30. Juni 2025
Für das zweites Interview mit einem neuen DSB-Referenten (die wir in loser Folge vorstellen wollen) gibt es keinen besseren Anlass als diesen: Das DSB-Lichess-Team ist seit dem 01. Juni 2025 an jedem Spieltag aufgestiegen -und hat am Sonntag den Aufstieg in die höchste Spielklasse, die Lichess-Bundesliga erreicht. Im Onlineteam des DSB spielen mittlerweile über 50 Spielerinnen und Spieler mit. Am Donnerstag, 3. Juli 2025, um 20 Uhr startet das DSB-Team dann zum ersten Mal in der Bundesliga: https://lichess.org/tournament/jPG8JwAL Das große Ziel: Der Titelgewinn. Es wird mit Hochdruck an der Einrichtung eines Livestreams auf SchachdeutschlandTV für das Turnier gearbeitet. Auch die Unterstützung von Nationalspielern für das Turnier ist angefragt. Der Mann hinter diesem Projekt: Jannik Liebelt, unser neuer Referent für Onlineschach. Kaum gewählt – ging er schon ans Werk. Und stellte sich jetzt den Fragen von Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit.
Jannik, erstmal Glückwunsch zum Bundesliga-Aufstieg mit dem DSB-Team. Aber Du selbst hast ja seit 2022 ein eigenes Lichess-Team – und auch für Euch ging es schon bis in die Bundesliga. Worin liegt der Reiz beim Online-Wettkampfschach?
Ich sehe im Onlineschach eine interessante Ergänzung zum klassischen Schach am Brett. Weite Anreisen kosten viel Zeit und Geld, insbesondere bei Turnieren auf nationaler und internationaler Ebene. Diese Hürden bestehen im Onlineschach nicht. Das vergrößert den Spielerpool vor allem bei Turnieren mit kurzer Bedenkzeit erheblich. In der Lichess-Liga, einer abendlichen Blitzschachliga, nehmen regelmäßig zwischen 4000 und 5000 Spieler aus der ganzen Welt gleichzeitig teil, allein 800 bis 1000 davon in der höchsten Spielklasse, der Bundesliga. Im Titled Tuesday auf chess.com treffen sich jede Woche am Dienstagabend zwischen 400 und 700 Titelträger aus der ganzen Welt zum Blitzturnier. Das sind Dimensionen, die in Präsenz einfach nicht erreichbar sind, weder organisatorisch, noch wirtschaftlich. Online dagegen gelingt das mühelos und regelmäßig.
Inwiefern könnte das - wie während Corona - auch ein Erfolgs-Modell für den DSB sein?
Onlineschach verbindet dort, wo der Reiseaufwand zu groß wird. Das macht Onlineschach sehr familienfreundlich. Nur die Dauer des Turniers selbst ist der reale Zeitaufwand für die Teilnehmenden. Es ist zum Beispiel ohne Schwierigkeiten möglich, am Samstagmorgen gemütlich zu Hause mit der Familie zu frühstücken, den Tag zu genießen, nach dem Kaffeetrinken am Nachmittag an einer Deutschen Meisterschaft teilzunehmen - und dann pünktlich zum Abendessen wieder zurück zu sein. Und das ohne zusätzlichen Kostenaufwand. Das eröffnet insbesondere auf nationaler Ebene und damit unter der Schirmherrschaft des DSB viele Möglichkeiten für familiengerechte Turniere. Die wollen wir fördern.
Zehn Milliarden Partien finden sich auf den Onlineschach-Servern – wie groß ist das Potenzial? Inwiefern könnte auch der DSB davon profitieren?
Die Nutzung von Onlinedatenbanken ist aus dem Trainings- und Vorbereitungsbetrieb auf allen Ebenen nicht mehr wegzudenken. Hier profitieren die Spieler also in erster Linie eher individuell. Das gilt allerdings für alle Spieler - und die sind in Deutschland ja über die Landesverbände organisiert, und im DSB zusammengeschlossen. Um auf Deine Frage zurück zu kommen: Profitiert damit also auch der DSB? Ich würde sagen: Ja!
