31. Oktober 2025
Letzte Ausfahrt Goa in Indien. Die weiteren Teilnehmer für das Kandidatenturnier werden gesucht – und für viele Superstars ist es quasi die letzte Chance auf das Ticket. Acht Plätze gibt es für das WM-Herausforderer-Turnier, von denen bisher drei sicher dabei sind. GM Fabiano Caruana als Sieger des FIDE Circuit 2024 fix. GM Rameshbabu Praggnanandhaa hat beste Chancen über diesen Weg, denn er führt derzeit den FIDE Circuit 2025. GM Anish Giri und GM Matthias Blübaum haben sich über das Grand Swiss Turnier in Samarkand qualifiziert. „Ein Deutscher ist also schon dabei, was großartig für den DSB ist“, sagt Sportdirektor Kevin Högy, „wie schön wäre es erst für den deutschen Schachsport, wenn auch noch Vincent Keymer der Coup gelänge. Das wird aber ein hartes Stück Arbeit.“ Zumal: Für Keymer ist es quasi die finale Chance, denn im FIDE Circuit (hier werden die besten Turnierergebnisse von ausgewählten Turnieren eingerechnet) liegt er – vor ihm Giri, Blübaum und eben Praggnanandhaa - nur auf Rang vier. Fakt ist: Die restlichen drei Plätze werden im World Cup vergeben, für die beiden Finalisten und den Dritten. Und dieser Weltpokal beginnt nun am Samstag, 1. November – und dauert bis zum 26. November. Aber nur für jene, die es Runde für Runde schaffen, den Knock-out-Modus zu überstehen. Jeder spielt ein Duell mit Weiß und Schwarz, bei Gleichstand folgt am dritten Tag ein Stichkampf mit Schnellschach- und eventuell Blitzpartien. „Dieses K.o.-System ist natürlich richtig reizvoll für die Fans“, sagt Högy, „aber auch richtig schwer für die Spieler. Du kannst Dir im Grunde keine schwache Partie erlauben.“
Der World Cup mit einem Preisgeld von zwei Millionen Dollar ist der Nachfolger der FIDE-K.o.-Weltmeisterschaft, die von 1997 bis 2004 gespielt wurde, um den Weltmeister zu ermitteln. Der Modus sorgte für sehr viel Kritik, zu groß der Faktor Losglück, weshalb das Turnier wieder abgeschafft wurde – aber es lebt weiter als World Cup. Mit 206 Spielern, darunter 50 Topspielern, die für die zweite Runde gesetzt sind - darunter Keymer und Blübaum. Der DSB ist außerdem mit GM Dmitrij Kollars, GM Frederik Svane, GM Rasmus Svane sowie GM Niclas Huschenbeth vertreten. Frederik Svane startet in Runde eins gegen IM Orlando Husbands aus Barbados, Rasmus Svane gegen IM Facundo Vazquez. GM Alexander Donchenko spielt gegen FM Bomo Lovet Kigigha. Niclas Huschenbeth bekommt es mit GM Bilel Bellahcene zu tun.
Gegen den Algerier ist Huschenbeth noch Favorit. Ansonsten gilt: „Ich bin der Underdog“, sagt Huschenbeth, 33 jahre alt, eigentlich sei er ja sogar schon halb in der „Schach-Rente“, wie er sagt – aber der World Cup ist ein Turnier, das auch ihn noch reizt, wie er aus dem Taxi auf die Fragen von Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit verlauten lässt – übrigens immer wieder prägnant gestört durch das für indische Verkehrslagen typische Hupen…
Niclas, was bedeutet Dir die World-Cup-Teilnahme? Ich vermute mal, die Freude, sich überhaupt für das erlesene Teilnehmerfeld qualifiziert zu haben, ist immer noch groß, oder?
