23. April 2025
„Da ist das Ding!“ – hat Oliver Kahn 2001 gerufen und die Meisterschale gestemmt. IM Leonardo Costa freut sich etwas dezenter – aber er ist trotzdem aktuell sehr glücklich. Es ist nur noch eine Formalität, bis er sich Großmeister nennen darf. Die dritte Norm, und damit den Titel, schaffte er ausgerechnet beim größten Turnier der Welt, dem grenke Open in Karlsruhe mit rund 3000 Teilnehmern. 6,5 Punkte aus neun Partien reichten. Das Tempo, das der Münchner zuletzt bei der Normenjagd angeschlagen hat, ist erstaunlich. Eine starke Jugend-WM im März, als 17-Jähriger kratzte er im U20-Feld an der Medaille, dann die zweite Norm in der österreichischen Bundesliga Anfang April. Verbunden mit der Ankündigung: „Den Titel schaffe ich vor dem Abi.“ Ziel erreicht! Nun müssen nur noch beide Turniere (Österreich und grenke) von der FIDE ausgewertet werden – was Anfang Mai geschehen wird. Dann kommt auch die offizielle Titel-Urkunde. Doch schon jetzt wurde es Zeit für einige Fragen von Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit an den jungen Großmeister, der zwar durchaus selbstbewusst wirkt – aber auch selbstkritisch. Das beweist er nicht nur bei der Frage, als es um Vergleiche mit GM Vincent Keymer geht.
Glückwunsch, Leonardo. Wie anstrengend war das grenke Open? Und wie ist nun Deine Gefühlslage?
Erstmal: Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich meine dritte GM-Norm erzielen konnte - und das nur zwei Wochen nach der zweiten GM-Norm in der österreichischen Liga. Das Turnier war für mich sehr anstrengend, da es insgesamt vier Doppelrunden gab. Deshalb habe ich großen Wert daraufgelegt, erholt und fit zu den Partien zu erscheinen - und komplett auf Vorbereitung verzichtet. Das hatte auch den Hintergrund, dass ich mit einer Erkältung zu kämpfen hatte, die mich sogar dazu gezwungen hat, den von Bernd Vökler und Sven Noppes organisierten DSB-Lehrgang mit Großmeister Étienne Bacrot, unmittelbar vor dem Turnier, vorzeitig zu unterbrechen.
Beschreibe mal die Turnieratmosphäre in Karlsruhe.
Ich fand es besonders schön, dass ich dreimal auf der Bühne spielen durfte - direkt in der Nähe von Magnus Carlsen, der eine historische Leistung vollbracht hat. Leider hatte ich trotzdem kaum Gelegenheit, bei seinem Brett vorbeizuschauen. Kaum zu glauben, er hat aber trotzdem Zeit gefunden einige Male kurz zu meinem Brett herüberzublicken (lacht)
Gab es auf dem Weg zur dritten Norm Schlüsselmomente?
Schlüsselmomente waren vor allem die vierte Runde, in der ich ein scheinbar völlig ausgeglichenes Endspiel gewinnen konnte. Sowie die sechste Runde, in der ich eine taktisch wilde Partie, in der ich zwischenzeitlich objektiv auf Verlust stand, dank einer starken Verteidigungsidee schließlich doch noch für mich entscheiden konnte. Auf der anderen Seite habe ich auch einige Chancen liegen lassen, zum Beispiel in der achten und neunten Runde.
Du hast es jetzt, ein Jahr nach der Norm in Budapest und kurz nach der zweiten Norm in der österreichischen Bundesliga, schneller geschafft als alle erwartet haben. Was bedeutet Dir dieses Rekordtempo?
Ich weiß nicht, ob es für mich wirklich ein gefühltes Rekordtempo war. Rückblickend habe ich jedenfalls den Eindruck, dass ich im vergangenen Jahr mehrere klare GM-Norm-Chancen in der letzten Runde oder nur ganz knapp verpasst habe.
Das Jahr 2025 verläuft insgesamt bei Dir sehr erfolgreich. Siehe die Stichworte Junioren-WM, aber auch Deine Auftritte in den Ligen. Wie siehst Du selbst Deine Leistungen? Was war gut, was kann noch besser werden? Was sind die nächsten Ziele?