Bisher war im DSB-Onlinebereich, das kritisieren zumindest viele: zu wenig los. Wenn ja, wie kann man das einordnen? Haben wir die Chancen nicht gesehen - oder fehlte es an der Manpower?
Der Bereich Onlineschach hat erst zur Zeit der Pandemie eine riesige Bedeutung erlangt. Schach war auf einmal eine der wenigen Sportarten, die mehr oder weniger "einfach" in den Onlinebereich verlagert werden konnten. Zwar gab es auch davor schon eine Onlineschachszene - diese war allerdings um einige Größenordnungen kleiner. Der Dank gilt daher allen Beteiligten, die in Windeseile zu Pandemiebeginn die Kapazitäten der Onlineserver vervielfacht und dort Angebote geschaffen haben. Das betrifft insbesondere die Administratoren der Onlineschach-Plattformen - und somit auch meine Vorgänger im Amt. Wenn ich mir also in großen Anführungszeichen erlauben darf etwas aus der Zeit der Pandemie als "Vorteil" bezeichnen zu dürfen, dann die Tatsache, dass die Digitalisierung -gezwungenermaßen - in allen Bereichen stark vorangebracht wurde. Der DSB ist direkt auf diesen Zug aufgesprungen, hat also im Ergebnis die Chance gesehen - und für Manpower gesorgt, als das Thema Onlineschach relevant wurde. Ich freue mich nun sehr darauf, auf die Werke meiner geschätzten Vorgänger aufbauen zu können, mit der Zeit zu gehen und den Onlineschachbereich kontinuierlich weiter zu entwickeln.
Wie weit sind die Vereine in Sachen Onlineschach? Oder sehen sie es immer noch zu sehr als Konkurrenz zu ihren Spielabenden?
Onlineschach und Präsenzschach sollten nicht als Konkurrenzveranstaltungen gesehen werden, sondern als gegenseitige Ergänzungen. Die Herstellung dieses Akkords auf nationaler Ebene ist meine Aufgabe als Onlineschachreferent. Viele Vereine und Verbände haben während der Pandemie einen mehr oder weniger angenommenen Online-Spielbetrieb eingerichtet. Aus Gesprächen mit Vereinen hört man allerdings immer wieder, dass es an ehrenamtlichen Mitarbeitern fehlt. Der Fokus liegt damit im Zweifel auf der Kernaufgabe des Vereins, dem Präsenzspielbetrieb. Hier möchte ich den Vereinen von Seiten des DSB die Hand reichen, indem ich interessante Onlineschachangebote schaffe, zu denen jeder herzlich eingeladen ist.
An Weihnachten startete Dein Vorgänger Christian Kuhn nochmal einen Versuch mit zwei Turnieren, die gut funktionierten. Was muss passieren, damit es kontinuierlicher Onlineschach gibt?
Es gibt da keine pauschal richtige Lösung, man muss mit der Zeit gehen und die Angebote den äußeren Umständen anpassen. Nachdem zum Glück die Pandemie unter Kontrolle gebracht war, kehrten die Präsenzangebote nach und nach zurück. Christian Kuhn hatte die Übergangsphase zu managen, in der vom reinen Onlinebetrieb wieder vieles auf Präsenz umgestellt wurde. Die Vorzeichen seiner Amtszeit waren daher ganz andere als zum aktuellen Zeitpunkt. Zur Herstellung eines kontinuierlichen und attraktiven Onlinespielbetriebs braucht es jetzt eine gute Mischung aus großen "Leuchtturm-Events" und ressortübergreifenden regelmäßigen Aktivitäten. Die große Unterstützung, die mir aus dem Kreis der Referenten, des Präsidiums und der Geschäftsstelle entgegengebracht wird, nehme ich dankbar auf und bin sicher, dass wir gemeinsam den Onlineschachbereich auf ein neues Level anheben werden.
Leuchtturm-Events - was ist geplant?
