22. November 2011
In der Volkstimmme, der großen Tageszeitung für das nördliche Sachsen-Anhalt, war jüngst zu lesen, dass am 26. November ganz Schach-Deutschland nach Calbe schaut. In der knapp 10.000 Einwohner zählenden Stadt an der Saale finden nämlich zum zweiten Mal nach 2007 die Deutschen Blitz-Einzelmeisterschaften statt - damals triumphierte zum bislang letzten Mal in seiner langen Schachkarriere "Potzblitz", im Klarnamen Karl-Heinz Podzielny. Der hatte bereits die bundesdeutsche Premiere 1974 gewonnen. Im damaligen Osten der Republik trug sich der Gothaer Heinz Rätsch allerdings schon sieben Jahre früher in diese Chronik ein.
Podzielny dominierte dann gemeinsam mit Klaus Bischoff die bundesdeutsche Blitzszene, wobei Erstgenannter es auf sieben Titel brachte, während der Zweitgenannte sogar stolze elfmal Blitzschach-König von Deutschland wurde.
Bei der nunmehr 38. Auflage sind allerdings beide nicht unter den 27 nominierten Startern. Und auch der Titelverteidiger Jan Gustafsson, unser Brett 4 aus dem glorreichen Europa-Mannschaftsmeister-Team im Normalschach, wird in Calbe fehlen. Das hat allerdings gute Gründe. Der Hamburger Großmeister hat für das Rahmenprogramm des Sontheimer Schachwochenendes - Höhepunkt ist der Blindsimultanweltrekordversuch an 46 Brettern von Marc Lang - zum gleichen Termin zugesagt. Da wird Gusti - der 2001 schon einmal der beste deutsche Blitzer wurde - in vier Matches mit je zwei Handicap-Partien bei Materialvorgabe gegen Amateure spielen. Auf den Spuren alter Meister nennt man dieses Show. Nur schade halt für Calbe und Glück auf alle Fälle für Sontheim. [mehr dazu auf www.blindsimultan.de]
Dass Jan Gustafsson den Event vorzieht, kann man ihm nicht einmal krumm nehmen. Immerhin ist ihm bei dem Duell "Amateur gegen Meister" für seine Arbeit ein angemessenes Salär sicher. In Calbe, wo ein Hauen und Stechen Jeder gegen Jeden in der Aula des Friedrich-Schiller-Gymnasiums angesagt sein wird, ist hingegen kaum garantiert, dass am Ende Aufwand und Nutzen stimmen könnten. Zu schwierig sind Vorhersagen in einer Disziplin, die bei den Weltcup-Turnieren inzwischen auch über Sein oder Nichtsein entscheidet. Sontheim ist in diesem Fall nicht der Spatz in der Hand, sondern die Taube auf dem Dach...
Von den ehemaligen Titelträgern treten immerhin den Weg in die Rolandstadt an: Jan Gustafssons ehemaliger Teamplayer vom Hamburger SK, Thies Heinemann (1997, Foto rechts) und Robert Rabiega vom SK König Tegel, der gegenwärtig als Aufsteiger die Bundesliga so richtig aufmischt. Der Berliner muss jetzt allerdings mit der Favoritenlast leben. Aber wer 2002, 2003 und zuletzt nochmals 2008 den Blitz-Gipfel bezwungen hat, der sollte über genügend Erfahrungen und Tricks verfügen, wie und wann man so einen Gipfel stürmt. Schließlich wird er in der Starterliste nicht umsonst auf Platz 1 geführt. Ich lege mich jedenfalls fest: Der Titel 2011 führt nur über Robert Rabiega!
Gefährlich könnte ihm durchaus ebenfalls ein Berliner werden, der für die Schachfreunde in der Hauptstadt spielt. Ilja Schneider jedenfalls ist es durchaus zuzutrauen, wenn er über die volle Distanz konzentriert bei der Sache ist, für eine Überraschung zu sorgen. Und das gilt ebenso für den aktuellen deutschen Schnellschachmeister Hagen Poetsch. Der Hesse kann eigentlich nur gewinnen, denn der Druck liegt halt bei Robert Rabiega.
Wäre noch so ein "junger Wilder" zu erwähnen. Auf Platz 2 gesetzt, wird Andreas Heimann von der OSG Baden-Baden alles geben, um am Ende ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Auch er ist schließlich nach dem Sieg im Mitropapokal mit der deutschen Männer-Nationalmannschaft Mitte Oktober in Frankreich echt motiviert.
Kaum auf einen Medaillenrang - da lege ich mich einfach einmal fest - dürfte Michael Buscher landen. Aber das wird dem Mann völlig egal sein, hat er doch als "Öffentlichkeitsarbeiter" für das Schach mehr getan hat, als alle seine Konkurrenten vor Ort. Und erst recht, was selbst die wichtigsten Schach-Veranstaltungen hierzulande angeht - einschließlich des alljährlichen Superturniers in Dortmund.
Na, dämmert es bei Ihnen? Richtig! Der Aachener FIDE-Meister kam in der ARD-Show "Der klügste Deutsche 2011" auf Platz 2. Entscheidend dafür dass dem 44jährigen Versicherungskaufmann Versicherungsfachwirt der Sieg versagt blieb, war das unsinnige finale Zuschauervoting. Und da hatte Michael Buscher, der durch witziges Auftreten und bemerkenswertes Wissen auffiel, leider keine Chance Allerdings dürfte eine Einschaltquote von 5,77 Millionen Zuschauern wohl kaum im Schach zu toppen sein. Bei dem in der Saison 2011/12 deutlich verbesserten Internet-Live-Übertragungen bei www.schachbundesliga.de sind in sehr guten Zeiten vielleicht 2000 User zu zählen....
Ach ja, dass Blitzschach eine durchaus ernstzunehmende Teildisziplin ist, hat im November 2009 in Moskau mit dem Sieg in der 4. FIDE-Blitz-WM ein damals gerade 19.jähriger Norweger bewiesen. Sein Name: Magnus Carlsen der zwei Monate später als jüngste Nummer 1 der Welt Schachgeschichte schrieb...
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 125