10. Februar 2025
Ein renommierter indischer Lehrmeister für die Kaderspieler des Deutschen Schachbundes. GM Ramachandran Ramesh, kurz RB Ramesh, hat auf Einladung des DSB eine Woche lang die Spieler in der Sportschule Oberhaching trainiert. Wer ist dieser 48-Jährige, der als größter Talentschmied der Welt gilt? Was seine Philosophie angeht: Er ist kein Freund des reinen Ergebnisschachs und der Jagd nach Medaillen – sondern glaubt an die Entwicklung von Spielerinnen und Spielern nach einem klaren Plan. Er ist seit 1996 Internationaler Meister und seit 2003 Großmeister, betreibt seine Schachschule "Gurukul" in Chennai, die bereits hunderte indischer Top-Talenten durchlaufen haben – die wiederum in der Tat Medaillen sammeln ohne Ende. Auch der neue Weltmeister GM Dommaraju Gukesh hat bei ihm trainiert. Ramesh war 1998 erstmals als Coach für Indien bei eine einer Jugendweltmeisterschaft im Einsatz, seit 2008 arbeitet er hauptberuflich als Schachtrainer. Heute ist im Schach in Indien sehr viel Geld unterwegs, große Sponsoren fördern die Talente. Es herrscht eine einzigartige Schachkultur, von der auch die deutschen Spieler (die sich Ramesh ausdrücklich als Coach wünschten) einiges erfahren konnten – und sie bekamen seine hohe Trainingsintensität zu spüren. Dass diese in Oberhaching für manchen herausfordernd war, deutet Ramesh in seinen Antworten auf die Fragen von Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit an.
Herr Ramesh, Sie haben in Oberhaching die besten deutschen Spieler trainiert - mit Ausnahme von Vincent Keymer. Wie viel Talent konnten Sie entdecken?
Vorneweg: Es hat mir Freude gemacht. Diese Spieler haben herausragendes Talent - aber es fehlt ihnen an hartem Training. Ich denke: Mit diszipliniertem Training können diese Spieler noch viel stärker werden als sie derzeit sind.
Welche Stärken haben Sie entdecken können – und welche Schwächen?
Einige der Spieler haben ihren Fokus eher im Stellungsspiel, die anderen sind bessere Taktiker. Ich sehe die Probleme darin, dass es einigen an Selbstbewusstsein mangelt. Außerdem spüre ich beim ein oder anderen einen gewissen Widerstand gegen intensive Trainingseinheiten. Meiner Meinung nach sollte aber das Training intensiv sein und mit vollem Einsatz von allen Beteiligten.
Frederik Svane hat sich in letzter Zeit sehr gut entwickelt. Er hofft, bald die 2700-Elo-Grenze überschreiten zu können. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?
Frederik ist ein außergewöhnliches Talent. Aber was noch wichtiger ist: Er verpflichtet sich voll und ganz dem Schach und ist bereit, sich harten Trainingsmethoden zu unterziehen. Er ist sehr neugierig, immer bereit, ins kleinste Details zu gehen. Ich finde ihn extrem ehrgeizig und spüre, dass er bereit ist, sich für den Erfolg zu quälen. Ich denke, er hat eine glänzende Zukunft vor sich.
Es waren auch zwei sehr junge deutsche Spieler dabei: Marius Deuer und Leonardo Costa. Wie gut ist es gelungen, sie einzubinden? Und: Wie schätzen Sie diese Talente ein?
Es ist immer gut, wenn junge Spieler die Chance zu bekommen, mit starken Großmeistern zu arbeiten. Sie sehen dann, wie starke Spieler denken, sich konzentrieren, Züge erkennen, sie analysieren - und vieles mehr. Es ist quasi eine Lernerfahrung aus erster Hand. Was ich schnell feststellen konnte: Marius Deuer ist im Vergleich zu Leonardo Costa in engen Momenten entspannter – aber grundsätzlich darf ich sagen: Beide konnten in der Analyse mit den starken Großmeistern mithalten.
Sie haben viele talentierte Spieler in Indien trainiert – viele der heutigen „Schach-Superkids“. Wer kam sehr früh zu Ihnen? Und bei wem war klar, dass er oder sie enorm talentiert ist?