Ich kann aus dem internen Planungsbereich ankündigen, dass sich alle Interessenten auf ein erstes groß angelegtes Event in Form einer Deutschen Online-Ländermeisterschaft freuen dürfen. Diesbezüglich werdet ihr in Kürze von mir hören. Zudem hat die Werbekampagne für das regelmäßige Teamevent der Lichess-Liga seit meinem Amtsantritt viel positive Resonanz gefunden - das Online-Team des DSB ist schon von rund zehn auf über 50 Spieler angewachsen und steigt Spieltag für Spieltag auf. Den Startschuss gab es bereits am Abschlussabend des DSB-Kongresses, dort habe ich das Team in Liga zehn übernommen und dank der tatkräftigen Unterstützung vieler motivierter Spieler im Daueraufstiegsmodus jetzt bis in die erste Liga führen können. Wenn alles gut läuft, arbeiten wir irgendwann am Titelgewinn. In diesem Sinne: Seid herzlich Willkommen und seid dabei unter https://lichess.org/team/deutscher-schachbund-ev-offen
Du hast bei Deiner Bewerbung um das Amt einige Stichworte genannt. Eines: Mitgliedergewinnung über Onlineschach sei möglich. Wie kann das gehen?
Es gibt eine Vielzahl an Spielern, die beim Onlineschach aktiv sind, von den Angeboten des DSB allerdings noch nicht profitieren. Es geht daher in erster Linie darum, die Angebote des DSB öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Zum Beispiel die DSAM unter der hervorragenden Leitung von Sandra Schmidt und ihrem Team ist hier ein gutes Beispiel, wo es bereits gut gelingt. Zudem sind speziell auf verschiedene Zielgruppen zugeschnittene Angebote in Planung, zum Beispiel eine Onlinemeisterschaft für Hochschulen oder Unternehmen. Das wird neue Zielgruppen erschließen.
Ein weiteres Stichwort aus Deiner Bewerbung: Onlineschach zur Vernetzung. Was ist damit gemeint?
Onlineschach kann weit über die Grenzen des sportlichen Aspekts hinweg genutzt werden. Als vorbildliches Beispiel sei hier die von GM Thorsten Michael Haub geleitete sehr aktive France-Deutschland Group genannt, ein Team zur Förderung der Deutsch-Französischen Freundschaft mit über 600 Mitgliedern bei Lichess. Wir streben an, mit dem Onlineteam des DSB andere Länder zu Freundschaftsspielen einzuladen. Das Motto der FIDE "Gens una sumus" - Wir sind eine Familie - sollte aktiv gelebt werden und wir werden da mit gutem Beispiel voran gehen.
Muss schlichtweg mehr los sein auf SchachdeutschlandTV? Was willst Du auf der Plattform veranstalten?
Die Sache mit dem Kurzfassen der Antworten war bisher eher schwierig... zumindest dieser Frage schaffe ich das jetzt aber. Ja! Die Plattform bietet riesiges Potenzial, die Angebote werden eng mit dem Team der Öffentlichkeitsarbeit abgestimmt, mit Quantität alleine dürfen wir uns nicht zufriedengeben, die Angebote müssen auch qualitativ gut aufeinander abgestimmt werden. In erster Linie braucht es eine hochwertige Live-Kommentierung aller Großveranstaltungen des DSB. Zudem sollten auch die wichtigen Onlineturniere live kommentiert werden, dazu zählen einerseits ausgewählte Auftritte des DSB-Onlineteams, andererseits auch die aktuell in der Planungsphase befindlichen Deutschen Onlinemeisterschaften. Zudem könnte man zur Abrundung des Programms in einem noch zu bestimmenden Intervall (zum Beispiel einmal pro Monat) Interviews mit Funktionären und Topspielern des DSB oder Schachtrainings mit erfahrenen Trainern anbieten. SchachdeutschlandTV ist unser hauseigener Sender, zu dessen Programm der Onlineschachbereich einen guten Beitrag leisten kann und möchte.
Ein Arbeitsthema von Dir ist auch Onlineschach und Streaming. Welchen Mehrwert für den Schachsport siehst du im Streaming?
An der Stelle lade ich Euch zur Beantwortung dieser großen Frage zu einer Gedankenreise ein: Ihr zeltet in einer angenehm warmen Sommernacht auf einem Berg. Es ist dunkel, sehr sehr dunkel. Aber ihr habt eine kleine Kerze dabei, der Kerzenschein genügt gerade so, um einen kleinen Bereich um euch herum zu sehen, den kleinen Teil der Wiese auf der ihr sitzt, die Picknickdecke und euer Zelt...und dann geht langsam die Sonne auf, es wird hell und ihr seht die weite Landschaft um euch herum.
