7. März 2025
In der letzten Runde ging es um nicht mehr oder weniger als eine Medaille. IM Leonardo Costa, 17 Jahre alt, gegen GM Elham Amar aus Norwegen, 20 Jahre alt. Nur einer von beiden würde Edelmetall gewinnen. „Eine Frage der Nerven“, sagte GM Jewgeni Anatoljewitsch Romanow über das Duell. Romanow war bei der U20-Weltmeisterschaft in Montenegro, die heute zu Ende ging, Costas persönlicher Trainer. Und wenn nicht der Eindruck gewaltig täuscht, ist in dem Ort Petrovac eine Symbiose entstanden. „Trainer und Schüler waren die ganze Zeit über sehr gut miteinander verbunden“, sagte Romanow. Am Ende stand ein bemerkenswerter Erfolg für den besten deutschen U20-Spieler – auch wenn er gegen Amar unterlag, der die ersehnte Bronzemedaille einsackte, mit 8,5 Punkten. Neuer Weltmeister wurde der Inder GM Pranav V. Costa holte nur 1,5 Punkt weniger, stolze 7,5 Zähler aus elf Partien. Er verlor nur dieses eine, letzte Spiel. Es war sogar seine erste Niederlage nach 23 Partien (30. November gegen GM Jordan van Foreest in der Bundesliga). Das bedeutete Platz acht am Ende. „Insgesamt bin ich trotz der enttäuschenden Niederlage in der letzten, entscheidenden Partie mit meiner Leistung zufrieden“, sagte Costa, „Die Niederlage war wohl dem eigenen Druckmachen und dem ständigen Überdenken geschuldet.“ Eine Frage der Nerven.
„Klar ist Leonardo erst einmal enttäuscht. Aber er darf trotzdem stolz sein“, sagte Bundesnachwuchstrainer IM Bernd Vökler. Er hatte Großmeister Romanow als Trainer verpflichtet. Der arbeitete seit 2008 schon häufiger für den DSB – aber mit Costa nun zum ersten Mal. „Ich frage ihn immer wieder an, weil er weltweit einer der besten Trainer für solche Turniere ist. Seine Stärke ist die Phase zwischen den Spielen, weil er die Gegner lesen kann wie kein Zweiter.“ Das mag auch mit der mannigfaltigen Erfahrung des 36-Jährigen, gebürtig aus Kaliningrad, zusammenhängen. Auch und vor allem im Jugendbereich. Er hat in der Vergangenheit schon GM Vincent Keymer und GM Frederik Svane besser gemacht, mancher sagt sogar: Vor allem Svane hat er vor einigen Jahren in neue Sphären gehoben.
Romanow selbst formuliert es so: „Ich habe Leonardo immer wieder gesagt: Du musst zu den Figuren in jeder Partie in unterschiedlichen Sprachen sprechen.“ Und was so philosophisch klingt, kann er auch präzisieren: Es sei ein Unterschied, ob man gegen einen Mazedonier oder einen Norweger spiele. „Norweger sind aggressiver. Die muss man unter Kontrolle halten.“ Das gelang am Ende leider nicht mehr. „Mein Ziel war es in die Top Ten zu kommen“, sagte Costa, so gesehen habe er das mehr als erreicht, aber natürlich schmerze es am Ende, „weil ich zwischenzeitlich sogar Medaillenchancen hatte.“ Er habe „oft zäh sein und kämpfen müssen“ in diesem stark besetzten Turnier, manche Chancen habe er leider nicht konsequent genutzt und auch mit seinem Zeitmanagement sei er nicht zufrieden gewesen: „Das hat mich in kritischen Momenten unter Druck gesetzt. Das ist definitiv ein Punkt, an dem ich noch arbeiten muss.“ Das ganze Turnier sei „eine echte Herausforderung“ gewesen. Sein Dank ging am Ende aber vor allem an seinen Trainer. „Die schachliche und mentale Vorbereitung mit ihm hat mir sehr viel gebracht und wird mir auch in Zukunft weiterhelfen.“
Romanow, der versucht, „vieles aus der sowjetischen Schachschule mit einzubringen“, schwärmte am Ende ebenso von Costa wie der gebürtige Münchner von seinem Trainer. Auch wenn es letztlich nicht zum ganz großen Wurf reichte. Costa sei ein „amazing guy“, ein erstaunliches, spannendes Talent. „Er liebt Schach und macht einen extrem guten Job am Brett – das ist eine enorme Qualität, die gut zu meinen Ideen passt.“ Ab Runde drei hätten sie beide „auf einem sehr guten Level gearbeitet“ – nachdem die erste Nervosität in einem Top-Teilnehmerfeld mit dreizehn Großmeistern (allein acht vor ihm in der Setzliste) bei Costa verflogen sei. „Er hatte schon großen Respekt vor diesem Event. Aber wir haben Vertrauen zueinander gefunden.“
Trainiert wurde dabei übrigens nicht nur am Computer, sondern auch am Holzbrett, das Romanow eigens mitgebracht hatte. Auch im Training zu Holzfiguren zu greifen - das sei wichtig, schlicht des Gefühls wegen. Und manchmal haben sie einfach zwischendurch mal eine Partie Blitzschach gespielt. Quasi zur Ablenkung. Kurzum: Es hat gepasst zwischen den beiden. Und so kam immer mehr Lockerheit rein – und Mut. Bernd Vökler: „Ob ich Leonardo so eine tolle Leistung zugetraut habe? Ja und nein. Ich wusste, dass er es kann – aber ich wusste nicht, ob er es gegen diese starken Gegner auch unter diesem Druck umsetzen kann.“
Seine beste Partie machte Costa dabei nach Ansicht vieler Experten in Runde zehn, gegen den hoch eingeschätzten Inder IM Aswath S. Schon nach 15 Zügen hätte viele ein Remis gemacht, „sogar 99 Prozent aller Spieler“ glaubt Romanow, „aber er hat das Risiko genommen. Und dann hat Aswath am Ende die Nerven verloren“. Wohlgemerkt, obwohl der Inder dann zwischendurch die bessere Stellung hatte, sogar Zugwiederholung drohte – aber Costa immer weiter alles riskierte. Und triumphierte. Ein Schlüsselmoment. „Schach ist nicht immer nur ein Spiel der besseren Züge“, sagt Romanow mit einem Lächeln, „es gibt auch Dinge abseits des Brettes, die Spieler stark machen. Und da wurde Leonardo im Turnierverlauf von Runde zu Runde stärker.“
Im deutschen Team war er damit eher die Ausnahme. Bernd Vökler wollte aber das Abschneiden der anderen DSB-Talente nicht überbewerten. „Mancher ist schon enttäuscht“, sagte er, aber: Das Teilnehmerfeld sei eben bärenstark gewesen. Was Costa angeht, der über kurz oder lang Großmeister werden will, gilt hingegen das, was Romanow sagte: Er sei auf einem guten Weg, den gelte es nun weiter zu beschreiten. „Es war ein sehr gutes Turnier für ihn, in vielerlei Hinsicht. Ich hoffe, dass die Arbeit mit ihm auch langfristig Früchte trägt.“ (mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36321