13. Dezember 2024
In der deutschen Schachszene hielt sich das Gerücht seit Längerem. Und spätestens, als GM Vincent Keymer beim vergangenen Bundesligaspieltag nicht am Start war, wusste mancher schon mehr. Doch ein ungeschriebenes Gesetz in diesem auch von Geheimnissen umwobenen Sport besagt: Das Team hinter dem Titelanwärter bleibt weitgehend anonym – so lange wie möglich jedenfalls. Bei der Pressekonferenz nach der 14. und entscheidenden Partie in Singapur aber hob GM Dommaraju Gukesh, der jüngste Weltmeister der Geschichte, den Schleier: Zu seinen Sekundanten gehörte auch Vincent Keymer. „Vincent hat mein Team verstärkt.“ Keymer jubelte später vor laufender Kamera aus einer Wohnung in Manilva, in der Nähe von Malaga: „Ein großartiger Moment. Wir haben sehr hart gearbeitet. Aber wir haben es auch genossen.“
An Vincents Seite in Spanien: Der indische GM Pentala Harikrishna und der polnische GM Radosław Wojtaszek. Die drei zogen am Abend auch noch los zum Feiern. Zum Team Gukesh gehörten auch noch: GM Grzegorz Gajewski, GM Jan-Krzysztof Duda und GM Jan Klimkowski, zudem Mentaltrainer Paddy Upton and die indische Schachlegende GM Viswanathan Anand.
Ein Sekundanten-Team, auf das er in dieser Konstellation nur teilweise gekommen wäre - das aber letztlich perfekt zusammengestellt gewesen sei, so GM Magnus Carlsen, der die Weltrangliste noch anführt, aber die WM nicht spielen wollte: „Vincent Keymer war die größte Überraschung für mich, aber ich weiß, dass Vincent sehr spezifische Vorstellungen von Schach und Eröffnungen hat, sie sind ziemlich unkonventionell“, so der Norweger: „Es macht also Sinn, ihn dabei zu haben.“ Insgesamt habe das Team „einen ziemlich guten Job gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass sie bei der Eröffnung gute Ideen hatten.“
Gukesh, der neue Weltmeister selbst brachte es so auf den Punkt: „Dieses Team, jeder einzelne von ihnen, hat sehr hart gearbeitet. Ich kann allen gar nicht genug danken und würde ohne sie hier nicht sitzen.“ Mancher Experte zeigte sich überrascht von Keymers Mitarbeit. Das sei „außergewöhnlich, weil Keymer der beste deutsche Großmeister ist und mit 20 Jahren selbst Ambitionen hat, eines Tages Weltmeister zu werden. Dass Schachspieler als Sekundanten für direkte Konkurrenten arbeiten, kommt selten vor“, schrieb der Spiegel, dem Keymer einige Fragen schriftlich beantwortete.
Gukesh habe ihn bei der Grand Chess Tour im Juni in Warschau persönlich angesprochen, verriet Keymer. Er habe zugesagt und danach hätten einige Trainingslager stattgefunden. Dass die beiden sich mögen, ist bekannt. Gukesh selbst hält große Stücke auf Keymer und sagte Anfang dieses Jahres: „Vincent ist ein unglaublich guter Spieler. Ich kann kaum glauben, dass er Schach auf diesem Niveau spielt und trotzdem auch das Abitur gemacht hat“, so der neue Weltmeister, der seit frühester Kindheit alles dem Schachsport untergeordnet hat: „Wo stünde Vincent womöglich, wenn er nicht noch so viel Energie für die Schule hätte aufbringen müssen?“ Eine gute Frage. Aktuell ist Keymer jedenfalls die Nummer 20 der Welt, Gukesh nominell die Nummer fünf – aber neuer Weltmeister. „Seit ich mit Schach angefangen habe, habe ich von so einem Moment geträumt«, sagte er und schämte sich seiner Tränen nicht.
Keymer gab nur begrenzt Einblicke in die gemeinsame Arbeit – ein bisschen Mythos muss rund ums Schach ja noch bleiben. Erfahren haben die Fans aber, dass er als Koch in der Schach-WG in Spanien mit einer Vorliebe für Curry sehr beliebt war. „Die Arbeit selbst war intensiv und anstrengend, besonders während des Matches haben wir oft bis tief in die Nacht gearbeitet“, so Keymer. Er habe die Tätigkeit aber „als Chance gesehen, Erfahrung auf dem absolut höchsten Niveau zu sammeln. Unter anderem mit Blick auf die Qualifikation für das Kandidatenturnier 2026.“
Dort wird dann der kommende Herausforderer von Weltmeister Gukesh ermittelt. Keymers persönlicher Förderer Jan Henric Buettner, der die deutsche Nummer eins und einige Talente über seine "Weissenhaus Chess Academy" fördert, hatte in der Vergangenheit betont: „An oberster Stelle steht für uns Vincent Keymer mit der Mission Weltmeisterschaft. Ziel ist, dass Vincent Weltmeister wird.“ Wie sich das anfühlen könnte – darauf hat Keymer nun einen Vorgeschmack bekommen. (mw)
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