14. November 2013
Das Leben einer Nationalmannschaft ist, wie soll man sagen, kein Ponyschlecken. Mal gewinnt man, dann verliert man auch schon wieder, und schließlich kommt England und siegt denkbar knapp mit 2,5:1,5. Genau so erging es den deutschen Herren in der 5. Runde der Europameisterschaft in Polen. Team Germany rutscht durch diese Niederlage gegen die an 5 gesetzten starken Engländer hinunter auf den 25. Platz. Dort mag es ein wenig fad sein, und das große Kribbeln im Umkreis der Medaillenränge gibt es dort auch nicht. Allerdings stehen mit der Schweiz, Dänemark und den Poland Goldies noch andere schachsportlich renommierte Länder auf ganz ähnlichen Rängen der Tabelle, und (für viele der größte Trost) Österreich hat einen ganzen Punkt weniger.
Gegen England spielte Arkadij Naiditsch einmal mehr gegen einen seiner Baden-Badener Mannschaftskollegen. Da fährt man schon mal bis nach Polen, und trifft dort doch wieder nur auf die Leute von zu Hause – schade eigentlich! Gegen Michael Adams wurde einiges versucht, doch am Ende fügte es sich in ein Unentschieden. Ebenfalls Remis wurde die Partie von David Baramidze (SV Hockenheim), der gegen Gawain Jones zwar zu einer Mehrfigur, doch auch zu einem freilaufenden König kam. Das will man nicht, und so wickelte Baramidze (Baden-Baden) lieber ab zur Punkteteilung.
Dann wurde es dramatisch – Georg Meier hatte einen feinen Mehrbauern gegen Nigel Short und stand auch ganz angenehm. Doch wie Nigel Short eben so ist, er gibt einfach nicht auf, und versuchte stattdessen mit dem einen oder anderen Bauernzug Meiers Stellung aufzulockern. Auf den ersten Blick schien auch das nicht sehr gefährlich (zumindest wenn man in Bremen vor dem Computer sitzt), doch bei knapper werdender Zeit muss sich Georg Meier einmal vertan haben, und Short konnte mit einem energischen Springerzug das Material wieder ausgleichen – auch hier folgte bald das Remis.
Jetzt blieb noch die Partie Howell – Fridman. Ein bisschen wackelte die Stellung des Mülheimers wohl schon für längere Zeit, doch erst in der Zeitnotphase konnte Howell daraus einen richtigen Vorteil machen. Mehrbauer, Kontrollstellung, kein Spaß mehr für Fridman – nach einigen Versuchen schließlich musste er aufgeben. Damit war das 1,5:2,5 besiegelt, und ebenso Platz 25 in der Tabelle. Das ist nicht viel für einen Titelverteidiger, doch sei's drum! Das Leben ist eben kein Zuckerhof, und schon gar nicht für Nationalmannschaften. Immerhin bleibt die Hoffnung auf ein besseres nächstes Mal (und das ist ja auch schon bald, bei der Mannschafts-WM in Antalya). Heute aber lauert erst einmal Litauen.
Und auch wenn es hart ist, ein Blick an die Spitze: dort trifft am Donnerstag Frankreich (neuf points) auf Griechenland (οχτώ πόντος).
