23. Januar 2025
Irgendwie war das ja vorher klar: Ein Gespräch mit Adelheid Peglau kann nicht störungsfrei verlaufen. Wie auch? Bei dem Riesenpensum, das sie zu bewältigen hat. Mal unterbricht also eines der sieben Kinder, weil es etwas von Mama möchte - oder ein Gast im Haus Seeblick in Dippoldiswalde hat eine Frage. Adelheid Peglau leitete die Einrichtung in Sachsen, an der Seminare und Tagungen stattfinden, zudem Trauungen und Feste. Aber man kann, in schöner Lage direkt am Wasser, auch einfach nur Ferien machen. Und, das ist neu: Die Frauen-Bundesliga hat im Haus Seeblick eine Heimat gefunden. Es ist ein Projekt, das im deutschen Spitzensport wohl einzigartig ist. Eine Familie rockt die Bundesliga.
Das Team des Schachzentrums Seeblick, der Aufsteiger in die Bundesliga - das sind die Peglaus. Eine neunköpfige Familie. Mit den Oberhäuptern Adelheid und Dr. Markus Peglau - und sieben Kindern. Allesamt Schachspieler. Mit Blick auf die Bundesliga-Aufstellung gibt es zum Glück viele Kandidatinnen in der Familie (nur der elfjährige Paul bleibt außen vor), um eine ganz besondere Mannschaft stellen zu können. Während andere Bundesligisten sich für die Spieltage bisweilen gut bezahlte ausländische Großmeisterinnen holen, bleibt in Dippoldiswalde alles in der Familie. Fast alles.
Gemeldet für das Team sind die 16jährigen Zwillinge WFM Charis Peglau und Dora Peglau, die aktuell im Jugendbereich auf nationaler und internationaler Ebene schon sehr erfolgreich sind. Charis holte gerade Bronze bei der WM in Brasilien. Weiter im Kader: Mirjam Peglau (18), Sarah Peglau (21), Lorena Peglau (13) und – für alle Fälle - Nesthäkchen Louise Deborah Peglau (8). Auch Mutter Adelheid wurde vorsorglich gemeldet. „Aber ich werde mit meinen gerade mal 1600 Elo nur spielen, wenn völlig Not am Mann ist.“ Verstärkt und ergänzt wurde das Team durch WIM Dr. Gundula Heinatz, WIM Ulrike Rößler, WFM Katerina Bräutigam, WIM Evelyn Wagenschütz, WFM Dr. Anita Just, Lena Hentschel und Rebecca Browning. Alle Spielerinnen kamen über persönliche Kontakte zu den Peglaus zur Mannschaft – und wohnen teilweise sogar in der Region.
Die Kernfrage aber, auf die Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit eine Antwort suchte: Wie funktioniert das alles? So viele Kinder, dazu beide Eltern (Markus Peglau, 62, arbeitet im Fachbereich Klassische Philologie an der TU Dresden) voll berufstätig - das klingt nach einer Mission Impossible. Mutter Adelheid sagt denn auch süffisant, gefühlt habe ihr Tag bisweilen mehr als 24 Stunden. „Das klappt alles nur mit sehr viel Flexibilität, einem hohen Maß an Selbständigkeit bei den Kindern – und bisweilen unkonventionellem Vorgehen.“ Man könnte wohl sagen: Das ist perfektes Familien-Management.
Fangen wir beim wunderschönen Haus an, wo auch die Bundesligaspiele stattfinden. An diesem Wochenende die ersten Heimpartien, die Runden drei und vier. Das Team spielt im großen Saal des Hauses Seeblick in Dippoldiswalde-Paulsdorf, Talsperrenstraße 56, gegen TuRa Harksheide (Samstag, 14 Uhr) und gegen den Hamburger SK (Sonntag, 9 Uhr). Das von der Flut 2002 arg in Mitleidenschaft gezogene Gebäude an der Weißeritz, einst zu DDR-Zeiten Ferienheim, Hotel und sogar HO-Verkaufsstelle, ersteigerte die Familie vor fünfzehn Jahren für einen niedrigen sechsstelligen Betrag. Ab 2014 begannen die Renovierungsarbeiten, teilweise mit Fördermitteln aus verschiedenen Töpfen, auch vom Land Sachsen. Die Familie ging ins Risiko, nahm hohe Kredite auf. „Es hat sich so ergeben. Wir haben da nicht groß abgewogen. Wir machen häufig einfach das, was plötzlich vor unseren Füßen liegt“, sagte Adelheid Peglau, „da sind wir bisweilen wagemutig, rechnen nicht alles bis ins letzte Detail aus – sondern machen einfach.“ Das scheint sich auszuzahlen: Das Haus läuft gut, sagt Adelheid Peglau, „auch wenn wir am Ende jeden Monats froh sind, wenn wir sagen können: Gut, dass es wieder geklappt hat – trotz der hohen Kosten“.
