19. April 2012
Auf Thomas Penninger machte mich DSB-Präsident Herbert Bastian aufmerksam. "Was hältst Du davon, kannst Du daraus etwas machen?", lauteten seine Fragen. Und ein kurzer Nachsatz: "Ist was über Schach dabei..."
Neugierig, wie ich nun einmal bin, habe ich den Blog-Link sofort ausgelöst, und war nach dem Lesen der Geschichte "Der fahrende Ritter"sehr beeindruckt. Mit welchem Lebensmut dieser Thomas Penninger mit seiner bisher nicht heilbaren Krankheit Multiple Sklerose umgeht und dabei neben der Musik das Schachspiel als Kraftquell nutzt, ist wirklich beispielhaft. Ganz sicher sind auch die soziale Kontakte in seinem SV Saarbrücken für ihn wichtig, dem Tom seit gut einem Jahr angehört. Jetzt will er sich sogar zutrauen, an Mannschaftskämpfen teilzunehmen.
Ich finde im Übrigen, dass solche vertrauensvollen persönliche EINBLICKE es wahrlich wert sind, veröffentlicht zu werden, weil Schach eben mehr als nur Statistik ist, wie uns der Beitrag von Thomas Penninger zeigt. Daher würden wir uns über Ihre ganz persönlichen (Schach-)Geschichten, die das Leben schreibt, sehr freuen. Sie können diese jederzeit an raymund.stolze@t-online.de schicken, damit wir sie dann - Ihr Einverständnis selbstverständlich vorausgesetzt - auf der DSB-Homepage öffentlich machen können...
Mit Ach und Schach, oder: Es irrt der Mensch, solange er strebt. Vor einem Jahr habe ich in der DMSG-Zeitschrift (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) einen Artikel mit dem Titel "Rook`n Rolli" veröffentlicht, einen Bericht über das erste Schachturnier, an dem ich teilgenommen habe. "Rook" ist der Turm auf Englisch, "Rolli" ist mein Rollstuhl, mit dem ich bei solchen Veranstaltungen unterwegs bin.
Jetzt war es wieder so weit, der fahrende Ritter zog aus zu neuen Abenteuern. Ich nahm wieder am D-Turnier der Saarländischen Einzelmeisterschaft teil, und zu meiner großen Überraschung und Freude, ich habe gewonnen, mit Urkunde und Pokal. Das Kuvert mit dem Preisgeld habe ich meiner Frau geschenkt, sie muss mich schließlich ertragen, wenn ich in anderen Sphären schwebe.
Das D-Turnier ist das Schlachtfeld der minderen Brüder, der Einstieg in die Welt des Turnierschachs, hier wird es ernst. Wenn man Schachspielen gelernt hat, verknüpft man zuerst mal in der Kindheit erworbene Tugenden mit einem Regelwerk, das zuerst einfach erscheint: Man muss sich was einfallen lassen, wenn man dem Gegner beikommen will. Die Bemühungen, Umsicht walten zu lassen und den Überblick zu behalten, ähneln dem Topfschlagen oder auch dem "Blinde-Kuh"-Spiel. Wird es brenzlig, versucht man, sich mit der Eleganz des Sackhüpfens aus der Affäre zu ziehen. Das Ende der Partie erreicht dann schon höchstes Niveau: Es gibt einen Sieger nebst Verlierer, oder ein Remis. Mehr kann auch der Weltmeister nicht herausholen, er erkennt nur früher als der Neuling, wo der Hase hinläuft, nicht nur, wenn kurz vor Ostern gespielt wird.
Bleibt man am Ball, findet man heraus: Schachspielen ist wie Eisenbahn fahren: Wenn man den richtigen Plan hat, kommen auch die passenden Züge. Es erschließt sich die Welt der Taktik: Matt in einem Zug, Matt in zwei, Springergabel, Läuferspieß usw. - ein Mikrokosmos der Tücke, den man durch stundenlanges Üben immer besser in den Griff bekommt.