Br. | Deutschland | Elo | 1½:2½ | England | Elo |
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9.1 | GM Arkadij Naiditsch | 2727 | ½:½ | GM Michael Adams | 2752 |
9.2 | GM Georg Meier | 2623 | ½:½ | GM Nigel Short | 2680 |
9.3 | GM David Baramidze | 2614 | ½:½ | GM Gawain Jones | 2648 |
9.4 | GM Daniel Fridman | 2600 | 0:1 | GM David Howell | 2644 |
Runder läuft es bei den deutschen Frauen. Hut ab vor diesem Team – gegen Russland konnten sie ein souveränes 2:2 herausarbeiten, und das war auch völlig verdient. Die an 2 gesetzten Russinnen gingen durch Alexandra Kostenjuk in Führung. Sie bewegte gegen Ketino Kachiani-Gersinska einen Mehrbauern bis nach a2 vor, der am Ende nicht mehr regulär zu stoppen war. Elisabeth Pähtz stand bedrängt in einem damenlosen Mittelspiel, gab eine Qualität und lief alsbald im Endspiel zu großer Form auf – ihre zwei Springer machten Walentina Gunina mehr als nervös, so dass sie am Ende trotz Materialvorteil ins Unentschieden einwilligte. Das war klasse gemacht. Mindestens ebenso stark und spannend die Partie von Tatjana Melamed – gegen Natalja Pogonina opferte sie einen Bauern, und man dachte erst, hm hm, hm hm, was wird das mit diesem Minusbauern? Doch was so eine WGM ist, die spürt die Kompensation auf, sobald es eine gibt – erst den Läufer aktiviert, dann den Turm hinüber zum Königsflügel, Opfer, Drohung – und nun konnte Pogonina nur noch die Hand reichen zur Aufgabe. Bald endete auch die von Marta Michna schon sehr lange mannschaftsdienlich weitergespielte Partie mit einem Remis, es stand 2:2, und die deutschen Damen stehen damit auf Platz 7. Am Donnerstag geht es weiter gegen Polen III. Glück auf!
Br. | Russland | Elo | 2:2 | Deutschland | Elo |
---|---|---|---|---|---|
3.1 | GM Walentina Gunina | 2509 | ½:½ | IM Elisabeth Pähtz | 2449 |
3.2 | GM Alexandra Kostenjuk | 2510 | 1:0 | IM Ketino Kachiani-Gersinska | 2365 |
3.3 | WGM Natalja Pogonina | 2499 | 0:1 | WGM Tatjana Melamed | 2367 |
3.4 | WGM Olga Girja | 2447 | ½:½ | WGM Marta Michna | 2357 |
Wir freuen uns, heute noch ein paar Statements direkt von Bundestrainer Uwe Bönsch wiedergeben zu können.
Direkt aus dem fernen Warschau hat er uns gestern ein Mail-Interview gegeben – schauen wir einfach mal rein!
Herr Bönsch, wie gefällt es Ihnen, den beiden Teams und den übrigen Begleitern in Polen?
Es ist alles bestens, wir wohnen mitten in Warschau und schauen vom Hotel direkt auf den Kulturpalast. Leider spielt das Wetter nicht so richtig mit, häufiger Regen und trübes Wetter sind für November in Warschau aber wahrscheinlich nicht ungewöhnlich.
Wie sind die Spielbedingungen? Gibt es ausreichend Kaffee für alle?
Die Spielbedingungen sind bis auf einen engen Spielsaal okay. Besonders gut ist es, dass im Hotel auch gegessen und gespielt wird. Die Organisatoren geben sich die allergrößte Mühe und bisher gab es kaum etwas zu beanstanden.
Für die Herren lief es bisher ja so ein bisschen durchwachsen. Wie ist die Stimmung im Herren-Team?
Die Stimmung ist nach unserem bisherigen Abschneiden etwas gedrückt, aber alle sind entschlossen die restlichen Runden so gut wie möglich zu spielen. Mit einem ordentlichen Endspurt kann noch ein achtbares Resultat rauskommen.
Ein Erfolg wie vor zwei Jahren ist natürlich nicht mehr möglich. Mir ist es aber lieber, die Mannschaft spielt manchmal weit über ihren Erwartungen und manchmal eben auch schlechter, als wenn immer ein mittelmäßiges Resultat rauskommt.
Mit zwei Bronzemedaillen und dem Titel vor zwei Jahren bei einer EM, sowie einer Silbermedaille bei der Olympiade, hat Deutschland in den letzten 15 Jahren einige Male sehr weit über den Erwartungen abgeschnitten. Leider waren aber dann auch einige weniger gute Resultate dabei.
Gibt es etwas, was man im Rückblick hätte anders machen sollen?
