13. Oktober 2010
Heute vollendet ein Mann das halbe Jahrhundert, der noch bis vor wenigen Monaten als leitender Schachfunktionär am Ruder stand. Seit Ende März hat Dr. Matthias Kribben nun etwas mehr Ruhe, seit er nach sechs Jahren Amtszeit nicht mehr Präsident des Berliner Schachverbandes ist.
Im Mai 2007 wurde er zudem Vizepräsident des Deutschen Schachbundes, auch auf Wunsch des derzeitigen DSB-Präsidenten, mit dem er zusammen in der Fernschach-Olympiamannschaft spielt. Zwei Jahre später trat er zurück und gab als Grund die zunehmenden Belastungen im Fernschach an, wo er das Finale der Fernschach-Weltmeisterschaft erreicht hatte.
Matthias Kribben blickt auf die zwei Jahre beim DSB zurück: "Da im November 2008 die Schacholympiade in Dresden stattfand, war fast meine gesamte Amtszeit diesem Jahrhundert-Ereignis untergeordnet. Ich konnte zum Glück einen Teil dazu beitragen – fast wöchentlich war ich in Dresden – dass zunächst die schwierige und eigentlich kaum zu bewältigende Millionen-Finanzierung und später die Durchführung der Olympiade gelang. Die Olympiade stand sehr lange auf der Kippe und mehr als einmal drohte uns die FIDE mit dem Ausrichtungs-Entzug. Nur die beispiellose Zusammenarbeit zwischen dem Dresdner Orgateam um Dr. Jordan und dem DSB ermöglichte die Realisierung. Mit einem angenehmen Gefühl blicke ich auf diese Zeit zurück, der Aufwand hat sich gelohnt!"
Nun kann er sich wieder ausgiebig dem Fernschach widmen, auch wenn ihn die leitenden Funktionen nicht loslassen. Seit April ist er Vorsitzender des SC Zitadelle Spandau.
Nachfolgend ein Interview, das ich mit ihm in den letzten Tagen führte:
Du hast kürzlich das Kandidatenfinale für die nächste WM gewonnen (ungeschlagen mit jeweils 6 Siegen und Remisen). Was ist das für ein Turnier, das Kandidatenfinale? Mussten sich hier die Spieler qualifizieren, die nicht für das WM-Finale vorberechtigt sind?
Für das WM-Finale (Start im Frühjahr jeden Jahres mit 17 Teilnehmern) sind nur der amtierende Weltmeister und der Vizeweltmeister vorberechtigt, die anderen Teilnehmer qualifizieren sich über die Kandidatenfinals, und zwar dort jeweils die beiden Ersten des 13köpfigen Feldes. Ein Kandidatenfinale erreicht man durch den Aufstieg von Klasse zu Klasse bis hin zum Aufstieg in das WM-Halbfinale und wenn man das auch noch gewinnt, steht man im WM-Kandidatenfinale und hat dort die Chance, sich für das WM-Finale zu qualifizieren.
Hast Du schon einmal ein WM-Finale im Einzel mitgespielt? Was ist Dein Ziel für das kommende WM-Finale?
Ich war im Jahr 1983 Deutscher Jugend-Fernschachmeister der BRD und habe danach über zwei Jahrzehnte Fernschach nur als Mannschaftssport betrieben. Erst als sich abzeichnete, dass alle hier erreichbaren Erfolge gelingen, begann ich mit Einzelturnieren und erreichte vor einem Jahr die Qualifikation für das WM-Finale. Somit war ich schon für das letzte WM-Finale qualifiziert, gab aber der Titelverteidigung beim Olympia-Finale zunächst den Vorrang.
Beim gerade zu Ende gehenden Heemsoth-Memorial (Preisfonds vom Deutschen Fernschachbund immerhin 10.000 Euro), mit fast der gesamten Weltelite das stärkste Fernschachturnier aller Zeiten und stärker besetzt als die WM-Finals, erreiche ich den 4. Platz unter den 17 Teilnehmern und kann alle vier teilnehmenden Ex-Weltmeister hinter mir lassen. Nach diesem Erfolg zähle ich sicherlich zu den Favoriten im neuen WM-Finale und werde wohl auch Elo-Favorit sein, aber die Karten werden ja immer neu gemischt.
Wie läuft so eine Fernpartie ab? Beim ICCF hat man ja 5 Tage Zeit pro Zug.
