11. November 2012
Die wirklich guten Geschichten liegen nicht nur auf der Straße, sondern es spielt oft der Zufall eine entscheidende Rolle. So wie bei der folgenden...
Als ich im vergangenen Juni auf dem Kongress des Deutschen Schachbundes in Bonn in das Ehrenamt des Referenten für Öffentlichkeitsarbeit gewählt wurde, da bekam ich zahlreiche Glückwünsche, die jedoch auch mit Erwartungen verbunden waren. Ein Schreiben weckte mein besonderes Interesse. Absender war die Schachgruppe der Justizvollzugsanstalt Straubing, die auf weitere gute Zusammenarbeit hoffte.
Wie das wohl gemeint sein soll, fragte ich mich. Also hieß es, sich erst einmal im Internet schlau zu machen, um dann eine fundierte Antwort geben zu können. Der wichtigste Hinweis bei meiner intensiven Suche kam dabei auf das SCHACH-MAGAZIN 64, denn da hatte mein Vorgänger Klaus-Jörg Lais in der Ausgabe 07/2008 unter der Schlagzeile „Kein Alkohol, keine Waffen, keine Frauen!“ einen lesenswerten Beitrag über seinen Besuch bei der Schachgruppe der JVA Straubing veröffentlicht (sh. auch bei uns).
Was mich dabei zunächst am meisten beeindruckte war die Tatsache, dass die Insassen bundesweit am Spielbetrieb teilnehmen - in diesem Fall in der Bezirksliga West in Niederbayern - und eine eigene Zeitung herausgeben. „Die kleine Schachpost“ erscheint seit 1963! Noch unglaublicher fand ich, dass für 2012 ein außergewöhnliches Jubiläum anstand, nämlich der 60. Gründungstag der Schachgruppe. Und das diese solange nicht nur existiert, sondern für die Insassen das Schachspiel auch zu einer „Brücke zurück ins Leben“ wurde, ist vor allem Max Holzmann zu verdanken, der 1952 mit seinem Vater diese Idee hatte und sie mit ihm auch in die Tat umsetzte.
Der inzwischen fast 85-Jährige, der immer noch aktiv beim SC Straubing spielt, leitet montags das Training, das er krankheitsbedingt in seiner 60-jährigen Lehrtätigkeit nur zweimal versäumte. Doch geben wir ihm selbst das Wort: „Den Unterricht mache ich allein, die Gefangenen unterstützen mich, Wir machen Kombinationen, Eröffnungen usw. - alles Mögliche“, hat er in dem erwähnten Artikel von Klaus-Jörg Lais berichtet. Und „Wer in einer Gruppe mitmacht, der hat seinen Einschluss schon mal zwei Stunden herausgezögert, und das reicht den meisten.“, denn "Schach ist für sie eine sinnvolle Pause von Knastalltag und damit ein besonderes Privileg“, so Max Holzmann, der zweimal niederbayerischer Schachmeister und unzählige Male Stadt- und Vereinsmeister war.
1988 wurde Max Holzmann für sein großartiges Engagement gewürdigt, denn er erhielt aus den Händen von Bundespräsident Richard von Weizsäcker die goldene Verdienstmedaille des Bundesverdienstordens. Ehre, wem Ehre gebührt!
Dass die Schachgruppe einer JVA seit 25 Jahren am regulären Spielbetrieb teilnimmt - in der Saison 2012/13 gab es in Runde 1 einen 4,5:3,5-Sieg gegen den SC Straubing II - dürfte weltweit wohl auch einmalig sein. Und ist gibt weit mehr Aktivitäten aufzuzählen, die im Laufe eines „Schachjahres“ allein intern dazu kommen wie u.a. die Endrunde um die Anstaltsmeisterschaft: Im A-Turnier mir den 14 Besten der Qualifikation - im B-Turnier kämpfen noch einmal ca. 40 Spieler um den B-Meistertitel -, die Einzel- und Mannschaftsblitzmeisterschaft, das Pokal-Turnier der SG JVA.