Eine Bilanz sollten wir erst am Ende des Turniers ziehen.
Sollten die Männer nicht mehr Erster werden - wem würden Sie es dann wünschen, den Titel zu holen?
Ich habe keine Lieblingsmannschaft, aber die Franzosen wären wohl auch mal wieder dran mit einem großen Erfolg.
Glückwunsch zum 2:2 der Damen vorgestern gegen die starken Russinnen. Ist nun der Weg frei an die Spitze?
Die Frauen haben es tatsächlich in der Hand ganz vorn mitzuspielen. Es kommen aber noch einige richtig schwere Brocken, wenn ein vorderer Platz rausspringen soll.
Spielen die Frauen in Warschau das bessere Schach? Und was sagen die deutschen Herren dazu?
Die Mannschaften wünschen sich gegenseitig viel Erfolg.
Gibt es so etwas wie „team building" bei der Nationalmannschaft, gemeinsame Aktivitäten, Bowling, Waldlauf, Karaoke, damit sich die SpielerInnen besser kennenlernen?
Die meisten Spieler und Spielerinnen kennen sich schon sehr lange und spielen auch schon viele Jahre gemeinsam. Spezielle Programme sind nicht erforderlich. Es wird aber einiges gemeinsam unternommen.
Bleibt nach der EM etwas Zeit zum Durchatmen, oder fahren alle zusammen sofort am Montag los zur WM nach Antalya?
Die Männermannschaft mit Eröffnungstrainer Nisipeanu und mir fliegt eine Woche nach unserer Rückkehr am 25.11. nach Antalya.
Ich habe in kaum einer Zeitung etwas über die Mannschafts-EM in Warschau gelesen. Auch nach dem Titelgewinn vor zwei Jahren war das Medien-Echo eher zurückhaltend. Sollte der Schachsport etwas tun, um mehr Öffentlichkeit zu bekommen?
Das ist eine komplexere Frage, zu deren Beantwortung bereits viele schlaue Artikel geschrieben wurden. Die Berichterstattung auf unserer Homepage, wie jetzt von Ihnen, ist sicher hilfreich für die positive Darstellung von Schach in der Öffentlichkeit.
Haben Sie noch eine Anekdote vom Turnier für uns, für die Schachgeschichtsbücher und für die daheimgebliebenen Fans?
Hier muss ich passen.
Herr Bönsch, Dankeschön für das Gespräch, und alles Gute für die letzten vier Runden!
Abschließend noch ein weiterer Dank – an Frank Hoppe nämlich, den großartigen Webmaster des Deutschen Schachbundes. Frank ackert für diese Seite schon seit langer Zeit mit Umsicht, Humor, viel Geduld und noch mehr Kompetenz, und auch jetzt bei der EM hält er für die Homepage und das Redigieren der Texte alle Fäden in der Hand. Ohne ihn wäre es hier leer auf dem Bildschirm. Danke, Frank – Du machst das super!
(Beinahe wäre Frank im letzten Jahr auch für Deutschland zur Olympiade gefahren. Am Ende gab es dann aber leider doch keinen Platz mehr für ihn im Team. Den Olympia-Fragebogen des DSB hat er trotzdem ausgefüllt – man kann es hier nachlesen auf dem Blog Schach-Welt.de.)
Text: Olaf Steffens
Fotos: Uwe Bönsch
Veranstalterseite | DSB-Turnierseite
Live-Partien mit Klaus Bischoff (deutsche Partien) | Alternativlink
Live-Übertragung liveschach.net (alle Partien)
Ergebnisse Chess Results: Männer | Frauen
Olaf Steffens ist FIDE-Meister, wohnt in Bremen und spielt dort für den SV Werder in der Zweiten Bundesliga. Obwohl das Schachspiel eigentlich viel zu schwierig für ihn ist, versucht er es immer wieder und schreibt darüber zusammen mit anderen auf www.schach-welt.de.
Während der Europameisterschaft in Warschau schreibt er für den Deutschen Schachbund.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9242