29. Januar 2025
Heitersheim. Malteserstadt im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. 6500 Einwohner – und ein sehr lebendiger Schachclub. Motto: „Spaß am Quadrat.“ 100 Mitglieder - und das Gesicht des Vereins: Gerhard Prill, mittlerweile Spiel- und Turnierleiter. Beim Deutschen Schachbund ist der von einigen Tagen 75 Jahre alt gewordene Prill Beauftragter für Mitgliedergewinnung. Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit hat ihn in Heitersheim besucht. Treffpunkt war das Spiellokal des Vereins, ein moderner Raum im Vereins- und Jugendzentrum. „Hier sind wir unser eigener Herr, können immer alle Bretter stehen lassen“, sagt Gerhard Prill, der ehemalige Betriebs- und Marktwirt. Eine kleine Küche, und nebenan sind andere Vereine beheimatet, mit denen die Schachfreunde einen freundschaftlichen Austausch pflegen. Im zweigeteilten Interview geht es – natürlich - um Mitgliedergewinnung. Heute im Teil eins im Mittelpunkt: der Nachwuchs.
Gerhard, viele Vereine klagen über Mitgliederschwund, gleichzeitig aber steigen die Mitgliederzahlen im DSB, der auf die magische Zahl 100 000 zusteuert – wie passt das zusammen?
Erstmal: Das mit den 100 000 Mitgliedern freut mich sehr – das war immer mein Fernziel und nun stehen wir kurz davor. Aber: Wir haben eine Zweiteilung. Es gibt viele größere Clubs – die wachsen quasi automatisch, das sehen wir auch bei uns. Kaum ein Spielabend, an dem nicht ein neuer Interessent vorbeikommt. Natürlich bleiben nicht alle, aber es gilt auch im Schach der Marketing-Grundsatz: Wo viel ist, kommt viel dazu. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Mitgliederzahl von etwa 50 auf 100 gesteigert. Wenn Du einmal wächst, ist das fast ein Selbstläufer.
Wie habt Ihr das geschafft?
Wir bieten viel an, an unterschiedlichen Tagen. Das erhöht beim heutigen Freizeitangebot die Chance, dass jeder seinen Termin findet. Wir haben zwei Spielabende. Freitags ist der eigentliche Spielabend für die Clubspieler und mittwochs bieten wir einen offenen Schachtreff für Hobbyspieler an - nach dem Motto „Schach just for fun“. Da kann jeder kommen und sich ausprobieren. Zusätzlich gibt es das Jugendschach im Verein und in der Grundschule. Mehr Schachangebot geht nicht. Gleichzeitig schauen wir bei der Nachwuchsgewinnung auch nach rechts und links.
Auf die anderen Vereine?
Ja, wir stehen im Wettbewerb mit ganz vielen anderen Sportarten wie Fußball und Handball, sowie kulturellen Vereinen wie Orchester, Chor und einige mehr. Wir müssen zusehen, dass wir den jungen Leuten innerhalb des Schachsports auch ein Gemeinschaftserlebnis bieten. Dies ist etwas, was bei Schachvereinen oft untergeht. Wir versuchen dies, zum Beispiel durch das Tragen von einheitlichen Vereinstrikots oder durch gemeinsame Reisen zu offenen Turnieren, doch in irgendeiner Form zu bieten. Es erregt dann auch Aufmerksamkeit, wenn bei einem Turnier zehn bis zwölf Jugendliche aus Heitersheim im gleichen Shirt auftauchen. Die jungen Leute entwickeln dann auch im Schach ein Teamgefühl. So ein Trikot hat eine Bedeutung. Das haben wir im Schach viel zu lange unterschätzt. Bei uns kommen einige sogar im Trikot zum Spielabend.
Aber es gibt halt Kinder, die wollen sich vor allem: bewegen…
Natürlich verlieren wir auch Talente an Teamsportarten, weil dort gemeinsam Tore gefeiert werden können. Uns muss klar sein: Handball und Fußball ist Action, der laute Torschrei und mehr - da haben wir wenig entgegenzusetzen. Aber wir versuchen zumindest, gegenzusteuern. Schach hat einen Riesen-Vorteil, den es zu nutzen gilt: Junge Leute lieben die Herausforderung, die Challenge - und mehr Challenge als beim Schach geht ja kaum.
Aber das war doch schon immer so, Motto: Es kann nur einen geben…
…ja, aber das Eins gegen Eins interessanter zu gestalten, über unterschiedliche Spielzeiten und Turnierformen – das ist die Herausforderung. Und da geht im Schach viel: Bullet, Blitz, Schnellschach – junge Leute lieben das.[
Du sprichst gerne vom Verein als Gruppenerlebnis.
Ja, wir haben im Schach zu lange den Fehler gemacht, beim Training den Kindern die Eröffnungsvariante einzubimsen - bis zum 15. Zug. Das verkopft sie, diese Theorie sorgt auch für Einsamkeit. Klassischer Einzelsport halt. Ich bin dafür, im Breitensport diese Komponente natürlich weiterhin zu beachten, aber gleichzeitig auch auf das Gruppenerlebnis zu setzen. Zum Beispiel über Turnierfahrten, wo wir dann als Team auftauchen. Da kann man ja auch mal zwei Tage in der Jugendherberge verbringen – im Fußball oder Handball ist das weit verbreitet, warum nicht im Schach? Bei uns funktioniert das, wir haben aktuell rund 60 Jugendliche, darunter auch 16 Mädchen.