Ja. Für mich ist das immer ein ganz besonderes Turnier. Ich habe schon zwei World Cups gespielt. Diese Atmosphäre ist speziell - es ist ein so intensives Turnier. Es ist ja einzigartig im Schach, dieses K.o.-Format zu haben. Das macht alles sehr intensiv. Ich habe es in der Vergangenheit immer geschafft, beim World Cup sehr gutes Schach zu zeigen. 2019 habe ich Arkadij Naiditsch besiegt, mit 2:0. Dann stand es gegen Nikita Witjugow 1:1, ich bin erst im Schnellschach ausgeschieden. Und bei meiner letzten Teilnahme 2023 habe ich mich als Favorit durchgesetzt in der ersten Runde, dann gegen David Navara 1:1 gespielt, im Schnellschach geführt - aber dann leider doch noch verloren. Ich glaube, ich konnte bisher immer mit dem Druck bei diesem Turnier ganz gut umgehen und mein bestes Schach zeigen. Ich hoffe, dass ich das bei dem Turnier in Goa wieder schaffe.
Als ein deutscher Top-Spieler, der nicht mehr - wie die "Jungspunde" - ständig in Sachen Schach um die Welt reist, hast Du bestimmt einen anderen Blickwinkel auf so ein Turnier.
(lacht) Ich bin ja als Schachspieler schon halb in Rente. Deshalb: Solche Turniere sind für mich einfach ein Highlight. Die Freude ist groß, dabei zu sein, nochmal die Chance zu haben bei so einem Turnier mitzuspielen. Egal wie das jetzt ausgeht. Ich möchte natürlich soweit kommen wie nur irgendwie möglich. Ich freue mich auch, mit den ganzen anderen deutschen Spielern dabei zu sein. Ich will einfach mal sehen was geht.
Also einfach nur genießen?
Ja. Ich spiele ja nicht mehr so viele Turniere, das ist jetzt erst mein viertes in diesem Jahr – EM, Deutsche Meisterschaften, Grenke Freestyle - und jetzt der World Cup. Ich reise nicht mehr ständig um die Welt – zumindest nicht für Schach. Ich freue mich aber auch immer, wenn ich ein paar Monate nicht gespielt habe und dann wieder am Brett sitzen darf. Das letzte Mal war das Ende Mai der Fall, in München bei den Deutschen Meisterschaft, dann noch zwei Partien Bundesliga – ja, ich freue mich einfach darauf, jetzt wieder Schach zu spielen. Ich denke, ich habe mich gut vorbereitet.
Wie blickst Du auf das Turnier, mit all den großen Namen?
Die Atmosphäre ist einfach eine ganz andere als bei den normalen Turnieren. Bei normalen Turnieren ist jeder bis zum Schluss dabei. Es ist okay, wenn man mal eine Partie verliert, dann gewinnt man halt eine andere – hier aber darfst Du Dir keine Niederlagen erlauben. Wenn Du verlierst bist Du entweder direkt raus - oder mit einem Bein aus dem Turnier raus. Das erzeugt eine ganz andere Intensität, Anspannung. Und da zählt es auch, gute Nerven zu haben. Und ja, mit diesen ganzen Topspielern in einem Raum zu spielen, das hat was. Beim letzten Mal war es noch besser, da war Magnus Carlsen dabei, da war Hikaru Nakamura dabei, Fabiano Caruana – das war nochmal was anderes. Jetzt fehlen diese drei. Ich freue mich aber natürlich, dass Gukesh mitspielt und andere Topspieler. Das wird eine großartige Atmosphäre sein, mit den besten in einem Raum zu spielen, gegen sie zu spielen – das ist großartig.
Nachgehakt: Wie gehst Du mit dem K.o.-Modus um, der im Zweifelsfall verdammt gnadenlos sein kann?
Man muss natürlich ein bisschen mehr auf Sicherheit spielen. Das ist ein bisschen wie im WM-Kampf, da ist auch das oberste Gebot, keine Partie zu verlieren. Deshalb muss man genau schauen, wie viel Risiko man eingeht, vor allem mit Weiß. Aber natürlich will man gleichzeitig auch Chancen kreieren – das ist immer ein bisschen der Spagat, den man schaffen muss. Es hängt natürlich auch davon ab, mit welcher Farbe man beginnt. Wenn man schwarz hat und gewinnt, kann man das zweite Spiel solide angehen. Wenn man zuerst mit Weiß spielt und es überspannt, weil man zu aggressiv spielt und verliert, dann wird es sehr schwer mit Schwarz zu gewinnen. Insofern spielt die Strategie eine Rolle bei der Eröffnungswahl - und vieles ist abhängig vom Spielstand. Ich habe bisher beim World Cup noch keine klassische Partie verloren – keine von acht. Das ist eine gute Sache. Da möchte ich weiter ansetzen. Bisher war meine Schwachstelle die Schnellschach-Tiebreaks. Schauen wir einfach mal. Das ist das Schöne für mich, der ein Underdog ist in diesem Turnier: Dadurch, dass das Match nur zwei Partien sind, sage ich: In zwei Partien kann alles passieren, da kann ich auch mal einen Spieler mit 2690 Elo schlagen und weiterkommen. Es ist viel möglich, es muss viel zusammenkommen – ich gehe es Schritt für Schritt an.
