Joachim Fleischer wird 90: Er war der Herr der Wertungszahlen

26. Juni 2025

Joachim Fleischer 2014 beim DSB-Hauptausschuss in Frankfurt/Main

Joachim Fleischer, ein Urgestein im Umgang mit dem wichtigsten Gut vieler deutscher Schachspieler - den Deutschen Wertungszahlen (DWZ), wird heute 90 Jahre alt. Michael S. Langer, 2013 DSB-Vizepräsident Finanzen, und heute der Präsident des Niedersächsischen Schachverbandes, schlug ihn damals für die Goldene Ehrennadel vor und sprach in seiner Laudatio vom "Herrn der Wertungszahlen" und vom Lebenswerk Fleischers.

Am 15. Mai 1999 kandidierte Joachim Fleischer beim Bundeskongress in Monschau als Referent für Wertungen. Dabei stand er anfangs gar nicht zur Disposition. Nachdem allerdings der ursprüngliche Bewerber in der geheimen Wahl durchgefallen war, stellte sich Fleischer den Delegierten - und wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt. Es begann eine beispiellose zehnjährige Amtszeit, mit einem "verlässlichen Partner in der Wertungskommission", wie Michael S. Langer heute zurückblickt. "Die Zusammenarbeit mit Joachim Fleischer war stets angenehm." sagt Andreas Filmann, Präsident des Hessischen Schachverbandes und Fleischers Nachfolger als DSB-Wertungsreferent: "Er zeichnete sich durch einen unermüdlichen Arbeitseinsatz aus."

Sein Amt als Vorsitzender der Schachfreunde Lohmar (seit etwa 1992) legte Fleischer mit Beginn der Tätigkeit auf Bundesebene nieder. Sein Nachfolger wurde Sven-Holger Akstinat und Fleischer wurde Ehrenvorsitzender. Der 57-jährige Kölner Akstinat ist 26 Jahre später immer noch Vorsitzender und ließ es sich nicht nehmen, Fleischers Verdienste zu würdigen:

Der Mann der Zahlen

Er ist bzw. war weit und breit eine Institution aus dem kleinen Ort Lohmar bei Köln, denn er wertete alle Schachturniere aus, die ihm unter die Finger kamen. Wiederholt regte er sich über die unzureichenden Daten der Turnierveranstalter auf. Er möchte alles richtig machen, damit jeder seine korrekte Wertungszahl erhält. Er berechnete er auch die DWZ für Auslandsturniere, was ihm nicht nur Freunde einbrachte.

Man kennt und schätzt ihn beim Schachbund NRW und beim Deutschen Schachbund als unermüdlichen und fleißigen Schachfreund. Zahlreiche Ehrungen (wie z.B. die Goldene Ehrennadel) belegen dies.

Bis 2015 kümmerte er sich um alle Belange der Schachfreunde Lohmar. Dort war Joachim Mannschaftsführer des Teams in der 2. Bundesliga, Turnierleiter und auch Vorsitzender. Ohne ihn wäre der Mitglieder-Aufschwung in den 1990er Jahren nicht möglich gewesen.
Joachim verhalf dem Schachklub auch zum Domizil in der Villa Friedlinde, welches bis heute besteht. Ein netter, aufrichtiger und ehrlicher Mensch erreicht heute ein großes Jubiläum.

Werner Schreyer († 2014, links) bei der Tagung der Wertungskommission 2009. Neben ihm Karl Heinz Neubauer († 2015), Tim Aubertin und Rainer Blanquett.

"Hüter der DWZ" und "Finder aller Auslandsturniere" nennt ihn Michael S. Langer. Welche ausländischen Turniere für die DWZ gewertet werden sollen, war oft ein Streitpunkt in der Wertungskommission. Doch Fleischer setzte die vom Dresdner Werner Schreyer begonnenen Auswertungen nach dem Ende seines DSB-Referatsamtes 2009 als Referent der Zentralen Datenbank (ZDB) mit Akribie fort und erhöhte die Anzahl der Auswertungen auch noch. Fast 6600 ausländische Turniere wurden von Fleischer von Januar 2011 bis zu seinem Abschied im April 2023 für die DWZ. Das sind über 500 Turniere pro Jahr, während es 1999/2000 unter Werner Schreyer gerade einmal 19 in einem Jahr waren!