Vereine klagen immer wieder: Junge Leute machen nichts mehr, ohne Geld dafür zu bekommen.
Das sehe ich anders. Es geht um Identifikation mit dem Verein, die man schaffen kann – und darum, jungen Leuten Verantwortung übertragen. Unsere jungen Trainer wollen kein Geld ausbezahlt bekommen für ihre Trainertätigkeit – aber sie wollen ein eigenes Budget, über das sie selbstständig verfügen können. Das stellen wir ihnen gerne zur Verfügung – und freuen uns auch, wenn die jungen Leute Ideen einbringen. Wir haben auch junge Leute, um die 20 Jahre alt, im Vorstand. Die haben manchmal ihren eigenen Kopf – aber Du musst sie machen lassen. Das betrifft alle Bereiche: Bei uns dürfen die Jugendtrainer die Kaderbildung für Turniere selbständig vornehmen – da redet keiner von oben rein. Man muss der Jugend vertrauen. Wenn man das tut, gewinnt man Nachwuchs in vielen Bereichen: als Trainer, auch Schiedsrichter. Dies ist unsere Erfahrung.
Euren Nachwuchs rekrutiert Ihr auch über Schul-AG's. Wie läuft das?
Unsere zwei Schach-AG`s finden direkt vor Ort bei uns im Vereinsraum statt, nicht an der Schule – das sorgt für eine direkte Anbindung an den Verein. Die jungen Leute spüren gleich, wie es bei uns zugeht und werden integriert. Aber mit Turnieren gehen wir auch an die Schule. Das hat eine enorme Strahlkraft, wenn in der Aula die jährliche Schulmeisterschaft mit rund 30 Teilnehmern stattfindet. Da werden dann die Kids, die in der Aula Schach spielen, oftmals zu richtigen Helden in ihrer Klasse. Wir haben in Heitersheim aber auch das Glück, dass zum Beispiel die Schulleiterin das sehr fördert. Da wird ein richtiger Zeitplan entwickelt, wann welche Schulklasse den Unterricht unterbricht – und beim Schachturnier vorbeschauen darf. Der Effekt bleibt nicht aus: Plötzlich wollen auch andere in die Schach-AG. Schach-AG.
Und dann seid Ihr clever, wie ich feststelle: Auf der Rückseite des Formulars zur Anmeldung für die Schul-AG findet sich gleich das Anmeldeformular für den Verein…
…ja, das funktioniert. Die Eltern müssen sich schon beim Ausfüllen des Formulars damit beschäftigen, dass es da noch mehr gibt als diese Schul-AG: nämlich den Verein. 2,50 Euro monatlicher Mitgliedsbeitrag für das Kind sind auch keine hohe Hürde. Ganz nebenbei versuchen wir auch gleich Eltern zu gewinnen und weisen sie auf unsere Einsteigerkurse für Erwachsene hin.
Eine große Gruppe, die vielleicht noch zu sehr übersehen wird, sind womöglich Geflüchtete…
…wir sehen auch die. Es gab vor einiger Zeit vor der Flüchtlingsunterkunft einen Tag der offenen Tür. Da waren wir dabei, haben unsere Bretter aufgestellt und mit den Flüchtlingen gespielt. Und tatsächlich kamen auch vereinzelt Flüchtlinge zu uns in den Verein. Leider ziehen diese dann oft um, so dass kaum einer hängen geblieben ist.
Und dann hast Du mir mal von der Geschichte erzählt mit den Kids aus dem benachbarten Jugendzentrum. Ich fand das exemplarisch dafür, wie sich ein Verein öffnen kann.
Ja, wir haben uns sechs Camping-Tische aus dem Baumarkt zugelegt. Im Sommer stellen wir die öfter raus und spielen draußen – damit wir sichtbar werden. Nun hängen hier auch immer junge Leute ab, die nebenan zur Schule gehen und sich beim Jugendzentrum aufhalten. Bei denen man den Eindruck hat: Sie wissen manchmal wenig mit ihrer Zeit anzufangen. Die kommen dann neugierig an unsere Tische, haben erzählt, dass sie aus ihrer Heimat, wie zum Beispiel Syrien, Schach kennen – weil es dort der Opa gespielt hat. Und der eine oder andere setzt sich dann zu uns und spielt mit. Bei uns im Verein empfinden wir es so: Selbst, wenn letztlich hierüber nur wenige neue Mitglieder hängen bleiben, bringt das Leben in die Bude, schafft Begegnungen. Auch dafür machen wir es.
Und morgen: Im zweiten Teil des großen Interviews mit Gerhard Prill, dem Beauftragten des Deutschen Schachbundes für Mitgliedergewinnung, geht es um das Thema „Erwachsene als neue Mitglieder gewinnen – wie geht das?“
Wer mehr wissen möchte zum Thema, darf gerne den DSB-Beauftragten für Mitgliederentwicklung anschreiben. Gerhard Prill kann bei Bedarf auch Info-Material (u.a. eine Powerpoint-Präsentation für die eigene Vereinsarbeit) zur Verfügung stellen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36280