Was ist, bei aller Lockerheit, Dein Ziel?
Ziel ist ganz klar, die zweite Runde zu überstehen. In der ersten Runde bin ich Favorit – aber das wird nicht leicht, denn mein Gegner ist immerhin auch Großmeister mit nur etwa 100 Elopunkten weniger als ich. Das ist nicht so viel. In der zweiten Runde würde ich gegen Nodirbek Yakubboev kommen, der hat immerhin 2690 Elo – aber, um ehrlich zu sein, ich habe nicht wirklich Angst vor dem. Da gäbe es andere Spieler vor denen ich - sage ich mal – mehr Angst hätte. Insofern ist das Ziel gegen Yakubboev zu bestehen. Und wenn ich es richtig gesehen habe, wird es danach sogar leichter für mich in der dritten Runde. Aber darüber kann man sprechen, wenn es soweit ist.
Die Reiseplanung stelle ich mir unter solchen Umständen sehr schwierig vor…
… so kompliziert ist das nicht. Ich buche einen Hinflug und dann, wenn ich länger dabeibleibe, verlängere ich das Hotel. Ich hoffe, dass das problemlos möglich ist, da gehe ich sogar stark davon aus, dass die FIDE das entsprechend geplant hat. Das war die letzten beide Male auch kein Problem. Den Flug buche ich einfach, wenn ich raus bin - für den nächsten oder übernächsten Tag.
Wie reizvoll ist z.B. auch für einen Spieler wie Dich, der sein Geld mittlerweile als Schach-Unternehmer verdient, noch der Aspekt Preisgeld?
Das ist ein Bonus. Ich sage nicht nein, wenn ich ein paar Tausender mitnehme - aber ums Preisgeld geht es mir jetzt nicht. Schön wäre, wenn man wenigstens die Kosten gedeckt hat. Das sollte auch der Fall sein, wenn ich in der ersten Runde ausscheide, denn da gibt ja immerhin schon 3500 Dollar – die werden Flug- und Hotelkosten abdecken. Es wäre schon schön, in die zweite Runde zu kommen, da gibt es 6000 Dollar. Aber nochmal: Ich schaue nicht darauf, ob sich das rechnet. Ich spiele Schach gerne, das ist meine Leidenschaft, mein Hobby. Ich bin kein Profi, verdiene mein Geld auf andere Art und Weise - auch mit Schach, aber nicht als Spieler.
Fast alles, was im Schachsport Rang und Namen hat, gibt sich die Klinke in Goa in die Hand. Allen voran: Weltmeister Gukesh. Er spielt mit, um seine Form zu wahren, die zuletzt von vielen Auf und Abs geprägt war – gerade für Weltmeister, mit all ihren Verpflichtungen, ist das im Jahr nach dem Titeltriumph sehr schwer, die volle Konzentration auf Schach zu bewhren. Er trifft auf viele Kandidatenturnier-Anwärter wie GM Wesley So, GM Levon Aronian oder GM Wei Yi. Nicht weniger als 20 Teilnehmer des World Cups weisen Elozahlen über 2700 auf. (mw)
Großmeister, Elo 2755, Nr. 9 der Weltrangliste
* Nicht offiziell in der Weltrangliste.
Großmeister, Elo 2687, Nr. 41 der Weltrangliste
Großmeister, Elo 2642, Nr. 83 der Weltrangliste
Großmeister, Elo 2641, Nr. 85 der Weltrangliste
Großmeister, Elo 2638, Nr. 88 der Weltrangliste
Großmeister, Elo 2614, Nr. 133 der Weltrangliste
Großmeister, Elo 2587, Nr. 194 der Weltrangliste
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11682