2. März 2025
94 Gebote, 36 100 Dollar. Es ist die berühmteste Jeans der Schachwelt, die gestern Abend bei Ebay für einen gemeinnützigen Zweck versteigert wurde. GM Magnus Carlsen bot sie bei dem Auktionshaus an – ungewaschen. Jenes Kleidungsstück, das ihn bei “Jeansgate” während der Schnellschach-Weltmeisterschaft im Dezember in New York seine Teilnahme gekostet hat. Der Ausschluss von Carlsen (ebenso wie seine spätere, von der FIDE genehmigte, Rückkehr zur Blitz-WM in Jeans), löste im Schachsport eine Debatte über Sinn und Unsinn von Kleiderordnungen aus. Die passende Gelegenheit für uns, um mit dem Mann zu sprechen, der in der Schach-Bundesliga als Mode-Ikone gilt – weil er sehr bunte und extravagante Beinkleider trägt. Dabei kam heraus: Auch Stefan Martin, der 1. Vorsitzende des SC Viernheim, hätte um ein Haar einen Spielsaal-Verweis bekommen – und das wegen eines „hüftaufliegenden Kleidungsstückes, welches die unteren Extremitäten des Trägers ganz oder teilweise bedeckt“, wie es bei Wikipedia sperrig heißt. Stefan Martin macht es kürzer: Eine Hose sei ein Statement! Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit führte mit dem Viernheimer Bundesliga-Macher ein launiges Interview – quasi im Namen der Hose.
Herr Martin, haben Sie schon einmal drüber nachgedacht, ihre Hosen auch zu versteigern?
(lacht) Nein, aber das sollte ich vielleicht mal tun. Wie man bei Carlsen sieht, ist das eine gute Einnahmequelle. Die Story um die Hose in New York und was Magnus jetzt damit veranstaltet - das gefällt mir.
Es gibt es sehr viele Fotos von Ihnen mit extravaganten, bunten Hosen. Gönnen Sie uns mal einen Blick in Ihren Kleiderschrank.
Ich denke, ich habe etwa 15 ausgefallene Hosen. Auch welche mit großen Löchern, Rissen und einige sehr bunte.
Und sogar eine mit Schachbrettmuster.
Das ist meine Lieblingshose für Mannschaftskämpfe. Meine Partnerin Gabriele und ich haben die in einer Boutique entdeckt – in Italien oder Frankreich, das weiß ich nicht mehr genau. Oft findet Gabriele, die einen ausgezeichneten Modegeschmack hat, auch was Hübsches für mich im Internet. Aber zurück zu Carlsen: Tatsächlich kann ich als Freund farbenfroher Hosen durchaus mit ihm mitfühlen.
Drohte Ihnen etwa auch schon einmal der Ausschluss aus einem Turnier?
Ja. 2023, als Viernheimer Teamchef beim Mannschafts-Europacup in Albanien. Dort wollte mir der Hauptschiedsrichter den Zugang zum Spielsaal verweigern. Die Hose sei kritisch, viel zu bunt, respektlos, dem Anlass nicht angemessen: „Damit kommst Du hier nicht rein!“ Hinter mir bildete sich an der Sicherheitskontrolle schon eine lange Schlange. Ich habe dann mit dem Regelwerk argumentiert: „Stopp“ habe ich gesagt, die Hose hat keine Löcher – das würde die Kleiderordnung verbieten –, sie ist nur bunt. Meine Regelsicherheit hat ihn letztlich überzeugt, aber er konnte sich nicht verkneifen, noch zu sagen: „Beim nächsten Mal aber eine andere Hose.“
Das juckt sie nicht, oder? Ich wette, Sie würden es wieder tun…
Ja, weil ich modebewusst bin. Ich respektiere Kleiderordnungen grundsätzlich, aber würde mir diese mutiger wünschen. Die Kleiderordnung in der Bundesliga gibt wenig Möglichkeiten, auch modisch aufzutreten. Obenrum müssen die Mannschaften gleich aussehen, das ist vorgeschrieben. Bei uns sind es weiße Hemden, das ist auch unserem Sponsor d-fine geschuldet, der es seriös mag. Aber ein bisschen langweilig ist das schon. Wir haben jetzt schonmal modische Hoodies dazu genommen, die lieben die Spieler. Die Bundesliga ist aus meiner Sicht zu wenig modisch. Da am Oberkörper laut Reglement wenig geht, setzte ich persönlich die Akzente über die Hosen. Wir müssen uns auch als Teil eines Unterhaltungsbetriebes sehen. Da gehören als kleiner Teil auch bunte Hosen dazu. Ja, Einheitlichkeit der Teams ist wichtig, so professionell müssen wir sein. Wobei auch hier die Wahrheit so aussieht: Es fehlt die Konsequenz. Irgendwann hat zum Beispiel plötzlich jeder eine andere Jacke über seinem Hemd – und nix passiert. Grundsätzlich plädiere ich aber für eine modernere Kleiderordnung.