Zurück zum Schach: Der Zuschauer einer Schachpartie sieht im Kerzenschein den kleinen Bereich um sich herum, der Zuschauer eines Streams sieht den Sonnenaufgang und die weite Landschaft.
Die Schachpartie selbst zeigt nämlich nur einen ganz kleinen Teil dessen, was während der Partie wirklich alles passiert. Das reine Anschauen einer Schachpartie kreiert damit ein Mysterium, vielleicht sogar eine Provokation. Beispiel: Wir erinnern uns alle an den Matheunterricht in der Schule, manch einer gerne, manch einer vielleicht eher weniger gerne. Aber in einer Sache können wir uns glaube ich alle einigen: Ein zielsicherer Weg, um die Lehrkraft in Mathe aufs Äußerste zu provozieren, wäre folgender (an alle Schülerinnen und Schüler - bitte nicht ausprobieren, glaubt mir einfach, es funktioniert): In einer Klausur zu jeder Aufgabe ausschließlich das Endergebnis notieren. Alle Rechenwege werden auf einem gesonderten Zettel durchgeführt und nicht mit abgegeben.
Und genau das passiert in einer Schachpartie?
Ja. Jeder Zug ist das Ergebnis einer Idee, einer Berechnung, einer Abwägung. Ich schätze, dass der Anteil dessen, was ein Schachspieler während einer Partie alles überlegt und berechnet, jedoch am Ende nicht auf das Brett kommt, bei über 90 Prozent liegt. Und was präsentiert die Schachpartie und das Partieformular? Nur das Ergebnis in Form der Züge, keinen Lösungsweg, keinen Einblick in die Ideen dahinter, nichts. Die reine Partie zeigt damit vielleicht 10 Prozent dessen, was während der Partie wirklich passiert... Das ist der Kerzenschein in dunkler Nacht. Streaming ist der Sonnenaufgang, es bringt Licht in den Bereich der Schachpartie, der im Dunkeln verborgen ist. Im Stream können Spieler live während einer Partie ihre Denkprozesse offenlegen, ihre Berechnungen zeigen und Ideen präsentieren. Auch die Kommentierung fremder Partien nimmt das Publikum mit auf die spannende Reise durch die Rechenwege, statt sie mit dem Ergebnis, in Form der Züge, alleine zu lassen. Zudem erhöht sich der Entertainmentfaktor durch eine Kommentierung schlagartig. Da ist Schach keine Ausnahme, man stelle sich nur mal vor, das nächste Finale der Fußball-WM mit ausgeschaltetem Ton anzuschauen... Eine Kommentierung ist ein Zuschauermagnet und eine Reise durch die sonst im dunkeln verborgenen 90 Prozent dessen, was während einer Schachpartie passiert.
Klingt alles hochspannend – fast schon philosophisch. Ich frage nochmal einfach: Wie könntest Du Dich hier mit Deiner Expertise beim DSB einbringen?
Meine eigene Streaming-Erfahrung liegt im dreistelligen Stundenbereich. Das Programm war dabei breit gestreut vom Spielen und Live-Kommentieren eigener Partien über Educationals bis hin zur Live-Kommentierung von Turnieren. Auch für den DSB habe ich bereits unter Erreichung einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von über 100 Personen auf SchachdeutschlandTV kommentiert und stehe gerne für weitere Streams zur Verfügung. Wie unter der vorangegangenen Frage bereits geschildert, steckt ein großer Teil der Faszination des Schachsports in dem, was man nicht auf dem Brett sieht. Das Publikum hier hinter die Kulissen zu führen und auf unterhaltsame Art und Weise Licht in die spannende Welt der im Dunkeln liegenden Denkprozesse während einer Schachpartie zu bringen, macht mir jedes Mal aufs Neue große Freude. Kurzum: Ich freue mich sehr auf die anstehenden Projekte.
// Archiv: DSB-Nachrichten - Onlineschach // ID 36710