24. Mai 2025
Eines vorneweg: Diese Geschichte hat ein Happyend – und das ist auch gut so. Denn sonst müsste man die Geschichte erzählen, wie ein 17jähriger Sportler ohne eigenes Verschulden um die Früchte seiner Arbeit gebracht wurde. Es geht um IM Leonardo Costa. Der bei den Deutschen Meisterschaften in München 4,5 Punkte aus neun Partien erzielte – und seine dritte Norm für den Großmeistertitel holte. Seine dritte GM-Norm? Moment, hatte er die nicht schon? Ja, alle dachten, er hätte sie. Dann kam der Weltverband FIDE – und Costa drohte zwischen die Mühlen der Bürokratie und der großen Politik zu geraten, dem Konflikt zwischen Israel und dem Iran. Aber das Talent nahm den Kampf an. „Gut“, sagte er in München, „dann muss ich halt hier noch eine Norm machen.“ Gesagt, getan. Er kam, sah und siegte. „Costa“, lobte Bundestrainer GM Jan Gustafsson, „ist für mich die positive Überraschung.“ Ein Schach-Thriller - aber erzählen wir ihn der Reihe nach.
Eigentlich schien der Kampf bereits ausgefochten. Am Schachbrett – dort, wo er hingehört. IM Leonardo Costa hat seine dritte GM-Norm zuletzt beim Grenke-Open in Karlsruhe erzielt – und hätte alsbald als Großmeister an den Start gehen können, nein: müssen. Der verdiente Lohn für den Münchner. Die beiden anderen Normen hatte er sich von einem Jahr beim Frühlings-Schachfestival in Budapest und im April 2025 in der österreichischen Bundesliga geholt. Doch dann grätschte der Weltverband dazwischen. Die FIDE wollte Costa den GM-Titel nicht verleihen. Ein schwerer Schlag vor seinem Start in der Meisterklasse bei den Deutschen Meisterschaften in München – in seiner Heimatstadt. Der Deutsche Schachbund mit Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit schwieg bewusst, neugierige Begleiter der Schachszene („Wann kommt denn die Norm für Costa?“) wurden teilweise involviert - und hielten auch still. Das alles zum Wohle des jungen Spielers, der sich voll auf München 2025 konzentrieren sollte – und gleichzeitig kämpfte der DSB im Hintergrund für Costa.
Der DSB-Antrag auf Verleihung des Titels wurde von der zuständigen FIDE-Kommission nicht angenommen. Dafür kann Costa gar nichts. Denn die im Mai 2024 errungene Norm beim Schachfestival in Budapest wurde plötzlich nicht mehr anerkannt. Costa war regelrecht durchs Turnier gestürmt: als geteilter Erster mit sieben Punkten aus neun Partien, ohne Niederlage und mit einer Elo-Performance von 2648 – und das sollte nun nicht belohnt werden?
Der Deutsche Schachbund in Person von Vizepräsident Jürgen Klüners, selbst auch internationaler Schiedsrichter, betonte: „Wir haben kein Verständnis dafür, was hier passiert ist. Die Norm an sich ist von Leonardo einwandfrei erzielt worden. Wir werden alles tun, damit er seinen Titel auch bekommt.“ Die Familie von Leonardo weiß diesen Einsatz zu schätzen. Man danke dem DSB, dass der Verband nichts unversucht lasse: „Vielen Dank für die Unterstützung bei der Klärung dieser unangenehmen Situation“, sagte Leonardos Vater Vincenzo Costa. Und gleichzeitig startete Plan B.
Die unangenehme Situation, in Wahrheit ein Politikum, so Klüners: „Bereits im August vergangenen Jahres hat die Qualification Commission der FIDE entschieden, das Schachfestival in Budapest nicht mehr für Normen zuzulassen.“ Alle Anträge ab dem 2. FIDE-Council im Oktober 2024, die eine Norm von diesem Turnier benutzt haben, wurden abgelehnt. Mindestens ein Spieler hatte das Glück, dass sein Antrag vor diesem Datum entschieden worden ist. Gegen die Entscheidung, dass Turnier nicht als normfähig einzustufen, laufen mittlerweile Einsprüche von mehreren Verbänden bei der FIDE, denn betroffen sind – neben Costa – weitere Athleten, deren Titelanträge abgelehnt wurden.
