quasi. Ein Turnier als Etappe auf dem Weg zum Ziel.
Gert Schulz sagt: “Manchmal komme ich mir vor wie ein Einzelkämpfer. Eine One-Man-Show.” Er ist blind. Weniger als ein Prozent Sehvermögen. Schon in der Schule ließ sein Augenlicht immer mehr nach. Gestoppt hat ihn das nicht in seinem Tatendrang. Informatik hat er studiert, bei der Dresdner Bank in Frankfurt gearbeitet – ab Mitte 30 war er dann schon sehr aktiv im Heidelberger Blindenschachklub.
Heute ist er der Interessenvertreter für die behinderten Schachspieler und –spielerinnen. Und da gibt es viel zu tun. Beispiel: Zu wenig barrierefreie Spiellokale. Selbst das Spiellokal seines Heimatvereins in Sandhausen liegt im zweiten Stock, ist nur über Treppen zugänglich - für ihn als Blinder kein Problem. Aber was ist mit einem Rollstuhlfahrer? “Bundesweit haben wir viele solche Hürden, die behinderte Menschen abhalten, zu uns in die Vereine zu kommen. Seien wir ehrlich, die meisten Vereine sind froh, irgendwo ein kostenfreies Spiellokal zu bekommen – und sind kaum in der Lage, Ansprüche zu stellen. Das muss alles viel besser werden.”
Zwar sei Schach prinzipiell ein sehr inklusiver Sport, weil jeder mit jeder Behinderung an jedem Turnier teilnehmen kann – aber: “Wenn ich als einziger mit Behinderung in einem Wettbewerb unter lauter Nichtbehinderten mitwirke, bin ich ein Sonderling. Und fühle mich manchmal nicht wohl.” Das gilt für viele kleine, regionale Turniere – und müsse sich perspektivisch ändern, durch mehr inklusive Turniere. So, wie es zum Beispiel bei der DSAM zu beobachten ist, wo viele behinderte Spielerinnen und Spieler nahezu perfekte Bedingungen vorfinden, um sich im Kreise aller wohlzufühlen.
Schulz sagt, er käme nur schwer mit anderen behinderten Menschen in Kontakt, die Schach spielen. Viele würden sich erst gar nicht in einen Schachverein trauen. “Viele behinderte Schachfreunde bleiben einfach weg, spielen lieber online.” Denn zu viele Fragen wirken oft ungelöst. “Es muss zum Beispiel vorher klar sein, dass beim Toilettengang die Uhr angehalten wird, weil ich im Rolli oder auf Krücken länger brauche. Und dass es einen Shuttleservice vom Hotel zum Spielsaal gibt.” Das sei alles längst keine Selbstverständlichkeit, sorge immer wieder für Diskussionen. “Mein Traum”, sagt Gert Schulz, “wäre, dass ich mich bei einem Turnier anmelden kann wie jeder andere auch. Ohne vorher sagen zu müssen: Ich bin aber behindert. Dafür muss aber absolute Barrierefreiheit schon Voraussetzung bei der Ausrichtung sein.”
Er hofft also, über solche Meisterschaften ein Netzwerk aufbauen zu können - womöglich sogar eine eigene Inklusion-Kommission beim Schachbund etablieren zu können. Ein Turnier als Kontaktbörse. “Ich brauche den Kontakt zu anderen Behinderten, um Verstärkung zu bekommen”, sagt er: “Ich kann nicht für Gehörlose sprechen, weil ich nicht ihre Probleme alltäglich erlebe, oder für Menschen im Rollstuhl. Und was ist mit den Menschen mit geistiger Behinderung? Wir müssen in diesem Bereich vielfältiger werden.”
In Augsburg soll es deshalb am Rande der Turniere auch gesellige Treffen für die Spieler und Spielerinnen geben. Besonders freut sich Schulz dabei über die jugendlichen Schachfreunde, die sich bereits angemeldet habe. Ein Spieler mit Autismus und einer mit Spastik. (mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11518