Zug bekommen, Engine anschmeißen, besten Zug spielen – oder wie? Von den letzten 100 Elo-gewerteten Partien hast Du 52 gewonnen, 46 remisiert und nur 2 verloren, also muss doch irgendwie mehr dahinter stecken?
5 Tage pro Zug hört sich viel an, aber da man ja praktisch Simultanspieler ist und viele Partien gleichzeitig spielt, empfinde ich das eher als knapp. Dazu kommt meine vielleicht etwas antiquierte Arbeitsweise: Ich schreibe alle wichtigen Varianten in Baumform auf Papier und im Laufe einer einzigen Partie werden das oft über 100 Seiten. Manche Partien böten am Ende genug Material für ein eigenes Buch. Die Formulierung „besten Zug spielen“ ist natürlich sehr philosophisch, denn danach suchen wir ja gerade immer und wissen fast nie, ob wir ihn wirklich gefunden haben. Wenn ich unter „Engine anschmeißen“ das Analysieren der aktuellen Stellung verstehe, dann kommen oft vier Engines zu fünf verschiedenen Ergebnissen – was ist denn nun der beste Zug? In der jeweiligen Stellung Engines laufen lassen kann der Gegner auch, also kann das keinen Vorteil bringen. Die Kunst liegt, ganz allgemein gesagt, in der Beurteilung und Berechnung möglicher zukünftig entstehender Stellungsbilder und in der Technik, die angestrebten auch zu erreichen.
Was passiert, wenn Du in mehreren Fernpartien am Zug bist? Analysierst Du simultan, lässt die Engines auf mehreren Rechnern oder in mehreren Prozessen laufen?
Leider habe ich in zwei Bereichen keine allzu gute Disziplin: Einerseits spiele ich oft über 30 Partien gleichzeitig und das ist zuviel, und andererseits analysiere ich immer zuerst die Partien, die mir besonderen Spaß machen. Die schwierigen Stellungen bleiben lange unbearbeitet liegen und werden erst dann vorgeknöpft, wenn ich in keiner Spaß-Partie mehr am Zug bin oder spätestens wenn Zeitüberschreitung droht. Ich sehe jeden Zug als komplexen Entscheidungsprozess und widme diesem Prozess immer meine gesamte „Hingabe“, bevor ich mich einer anderen Partie zuwende.
In zwei anderen Punkten habe ich allerdings eine sehr gute Disziplin: Ich sende immer erst dann einen Zug ab, wenn ich wirklich vollständig davon überzeugt bin, dass er (nach meinem Sach- und Schachverstand) auch tatsächlich der beste in der Stellung ist. Und ich kann einen Entscheidungsprozeß sehr lange ertragen, also einen Zug auch mal mehrere Tage „reifen“ lassen. Wenn man abends eine Variante analysiert hat und sich dann morgens wieder dran setzt, sieht die Welt oft schon wieder ganz anders aus. Und, kleiner aber guter Trick vom Ex-Weltmeister Sanakojew: Eine Analyse-Einheit immer mit einer positiven Variante abschließen, das motiviert und erhöht die Vorfreude auf die nächste Analyse-Sitzung!
Landläufige Meinung unter ehemaligen und Nicht-Fernschachspielern: Heutzutage benutzt jeder ein Schachprogramm und läßt das für sich spielen. Es macht doch keinen Spaß mehr, wenn man weiß, der Gegner ist eigentlich ein Rechner, gegen den man sowieso keine Chance hat. Wie stehst Du dazu?
Man hofft natürlich immer, dass man auf Gegner trifft, die eine Engine rechnen lassen und dann den entsprechenden Zug ausführen. In Partien, in denen „nicht viel los ist“, kann das sogar hin und wieder zum Remis reichen, bei komplexeren Partien kommt es aber irgendwann zu Situationen, in denen der Horizont der Engine überschritten wird. Um erfolgreich zu sein, muss man also möglichst tief in die Varianten hinein gehen, um eine deutliche Horizont-Erweiterung zu erreichen und oft ist es sogar sinnvoll, „rückwärts“ zu analysieren – eine Analyseart, die es im Nahschach praktisch nicht gibt - indem man auf dem Analyse-Brett z.B. ein Wunsch-Endspiel mit den Elementen der aktuellen Mittelspiel-Stellung aufbaut und dann einen Weg sucht, durch Rückwärts-Analyse diese Stellung forciert zu erreichen. Das ist vergleichbar mit einem Irrgarten-Spiel, bei dem man oft auch schneller die Lösung findet, wenn man den Weg vom Ziel rückwärts zum Eingang nimmt.