Ein Höhepunkt waren von Anfang an die Simultanveranstaltungen mit Großmeistern. Und da hatte in Straubing wirklich die Weltklasse ihren Auftritt. Zur Premiere kam im August 1968 der deutsche Rekord-Schacholympionike Wolfgang Unzicker, der bei 44 Partien nur drei Remisen zuließ und nur einmal verlor. 1972 gab Lothar Schmid sein Gastspiel an 30 Brettern (+26 =4 –0), es folgten von der Großmeister-Gilde u.a. Ludek Pachman (1974), Helmut Pfleger (1979/1985), Viktor Kortschnoi (1982), Robert Hübner (1992) und Gerald Hertneck (1999).
In besonderer Erinnerung ist Max Holzmann dabei das Hübner-Simultan geblieben. „Er gab sich beim Simultan so entspannt, dass er mit jedem einzelnen analysierte und so gesprächsfreudig war, dass er den ganzen Tag über Gott und die Welt plauderte und jedem Rede und Antwort stand. Also, alles was recht ist: So habe ich Hübner noch nie erlebt.“
Rein sportlich gesehen war insbesondere für einen JVA-Insassen seine Simultanpartie am 1. August 1982 gegen Viktor Kortschnoi der größte Erfolg. Zumal ihm der zweimalige Vizeweltmeister Remis anbot. Hier ist dies „JVA-Perle der Schachkunst“, die in der „Kleinen Schachpost“-Ausgabe vom Dezember/Januar 2012 veröffentlicht wurde, wo das Thema 60 Jahre Schachgemeinschaft JVA Straubing war:
V. Kortschnoi–Herbert Pa.
Simultan, JVA Straubing 1982
Damengambit [D58]
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Le7 4.Sf3 Sf6 5.Lg5 h6 6.Lxf6 Lxf6 7.e4 dxe4 8.Sxe4 c5 9.Sxc5 Da5+ 10.Dd2 Dxd2+ 11.Kxd2 b6 12.Se4 Le7 13.Ld3 Lb7 14.a3 Sd7 15.The1 0–0 16.b4 Tac8 17.Kc3 Tfd8 18.Sed2 Sf6 19.h3 Sd5+ 20.Kb3 Sf4 21.Lf1 Lf6 22.g3 Sg6 23.Kc3 Se7 24.Se4 Sf5 25.Tad1 Lxe4 26.Txe4 Sd6 27.Tee1 Sb5+ 28.Kb3 Sxd4+ 29.Sxd4 Lxd4 30.Td2 Lf6 31.Ted1 Txd2 32.Txd2 Tc7
In dieser Stellung kam das Remisangebot von „Viktor dem Schrecklichen“, das Herbert Pa. selbstverständlich annahm.
Die zahlreichen Simultanvorstellungen - letzter Gast in der JVA Straubing ist im Juli 2008 im Rahmen der Aktivitäten vor der Schacholympiade in Dresden Bundestrainer Uwe Bönsch gewesen - war für mich schließlich die alles entscheidende Anregung. Warum nicht zum Jubiläum eine solche Veranstaltung an 60 Brettern durchführen? Um jedoch den Kontakt zur JVA-Schachgruppe aufzubauen, sollte schon bis dahin ein langfristiger Kontakt entstehen. Was lag da näher, als ein Minifernschachmatch zu starten?!
Nun musste nur noch ein geeigneter Spieler gefunden werden. Aber da hatte ich auch schon meine Vorstellungen: Robert Rabiega (Foto: Karl-Heinz Frenzen), der ebenfalls einen einmaligen Rekord vorweisen kann: Deutscher Meister im Normal-, Schnell- und Blitzschach – das hat außer ihm bisher hierzulande noch keiner geschafft!
Der Berliner Großmeister war auch sofort mit diesem Projekt einverstanden, das vom Deutschen Schachbund unterstützt wird. In seinem Brief an die JVA-Schachgruppe vom 28. September 2011 schrieb er:
„Natürlich hoffe ich, dass wir Freude daran haben werden und zwei gute Partien spielen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass solche Kontakte zur ‚Außenwelt’ für Euch auch so etwas wie Lebenshilfe sind.