Ich werde die Partien gründlich analysieren und daraus wertvolle Schlussfolgerungen für mein weiteres Training ziehen. Ich muss sagen: Ich fand auch den DSB-Kaderlehrgang mit dem indischen Großmeister Ramesh Ramachandran sehr inspirierend für mich. Und ich freue mich auf den nächsten B-Kaderlehrgang mit Großmeister Peter Leko. Es gibt immer was zu verbessern.
Was denn genau?
In letzter Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass ich in bestimmten kritischen Momenten, insbesondere gegen starke Gegner, die Selbstkontrolle und den Überblick über die Stellung verliere - und mich stattdessen auf teils unnötige Varianten einlasse. Insgesamt bin ich jedoch sehr zufrieden damit, wie ich meinen Denkprozess in den vergangenen Monaten weiterentwickeln konnte: Weg vom reinen Rechnen, hin zu einem tieferen strategischen Verständnis und mehr prophylaktischem Denken. Das gibt mir Zuversicht für die Zukunft. Als nächstes großes Turnier stehen die Deutsche Meisterschaften in München auf dem Plan. Kurzum: Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leistung in den letzten zwei Jahren - aber auch davor lief es eigentlich nicht so schlecht. Mein nächstes Ziel ist die 2600-Elo-Marke zu erreichen.
Viele vergleichen Dich schon mit Vincent Keymer, der noch früher Großmeister wurde. Wie siehst Du das?
Ich bin natürlich froh und dankbar, dass einige begeisterte Fans so positiv über mich denken. Allerdings muss ich sagen, dass ein Vergleich mit Spielern wie Gukesh, Praggnanandhaa, Erigaisi oder Abdusattorov eher zu Vincent Keymer passen würde. Sein Sieg beim grenke Open im Alter von nur 13 Jahren war ein historischer Erfolg, der sein außergewöhnliches Talent eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Ich finde, dass Vincent inzwischen der schwierigste Gegner für Magnus Carlsen in verschiedenen Schachdisziplinen geworden ist – das sagt alles. Und Magnus wiederum hat gerade beim grenke Freestyle-Turnier, als er alle Partien gewonnen hat, eindrucksvoll gezeigt, dass er ein absolutes Schachmonster bleibt. Um nochmal auf den Vergleich mit Vincent Keymer zurück zu kommen: Vincent hat ein klares nächstes Ziel: Er will Weltmeister werden. Mein nächstes Ziel ist es die 2600-Elo-Marke zu erreichen. Damit sollte der Vergleich abgeschlossen sein. (lacht)
Du spielst nächste Saison wieder Bundesliga in München - wie wichtig ist das mit Blick auch auf die Schule?
Auch wenn es noch nicht offiziell ist, da die Bundesliga Saison noch nicht beendet ist - wir haben das Thema mit meinem aktuellen Verein Hamburger SK und MSA Zugzwang besprochen. Wir alle halten den Wechsel für sehr sinnvoll - sowohl aufgrund der kürzeren Fahrtzeiten als auch, weil ich mich in den kommenden Monaten intensiv auf mein Abitur vorbereiten möchte. Zudem ist es mir wichtig, auf diese Weise auch meinem aktuellen Hauptsponsor, Roman Krulich, meine Wertschätzung für seine Unterstützung zu zeigen. (Anm.d.Red.: Krulichs Verein ist MSA Zugzwang). Er hat, ebenso wie die Freestyle Chess Academy, objektiv gesehen eine entscheidende Rolle beim Erreichen meines GM-Titels gespielt.
Der Hamburger SK verabschiedet Dich auch mit vielen warmen Worten…
Ja, ich muss sagen, dass mir die Entscheidung nicht leichtgefallen ist. Der HSK ist ein beeindruckend gut organisierter Verein, dessen Spieler rund um Kapitän Reinhard Ahrens ich sehr schätze. Ich habe mich in Hamburg jederzeit willkommen und wohl gefühlt.
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