Hintergrund: Beim Schachfestival in Budapest wurde zweimal eine ausgeloste Paarung getauscht, um das Aufeinandertreffen eines iranischen Sportlers auf einen israelischen Spieler zu vermeiden. Das geschah nicht manuell, sondern per Computer. Es wurde die Option "Verbotene Paarungen" des Swiss-Managers genutzt: Ein 13-Jährige Iraner (der ironischerweise eine Norm bekommen hat) hat alle israelischen Spieler in der Liste markiert bekommen. Die Paarungsveränderungen hat dann das Programm vorgenommen – unbemerkt von den Spielern. Paarungskorrekturen gab es dann je eine in der dritten Runde mit zwei betroffenen Brettern und in der siebten Runde mit drei betroffenen Brettern, gemäß Analysetool von Swiss-Chess.
Die FIDE hat den Fall jedoch sehr streng ausgelegt. Man könnte auch sagen: sehr bürokratisch. So genannte „forbidden Pairings“, also verbotene Paarungen, auch aus politischen Gründen, sind nicht gestattet. Solche Paarungen sorgen laut FIDE-Reglement dafür, dass ein Turnier nicht mehr normfähig ist. Interessanterweise war es bis vor wenigen Jahren üblich, in solchen politischen Fällen Paarungsänderungen zuzulassen. Dies wurde dann aber geändert, es stellt sich aber die Frage, wie gut und eindeutig dies in der Schachwelt kommuniziert worden ist. Nach diesem Turnier gab es zum Beispiel ein kampfloses 4:0 in der letzten Runde der Schach-Olympiade.
Der DSB, so Klüners und der Rating-Officer des DSB, Andreas Klein, haben schon vor zwei Wochen entschieden, den Antrag für Costas GM-Norm in jedem Fall einzureichen - und das FIDE-Council zu bitten, ihn positiv bescheiden. Kernargument: Ein junger Athlet, um dessen Spiele es gar nicht ging, dürfe nicht für ein Fehlverhalten (wenn es denn überhaupt als solches zu werten ist) der Pairing-Officer vor Ort bestraft werden. „Ich denke, dass wir gewichtige Argumente haben“, sagte Klüners vor zwei Wochen, „aber noch warten wir auf eine Antwort der FIDE. Meine Hoffnung ist, dass bisher das FIDE-Council noch keine Entscheidung über diesen Fall getroffen hat und es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle, wo Entscheidungen für den Schachsport und gegen eine kleinliche Regelauslegung getroffen wurden.“
Der zuständige Referee bei dem Turnier in Budapest ist jedenfalls bereits auf der Seite des DSB und anderer Verbände. Er habe aus „humanitären Gründen“ so entscheiden, teilte der Hauptschiedsrichter des Budapester Frühlingsfestivals 2024 mit, er sehe „keine Manipulation“ der Paarung und habe deshalb bei der FIDE ebenfalls Berufung eingelegt: „Ich wollte niemandem schaden. Der einzige Spieler aus dem Iran bat darum, nicht gegen einen Israeli anzutreten, da er sonst in seiner Heimat ernsthaft bestraft worden wäre. Als Hauptschiedsrichter stimmte ich in einem solchen Fall einer verbotenen Paarungsoption zu. Die FIDE-Qualification Commission wertete dies als Verstoß gegen die Paarungsregeln und annullierte die erreichten Titelnormen. Ich selbst und der ungarische Schachverband haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, und der Fall ist noch nicht abgeschlossen.“
Leonardo Costa und dem DSB spielten nun seine starke Leistungen in München in die Karten. Das Remis in der letzten Runde gegen GM Frederik Svane – ihm sei dabei „ein Stein vom Herzen gefallen“, sagte Klüners.
Denn damit war klar: Alles wird gut! Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Andreas Klein wird nun den Titel erneut beantragen – mit der Ergänzung der Norm von München. „Das Schöne ist“, so Klüners, „da das alles in einem Quartal passiert, und die FIDE vergibt die Titel immer in Quartalen, verliert Leonardo Costa keine Zeit. Ein Thriller mit schönem Ausgang. Leonardo Costa: „Ich freue mich riesig!“ (mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36685