Ralf Chadt-Rausch, Präsident des Schachbundes Nordrhein-Westfalen und langjähriger Mitstreiter von Joachim Fleischer in Wertungs- und DV-Sachen:

Anlässlich des 90. Geburtstages von Joachim Fleischer möchten wir ihm im Namen des Schachbundes NRW herzlich gratulieren. Joachim war von 1998 bis 2005 ein unverzichtbarer Wertungsreferent unseres Verbandes und hat durch sein Engagement und seine Expertise maßgeblich zu der heutigen DWZ-Auswertung beigetragen. Wir wünschen ihm einen wundervollen Ehrentag sowie weiterhin Gesundheit und Freude im Kreise seiner Familie und Freunde.

Tagung der Wertungskommission 2014 in Kassel: Joachim Fleischer (links) blickt zu Christian Krause (damals FIDE-Rating-Officer). Der leere Stuhl neben Fleischer gehört dem Fotografen (und Autor) und daneben sitzen Ralf Chadt-Rausch und Werner Dangelmayer († 20.02.2025). Rechts am Tisch von vorn: Michael S. Langer (damals DSB-Vizepräsident Finanzen), Berthold Plischke, Eric Tietz und Rainer Blanquett.

Berthold Plischke ist seit 2012 in DWZ-Sachen aktiv und seit 2014 verantwortlich für die Systemkontrolle in der DSB-Wertungskommission:

Lieber Joachim,

du warst und bleibst eine Säule des DWZ-Systems. Mit großer Zuverlässigkeit, enormem Fleiß und zugleich Zuvorkommenheit besonders gegenüber Deinen nicht immer perfekten Wertungsreferenten hast du das System am Laufen gehalten. Dies im ganz wörtlichen Sinne mit der Verwaltung und Kontrolle der zweiwöchentlichen ELOBASE-Berechnungsläufe über Jahre hinweg. Als das nach der aufwendigen Datenübergabe "Deiner" DWZ-Datenbank an DeWIS ab 2013 nicht mehr nötig war, hast Du Dich intensiv den Auslandsturnieren gewidmet (bis etwa 700 pro Jahr hast du aufgespürt und gewertet). Denn es lag Dir immer am Herzen, dass alle Spieler eine fundierte und aktuelle DWZ haben.

Ich habe von Deinem Wirken sehr profitiert, und Du wirst mir immer ein Vorbild sein. Alles Gute zum 90. und zu Deinem weiteren DWZ-Ruhestand!

Dein Berthold

Heidrun und Uwe Bade 2019 bei der Deutschen Familienmeisterschaft in Berlin

Plischke, der den Jubilar erst kennengelernt hat, als dieser nur noch Teil der Wertungskommission und nicht deren Chef war, verweist auf einen seiner Vorgänger in der Systemkontrolle: "Für frühere Zeiten könntest du noch Uwe Bade fragen." Das taten wir natürlich auch.

Uwe Bade und seine Frau Heidrun spielen gerade in Miedzyzdroje (Polen) den 32. Brandenburger Seniorencup mit. Und er möchte sich natürlich gern "in die Schar der Gratulanten zum 90. Geburtstag" einreihen:

Von 1996 bis 2008 war ich in der überwiegend von Joachim Fleischer geleiteten Kommission für Wertungen als Referent für Systemkontrolle tätig. Ich erinnere mich sehr gerne an die menschlich und fachlich sehr angenehme Zusammenarbeit, die von gegenseitiger Achtung und Respekt geprägt war. Ich habe in den mitunter heißen Diskussionen immer seine Ruhe und Übersicht bewundert.

Uwe Bade, der schon Wertungsarbeit im Deutschen Schachverband der DDR leistete und 1972 praktisch der Erfinder der NWZ war, hat in seiner Amtszeit einige Korrekturen an der DWZ-Berechnung durchgesetzt, um z.B. einer Deflation entgegenzuwirken oder die Bildung von DWZ-Inseln zu verhindern. Der 84-jährige Internationale Schiedsrichter ist nicht nur noch als Spieler aktiv, sondern auch Hauptschiedsrichter des "Lichtenberger Sommers", der im August in Berlin zum 21-sten Mal durchgeführt wird.

Die Referate Wertungen und Datenverarbeitung (seit 31. Mai 2025: Mitgliederverwaltung) sind seit Anfang der 1990er Jahre fest miteinander verbunden. Oft werden beide Referate auf Bundes- und Landesebene in Personalunion gestaltet. Jürgen Dammann, der von 1999 bis 2007 und seit 2023 DSB-Referent für Datenverabeitung war und ist, hat dadurch auch engen Kontakt zu Joachim Fleischer gehabt:

Ich habe Anfang der 2000er sehr gut mit Joachim zusammengearbeitet. Besonders erwähnenswert wären die Jahre 2007 bis 2008. Hier hat Joachim proaktiv bei der Umstellung von MIVIS 2 nach MIVIS 3 geholfen. Später unter der Regie von Rainer Blanquett kam dann auch noch die erfolgreiche Einführung von Portal 64 (Red.: DeWIS und Ergebnisdienst von Holger Schröck) dazu. Joachim war immer ein sehr fairer aber auch konsequenter Partner.