Wer sich mit Engines nicht befassen möchte, für den bietet der Deutsche Fernschachbund No-Engine-Turniere an. Das Wesen des Fernschachspiels beinhaltet aber von jeher die Möglichkeit des Einsatzes aller zur Verfügung stehender Ressourcen und das funktioniert deshalb beim Fernschach sehr gut, weil wir ein Spiel betreiben, das noch lange nicht bis zum Ende ausgerechnet ist. Bei anderen und weniger komplexeren Spielen ist das nicht so, beispielsweise bei Mühle und Dame. Beide Spiele sind komplett berechnet und so würde es keinen Sinn machen, Fernmühle oder Ferndame zu spielen. Beim Schach ist das noch lange nicht absehbar, nur die 6-Steiner sind bisher berechnet und außerdem gibt es ja noch Chess960, den Überbau der von uns üblicherweise gespielten Stellung 518, das nach den gleichen Regeln gespielt wird und für die nächsten Generationen zur Verfügung steht..
Es hat sich in den letzten Jahrzehnten natürlich Einiges im Fernschach verändert, aber die Grundstruktur ist dennoch gleich geblieben und interessanterweise sind die Spieler in der Weltspitze immer noch fast die gleichen wie in der Vorcomputer-Ära.
Fritz Baumbach vergleicht gerne die Fernpartie mit einer wissenschaftlichen Hausarbeit mit Nutzungsmöglichkeit aller Ressourcen, und die Nahpartie mit einer Klausur, bei der das gelernte Wissen abrufbar sein muss.
Fernschach auf hohem Niveau, verglichen mit einer Hausarbeit, beinhaltet insofern sehr stark den Sekundanten-Aspekt:
Bei meinen früheren Fernturnieren waren meine Sekundanten die Vereinskameraden, mein Bruder Johannes Kribben (aktueller Deutscher Fernschachmeister im Chess960), manuell erstellte Datenbanken und die weltweite Schach-Literatur. (Wobei ich Anfang der 80er Jahre in den Genuss kam, durch meine studienbegleitende Mitarbeit beim Schach-Echo und bei der Fernschach-Zeitung Neuerungen oft einige Wochen vor den Lesern zu Gesicht zu bekommen.)
Heute sind die Sekundanten in erster Linie die Engines, und auch bei denen hat jede seine individuellen Stärken und Schwächen. Eine versteht kein Sizilianisch, eine versteht keinen Königsangriff, eine versteht keine ungleiche Materialverteilung, eine versteht keine ungleichfarbigen Läuferendspiele, eine versteht keinen Zugzwang und bisher noch gar keine versteht so richtig den magischen Augenblick der Partie, die richtigen Abwicklung ins Endspiel.
Wie schwach Engines insgesamt noch spielen, erkennt man ja auch daran, dass es vorkommt, dass in einer Partie zwischen zwei Engines Schwarz gewinnt(!) - Wenn einigermaßen ordentlich Schach gespielt wird, kann das ja eigentlich nicht passieren, denn die Schachregeln bieten keinen Ansatzpunkt für die Entstehung eines schwarzen Stellungsvorteils.
Die von uns Menschen subjektiv gefühlte Stärke der Engines resultiert also ausschließlich daraus, dass wir so arrogant sind und ihre Leistungsfähigkeit mit unserem menschlichen (Mini-)Gehirn vergleichen, aber das ist sicher nicht der richtige Vergleichs-Maßstab.
Wie man beim WM-Finale Anand-Topalow sah, bewegt sich das Nahschach augenblicklich sogar einen Schritt hin zum Fernschach. Die dortigen Sekundanten, u.a. mein derzeitiger Olympia-Gegner Jiri Dufek im Team von Topalow, ein starker Fern-, aber mittelmäßiger Nahschachspieler, sind sozusagen verschmolzen mit der Elektronik und können die Nahschach-Top-Großmeister effizient unterstützen.