In meinen frühen Jahren als Schachtrainer hatte ich bereits die Gelegenheit, mit jungen Spielern zu arbeiten, die danach strebten, Internationale Meister und Großmeister zu werden. Einige meiner ersten Schüler waren GN Gopal, Swapnil Dhopade, Ashwin Jayaram, Debashis Das, Baskaran Adhiban, Sethuraman Panayappan und viele mehr. Sie alle wurden relativ jung Alter bereits Großmeister. Derjenige, der mich in den frühen Tagen am meisten beeindruckt hat, war Aravindh Chithambaram, einer der talentiertesten Spieler, mit denen ich je gearbeitet habe. Er hat das 2730-Level überschritten, obwohl er viele Jahre hinter Praggnanandhaa zurücklag. Pragg ist natürlich der andere talentierteste Spieler. Aber mehr als das Talent zählen aus meiner Sicht die Arbeitsmoral und Fleiß, die letztlich einen echten Champion ausmachen.
Es wird derzeit viel über die scheinbar endlos sprudelnde Quelle indischer Talente gesprochen. Was dürfen wir hier noch erwarten?
Ich denke, die Anzahl der Talente, die kurz vor dem Durchbruch stehen, hängt eher von den Rahmenbedingungen ab, unter denen sie leben, als von den einzelnen Talenten selbst. In Ausnahmefällen gelingt es einzelnen Talenten, unabhängig vom persönlichem Umfeld, durchzustarten. Was ich damit meine: In den meisten Fällen ist es eine Kombination aus Zugang zu hochwertigem Training, stark besetzten Turnieren, einer guten finanziellen Lage sowie Unterstützung durch Elternhaus und Schule – das sind die entscheidende Komponenten eines idealen Umfeldes für einen jungen Schachspieler. In Indien haben wir insgesamt ein sehr professionelles Umfeld, was Schach angeht. Vor diesem Hintergrund werden wir in den kommenden Jahren noch einige talentierte Spieler sehen, die sich einen Namen machen.
Wird Indien auf lange Zeit den Schachsport weltweit dominieren?
Danach sieht es aus. Insbesondere wenn man bedenkt, dass im Unterschied zu Indien die meisten Länder Talente nicht proaktiv fördern - und die Dinge einfach dem Lauf der Zeit überlassen.
Wie viel von der indischen Schachlehre – und der indischen Schachkultur – konnten Sie den DSB-Spielern in Oberhaching vermitteln?
Ich habe mich sehr bemüht, genau das zu schaffen. Es gibt grundlegende Unterschiede in der Art und Weise, wie wir in Indien und im Westen bestimmte Dinge angehen. Vielerorts konzentriert man sich nur auf die Ergebnisse. Wir gehen es in Indien so an: Wir konzentrieren uns auf das, was getan werden muss, um gute Ergebnisse zu verdienen – und tun das dann auch.
Ist es das, was Rasmus Svane meinte, als er von Schachpsychologie sprach, auf die Sie großen Wert legen würden?
Ja. Wie wir auf Enttäuschungen reagieren oder damit umgehen. Und die Arbeitsmoral, das Interesse und Engagement, neue und schwierigere Dinge zu lernen. Es geht um die Bedeutung von Konzentration, Selbstvertrauen und um vieles mehr. Ich habe meine Ansichten zu all diesen entscheidenden Aspekten mit den Spielern geteilt und hoffe, dass sie einige davon nach und nach umsetzen können.
Sie haben ja die Männer trainiert. Hatten Sie in Oberhaching auch Kontakt zu unseren Nationalspielerinnen und konnten sich austauschen?
Wir haben uns jeden Abend zur Sportstunde und während der drei Mahlzeiten getroffen. Aber ansonsten hatten wir den ganzen Tag über Trainingseinheiten mit unseren jeweiligen Gruppen.
Welchen Ruf genießt das deutsche Schach weltweit? Wo gibt es die größten Defizite im deutschen Schach – im Vergleich zu Indien? Beginnt die Förderung vielleicht zu spät - und nicht intensiv genug?
Generell werden viele europäische Nationalmannschaften immer älter. Idealerweise aber sollten alle paar Jahre junge Talente gestärkt werden – indem sie Teil der Nationalmannschaft werden. Deutschland hat eine recht starke Mannschaft, weltweit betrachtet. Die Topspieler werden gut bewertet. Außerdem hat Deutschland ein vergleichsweise junges Team. Die Spieler sollten gut gefördert werden und das Ziel haben, bei der Schacholympiade 2026 eine Medaille zu gewinnen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36293