Schach ist ein Mannschaftssport, alle zur Party einladen. Sonst hat man noch zwei Fass Bier (die Türme) im Keller und das Fest ist längst zu Ende. Der Kundige spricht vom Entwickeln der Figuren. Am Brett stellt man fest, dass man nie zugeflüstert bekommt, wann denn nun das Matt in fünf Zügen, das den Gegner hinweg fegen soll, möglich ist, wenn die Stellung überhaupt was hergibt.
Das Taktiktraining erinnert ans Minigolf: Deutlich hat man das Ziel vor Augen, das Loch, in dem der Ball verschwinden soll und aus dem ein Hohngelächter zu tönen scheint, wenn man es zum wiederholten Mal nicht geschafft hat, die Hindernisse zu überwinden. Genauso lacht der schwarze König, der, umzingelt von weißen Figuren, immer noch ein Schlupfloch findet.
Im Turnier ist mir schnell klar geworden, dass es nicht der virtuos gehandhabte Minigolfschläger ist, der einen in höhere Gefilde bringt. Man sollte ihn dabeihaben (Theodore Roosevelt: "Sprich freundlich und trage einen großen Knüppel bei dir..."), er kann sehr nützlich werden, aber das Spiel ähnelt doch mehr einer Schnitzeljagd in unübersichtlichem Gelände. Man muss die Anhaltspunkte finden, die einen Plan erkennbar machen, einen Stadtplan so lesen, dass man auch den Verlauf der Wasser- und Stromleitungen erahnt. Es geht um das Verhältnis von Taktik und Strategie (Schachmeister Tartakower: "Taktik ist, was man tut, wenn was zu tun ist. Strategie ist, was man tut, wenn nichts zu tun ist...").
Die nächste Stufe der Einsicht: Die Turnierpartie besteht aus dem Geschehen auf den 64 Feldern und dazu aus der Tagesform der beteiligten Spieler. Eine unglaubliche Melange aus Glück, abwechselnder Errettung durch Wunder, erhörte und verschmähte Stoßgebete, befolgte Ratschläge alter Hasen, in diesem Fall Egon Conrad, Sieger im B-Turnier und Patientenkollege (Für Insider: "Bring ihn ins Endspiel und anschließend um.."),
Müdigkeit, Schwarzaus (neudeutsch "Blackout"), der aber genauso den Spieler mit den weißen Steinen trifft, und die Einsicht, dass ich selbst mein schwerster Gegner bin mit meiner Überheblichkeit und Verzagtheit. An all das sollte man sich erinnern, wenn man in einer ruhigen Stunde, ausgeruht mit aller Zeit der Welt, eine Partie nachspielt und vom Kopfschütteln schwindlig wird.
Jetzt bin ich im "hohen Schach" angekommen, wie man es früher nannte. Und schnell wurde mir klar, dass es eine erfüllende und die Zeit ausfüllende Betätigung ist, ganz so, wie ich es aus meinen aktiven Jahrzehnten als Musiker kenne. Die Vollkommenheit erreicht man im Land hinter dem Regenbogen (Der Zauberer von Oz), aber dort kommt man auch als Vogelscheuche hin, ich muss mir also keine Sorgen machen...
Thomas "Tom" Penninger, Jahrgang 1958, verheiratet, von Beruf Musiker (Saxophon, Gitarre), ein Sohn Tim, zehn Jahre alt (schachbegeistert, wenn man nicht zuviel arbeiten muss). Seit seiner MS-Erkrankung vor zehn Jahren arbeitet er ausschließlich als privater Musiklehrer, auf der Bühne rackern sich jetzt seine Schüler ab. "Die frei gewordene Zeit - ich muss ja nicht mehr üben, investiere ich seit vier Jahren ins Schach", so Tom, der in Saarbrücken lebt und in 2011 sein erstes Turnier gespielt hat Seit Anfang diesen Jahres schreibt er in einem Blog kleine Geschichten und Gedanken, und ist dabei bekennender Fan von Münchhausen und Käpt'n Blaubär.
Raymund Stolze
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 314