Die Bundesliga – ein neues Familien-Abenteuer. Sarah Peglau, die ehemalige deutsche U18-Meisterin, erledigt viel im Bereich der Organisation - in Absprache mit dem sportlichen Kopf des Unternehmens Bundesliga: GM Henrik Teske, seit vielen Jahren der Privattrainer der Familie. „Henrik sagt immer: Wenn wir hinfallen, stehen wir wieder auf“, so Adelheid Peglau: „Er ist sehr direkt und ehrlich – das mag ich.“ Natürlich hat er ihnen gesagt, dass sie im Grunde chancenlos in dieser Liga sind. Nominell nach Elo-Punkten die Nummer zwölf – von zwölf. Adelheid Peglau: „Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt gering ist – aber auch das berechnen wir nicht, sondern wir gucken einfach, was geht.“ Es gehe vor allem darum, dass Charis und Dora sich auf höchstem Niveau weiterentwickeln können, „und dass wir alle bei der Sache Spaß haben. Wir machen uns keinen Druck. Es ist einfach nur toll, dass wir in dieser Liga mitspielen können“, so Adelheid Peglau: „Wir wissen, dass wir noch sehr viel Entwicklungspotenzial haben.“
An den ersten beiden Spieltagen war schon die gesamte Bandbreite an Gefühlen dabei. In Schwäbisch Hall setzte es beim gastgebenden Liga-Favoriten ein 0:6, aber es gelang auch das 3:3 gegen die Schachfreunde Deizisau. Die erste kleine Überraschung, ein Mannschaftspunkt ist im Sack. Mit dem Familienkleinbus, ein älterer Volkswagen T4, ging es auf Tour gen Süden, übernachtet haben sie 40 Minuten entfernt bei einem Freund. Den Kostenrahmen haben Adelheid und Markus Peglau, die sich im Jahr 2000 in Dresden kennengelernt haben, auch bei diesem Unternehmen immer im Blick. Die Bundesliga ist ein Erlebnis – aber sie darf kein Loch in die Familienkasse reißen.
„Ich wundere mich manchmal, wie die Peglaus das schaffen“, sagt Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler, „Fakt ist: sie schaffen es.“ Auch mit Hilfe von Henrik Teske, der alle trainiert und im Schachsport „Gott und die Welt kennt“, wie Vökler sagt. Aber auch sehr viel Fleiß und Ehrgeiz prägt diese Familie.
Dabei ist es keineswegs so, dass die Familie nur Schach lebt, sondern die Kinder sind sehr vielfältig: Wie die Eltern spielen alle Kinder Instrumente – Violine, Klavier, Gitarre. Jeder, was er mag. Mancher sogar zwei Instrumente. Das reicht in Summe schon für ein kleines Orchester, das zu besonderen Anlässen auch Kostproben seines Könnens gibt. Alle Kinder sind im Schwimmverein, haben den Rettungsschwimmerschein gemacht. Dora (als einziges Mädchen in einem Jungs-Team) und Paul spielen auch noch Fußball. „Wir legen Wert auf eine breite Basis an Interessen“, sagt Adelheid Peglau. Im Leistungsschach sehe sie nur Charis, Dora und Paul. Aber: Stört die große Bandbreite dann nicht die Konzentration auf den Schachsport? „Dora den Fußball wegzunehmen wäre gar keine gute Idee“, sagt Mama Adelheid, „den braucht sie einfach als Ausgleich.“
Seit vergangenen Sommer besuchen Dora und Charis ein Internat in Meißen, mit vielen hochbegabten Kindern. „Wir wollten einfach ab der zehnten Klasse ihr Potenzial wecken“, sagt Adelheid Peglau. Die beiden Mädchen sind dennoch so oft wie möglich daheim bei ihren Geschwistern, von denen Sarah mittlerweile ihr Studium auf Lehramt begonnen hat und Mirjam eine Ausbildung bei der Polizei.
Bei allem, darauf legt Adelheid Peglau wert, seien ihre sieben Kinder zwar sehr selbständig, würden sich gegenseitig unterstützen und dadurch den Eltern viel abnehmen – sie seien aber auch: ganz normale Kids. „Sie kommen gut miteinander aus, aber streiten sich natürlich auch mal. Manchmal über Lappalien, so dass man nur den Kopf schütteln kann und einschreiten muss.“ Ein bisschen Reibung erzeugt ja auch Energie. Und die braucht es, um als Familie die Bundesliga zu rocken. (mw)
Morgen folgt Teil zwei: Wir beleuchten die Rolle von Henrik Teske, dem bekannten Großmeister hinter dem ungewöhnlichen Bundesliga-Projekt
Einige Links zu den Peglaus:
https://www.seeblick-paulsdorf.de/
https://www.schachbundesliga.de/mannschaft/2024/fb1/4
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36277