Wie ich das meine? Na ja, da ihr ja als Mannschaft gegen mich antretet, ist beispielsweise Teamgeist gefragt - und nicht das Prinzip 'Der Stärkere setzt sich durch!'. Und Schach ist ja auch kein Glücksspiel, also entscheiden beide Seiten von Anfang an, wo es auf den 64 Feldern lang gehen wird. Wir sind nun einmal für unser Tun und Handeln im Schach selbst verantwortlich - das ist wie im wahren Leben!“
Und weiter: „Dass wir gemeinsam die Partien auswerten können – zu diesem Angebot stehe ich. Außerdem biete ich Euch zum Abschluss ein Simultan vor Ort an...“
Was die beiden Partien angeht, so hat es noch keine Entscheidungen gegeben. So sind sie inzwischen verlaufen:
Partie 1:
SG JVA Straubing – Robert Rabiega
Russische Verteidigung [C42]
1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.d3 Sf6 6.Lg5 h6 7.Lh4 Le7 8.Sc3 O-O 9.Le2 Lf5 10.Dc1 Sbd7 11.O-O Te8 12.Te1 c6 13.Sd4 Lh7 14.Lf3 Se5 15.Le4 Sxe4 16.Lxe7 Txe7 17.dxe4 Db6 18.Td1 Tae8 19.b3 Dc5 20.Dd2 Sd7 21.f3 Sb6 22.Tab1 d5 23.b4 Dc4 24.exd5 Sxd5 25.Sxd5 Dxd5 26.Tb3 Td8 27.c3 Tde8 28.a4 Dc4 29.a5 Te3 *
Partie 2:
Robert Rabiega – SG JVA Straubing
Skandinavische Verteidigung [B01]
1. e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 Sf6 5.Sf3 Lg4 6.h3 Lxf3 7.Dxf3 c6 8.Ld3 Sa6 9.De2 Sb4 10.Lc4 e6 11.O-O Ld6 12.a3 O-O 13.Se4 Sxe4 14.Dxe4 Sd5 15.c3 Tfe8 16.Te1 Sf6 17.Dc2 h6 18.Le3 Sd5 19.Ld2* Sf4 20.Lf1 Dh5 21.Te4 Sd5 22.Tae1 Sf6 23. T4e2 Ted8 24.g3 a5 25.Lg2 Lc7 26.a4 Tab8 27.b3 Td7 28.f4 c5 29.Le3 *
Alle Partien (PGN)
Die von Robert versprochene Partieauswertung ist also noch nicht in Sicht. Dafür aber die Festveranstaltung zum 60. Jubiläum. Und die findet nun am 17. November in der JVA-Sporthalle statt. Höhepunkt wird ganz sicherlich das Simultan an symbolisch 60 Brettern sein.
Da wir von Berlin aus diesen Event nicht vorbereiten können, bei dem auch Helmut Pfleger einen Vortrag über die schönsten Partien der Schachgeschichte halten wird, gilt schon jetzt unser besonderer Dank Arno Kasberger. Der Lehrer im Justizvollzugsdienst, der auch verantwortlicher Redakteur der „Kleinen Schachpost“ ist, hat jedenfalls alle Weichen mit großem persönlichen Einsatz gestellt, dass dieses unglaubliche Jubiläum auch entsprechend gefeiert werden kann, aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte...
Natürlich würden wir uns auch über Ihre ganz persönliche (Schach-)Geschichten, die das Leben schreibt, sehr freuen Sie dürfen diese jederzeit an raymund.stolze@t-online.de schicken, damit wir sie dann - Ihr Einverständnis selbstverständlich vorausgesetzt - auf der DSB-Homepage öffentlich machen können...
Die ersten beiden Beiträge dieser Serie finden Sie bei uns unter:
Raymund Stolze
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 577