Wie könnte die aussehen?
Mit sehr viel Farbe. Hier können wir Europäer von den Afrikanern lernen. Und mal was anderes als immer nur Sakkos. Viele meiner schönsten Kleidungsstücke finde ich oft in Boutiquen für Homosexuelle. Die sind mutiger und stylischer. Wir sollten da freier und individueller denken. Also sage ich mal ganz provokativ: Warum ist es zum Beispiel Männern in manchen Kleiderordnungen verboten, Kleider am Brett zu tragen? Das ist doch ungerecht, oder? Womöglich will das mancher. Aber das ist nur ein Beispiel: Grundsätzlich rate ich allen Schachspielern, mal modisch und optisch etwas mehr aus sich herauszuholen.
Wie meinen Sie das?
Es gibt das geflügelte Wort: Schach hat ein super Image - das Problem sind nur die Schachspieler. Schauen Sie, wie viele ankommen: In Sandalen, dreckigem Shirt, die Haare seit vielen Monaten nicht geschnitten – manchmal graust es mir beim Anblick. Was sollen Eltern denken, die ihre Kinder zum Schach schicken? Manchmal reisen Mannschaften zu Spielen wie Sauhaufen. Da legen wir in Viernheim ganz andere Maßstäbe an. Bis hinter die Kulissen. Schauen Sie mal, wie selbst unser Live-Kommentator Ilja Zaragatski auftritt – top gekleidet, wie ein Fernsehmoderator. Und gucken sie mal in andere Kanäle rein: ungepflegte, unrasierte Streamer. Die sehen manchmal aus, als ob sie direkt aus dem Bett kommen.
Zurück zum Thema. Zur Hose…
… eine Hose ist ein Statement. Mein kleiner Beitrag zu mehr Showbiz. Ich kriege oft Komplimente von wildfremden Menschen, Zuschauern. Manche denken, ich trage teure Designerteile – aber das ist nicht so. Normale Preisklasse, nur halt keine Massenware. Extravaganz muss nicht teuer sein.
Da erwarten wir von Ihnen jetzt aber auch mehr Konsequenz: Ende April ist die gemeinsame Endrunde der Bundesliga und Frauen-Bundesliga in Deggendorf. Spätestens da wollen wir den SC Viernheim im einheitlichen Beinkleid sehen.
Da geben Sie mir jetzt eine Anregung. Das wäre in der Tat ein guter Anlass – ich prüfe das.
Um ehrlich zu sein: Wir und andere Medien lauern auf ein „Hosengate“ mit Hikaru Nakamura. Wann spielt er also wieder für Viernheim? Er hat ja angekündigt, mehr Richtung Freestyle zu gehen…
… was ich verstehen kann, aber sehr bedauern würde. Er ist auch ein fantastischer Spieler im traditionellen Schach. Ich kann im Moment tatsächlich nicht sagen, wann er wieder für Viernheim spielt. Aber Deggendorf könnte ein Termin sein, weil wir uns da als Bundesliga mit unseren Stars vor großem Publikum zeigen wollen. Das ist eine super Bühne, wie wir seit unserer eigenen Endrunden-Veranstaltung im vergangenen Jahr wissen, wo wir sogar irgendwann den Kartenverkauf bei etwa 1000 Zuschauern stoppen mussten. Vielleicht kommt ja auch Carlsen nach Deggendorf, wenn es für St. Pauli noch um alles geht. Und dann geht es bestimmt wieder sehr stylisch zu.
Hoffentlich mit allen Viernheimer Bundesliga-Spielern in dieser Hose, die Sie so wunderbar kleidet: Die mit dem Schachmuster.
Oh, das wird schwer. Die ist bestimmt schon fünf, sechs Jahre alt. Aber ja, meine Partnerin soll das Internet durchforsten und was Schickes für das Team suchen. Ich hoffe, es gibt das Modell dann auch in allen nötigen Größen. Sie wissen ja: Die Konfektionsgröße von manchem Schachspieler ist auch ein Problem…
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36316