Flucht aus der DDR und eine neue Heimat in Lohmar

Joachim Fleischer bei der WK-Tagung 2009, wo er seinen Abschied verkündete

Joachim Fleischer wurde am 26. Juni 1935 in Vockerode in Sachsen-Anhalt geboren. Aufgewachsen und großgezogen wurde er von seiner Mutter im nahen Dessau. Hier in der Karlstraße erlebten sie das Kriegsende mit, als die amerikanischen Fliegerbomben in unmittelbarer Nähe einschlugen. Kurz vor dem Mauerbau 1961 flüchtete die Familie in den Westen in Richtung Frankfurt am Main. Doch weder dort noch am zweiten Wunschziel München waren die Fleischers willkommen. Sie kamen schließlich in Köln unter, wo die Familie bis Anfang der 1970er Jahre lebte. In Köln fand Fleischer, der Maschinenbau-Ingenieur war, eine Anstellung bei Klöckner-Humboldt-Deutz, der heutigen Deutz AG.

Ab 1975 wurde Lohmar der Lebensmittelpunkt der Familie von Joachim Fleischer. Hier hatten sie sich im Süden der Stadt in einer seen- und waldreichen Umgebung ein Haus gebaut. Dort lebt Fleischer seit einigen Jahren mit seinem Sohn Uwe zusammen, nachdem seine Frau 2017 verstorben war. Neben Uwe, der auch mal als Wertungsreferent tätig war, hat Fleischer noch eine in Siegburg lebende Tochter und einen weiteren Sohn Frank, der bis 1992 bei den Schachfreunden Lohmar Mitglied war.

Bei Klöckner-Humboldt-Deutz blieb Fleischer, bis er 1995 in Rente ging. Danach begann seine Karriere als "Herr der Wertungszahlen". (fb)

Einige persönliche Worte des Autors

Frank Hoppe 2017, seit einigen Wochen Frank Binding

Als ich Joachim Fleischer 1999 als neuen DSB-Referenten für Wertungen kennenlernte, gehörte ich schon fast drei Jahre der DSB-Wertungskommission als Wertungsreferent des Berliner Schachverbandes an. In den folgenden Jahren vertiefte sich unsere Zusammenarbeit, zumal ich ab 2003 als Nachfolger von Anton Hilpoltsteiner die ZDB, die zentrale Wertungsdatenbank übernahm. Die ZDB war das Herzstück der Wertungszentrale, wo alle Datenbanken der Landesverbände zuammengeführt und verwaltet wurden. Diese Zentralisierung wurde in den nächsten Jahren weiter vorangetrieben und alle Turniere wurden direkt in der ZDB erfaßt und geführt.

Im Februar 2009 gab Fleischer seinen Rückzug als Wertungsreferent bekannt. Gleichzeitig stellte ich mein Amt wenige Monate später zur Verfügung und gab eine "Interessenverlagerung zur schachgeschichtlichen Forschung und der Konzentration auf die Verwaltung der Internetseiten des DSB" als Grund an. Seit dem 1. Januar 2007 war ich Webmaster. Fleischer übernahm die ZDB-Aufgabe mangels Alternativen und führte diese bis zur Einführung von DeWIS weiter.

In Vorbereitung dieses Artikels rief ich am Vortag seines Geburtstages bei Joachim Fleischer an. Obwohl ich mich mit meinem alten Namen "Hoppe" meldete, konnte sich Fleischer nicht an mich erinnern. Das überraschte mich nicht wirklich, hatten wir doch sehr lange keinen Kontakt. In den zehn Jahren unserer Zusammenarbeit hatten wir sehr viele E-Mails miteinander geschrieben und oft telefoniert. Seine kurze, zackige Meldung am Telefon ("Fleischer!") ist mir heute, mehr als 16 Jahre später, immer noch prägnant in den Ohren. Doch trotz der stimmlichen Vertrautheit brauchte ich ein paar Minuten unseres Gesprächs, um den Joachim Fleischer von damals wiederzuerkennen. Und wir siezten uns wieder, obwohl wir uns schon so lange kennen und in all den Jahren vielleicht auch das ein oder andere "Du" über unsere Lippen huschte.

Herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag, lieber Joachim!

// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11618

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