Ich bin seit einigen Wochen Mitglied des BdF. Nach mehr als 20jähriger Unterbrechung will ich es mal wieder mit dem Fernschach versuchen. Damals war ich erfolglos, hatte eine FWZ von rund 1300 bis 1400. Jetzt habe ich Rybka 4 und will die Szene aufmischen. Aber so einfach ist das alles nicht. Ich habe zwar schon einige Partien in der untersten Klasse gewonnen, allerdings auch schon zwei halbe Punkte abgegeben. In beiden Partien zeigte Rybka bei 21 bis 23 Halbzügen Suchtiefe immer teils klaren Vorteil an. Mit menschlichen Auge betrachtet waren die Stellungen aber remis - doch lag diese Erkenntnis außerhalb der Suchtiefe Rybkas. So kam es z.B. in der einen Partie zu einer Abwicklung in ein Doppelturmendspiel mit zwei Mehrbauern für mich. Rybka zeigte +2,5 - objektiv betrachtet war die Stellung aber nicht gewinnbar. Erkenntnis für mich: Rybka hat die eigentlich gewonnene Stellung ins falsche Endspiel abgewickelt.
Genau dieser magische Augenblick der Abwicklung ins Endspiel bringt oder kostet immer wieder wichtige halbe Punkte.
Grundlegende Erkenntnis aus meinem bisherigen Fernschach-Comeback: Pure Rechnergewalt reicht nicht aus - selbst auf unterster Ebene. Die Konkurrenz benutzt auch elektronische Hilfe. Allein so kann man also nicht in die Weltspitze vorstoßen...
Genau so ist es. Ab und zu Remis, mehr wird es nicht werden....
Selbst wenn man nur die Engine für sich rechnen läßt: Jeder Patzer kann so Partien auf Großmeisterniveau produzieren und wenigstens in Teilbereichen erfolgreich sein. Von Schach muß man eigentlich keine Ahnung haben. Bei einem Blick in die Fernschach-Ranglisten und auf Fernschach-Turnierergebnisse bekommt man die Erkenntnis: Spieler, die im Nahschach keine zwei "geraden" Züge hintereinander finden, sind im Fernschach plötzlich internationale oder nationale Titelträger. Ich finde das pervers!
Fernschach ist ein anderes Spiel als Nahschach und erfordert andere Fähigkeiten.
So wie man im Problemschach Weltmeister werden kann, ohne bestimmte Eröffnungen zu beherrschen, so kann man im Fernschach erfolgreich sein, ohne sich lange Varianten merken zu müssen oder im Kopf viele Züge im Voraus berechnen zu können.
Sergey Bubka war ein mittelmäßiger Hochspringer, hält aber heute noch den Weltrekord im Stabhochsprung. Darf er sich Weltrekordler im Stabhochsprung nennen, obwohl er gar nicht richtig hochspringen kann? Niemand hat dies bisher in Zweifel gezogen.
Die inflationäre Titelvergabe im Fernschach sollte allerdings begrenzt werden und nur die besten 1-2 Prozent aller Spieler sollten einen Internationalen Titel tragen. Und den Begriff „Großmeisterniveau“ muss man hier natürlich genau definieren: Eine Fernschachpartie auf Nahschach-GM-Niveau zu spielen ist keine Kunst (siehe Hausarbeit versus Klausur), aber auf Fernschach-Großmeisterniveau zu kommen, das muss die Herausforderung für jeden Fernschachspieler sein.
Wenn man sich ansieht, welche Ergebnisse Du bei Deinen Einsätzen für Deutschland erzielt hast, dann ist das schon sehr beeindruckend:
Bei den Ostsee-Mannschaftsturnieren 11,5/14 und 10/14, beim Europa-Mannschaftsmeisterschafts-Finale 9,5/12, beim Rochade-Jubiläumsturnier mit 11/14 das beste Ergebnis aller 210 Teilnehmer und in 20 Olympia-Partien für Deutschland unglaubliche 16:4 Punkte, also mit 80 Prozent so viel wie weltweit kein anderer Olympia-Teilnehmer. Spornt Dich das Spielen für Deutschland besonders an?
Es ist für mich schon eine große Ehre und Freude für Deutschland zu spielen, so dass ich mich auf diese Aufgaben auch eröffnungstheoretisch sehr gründlich vorbereite. Und überhaupt spiele ich am liebsten in Teams, auch für Zitadelle Spandau in der 1. Bundesliga, wo am 1. Brett mein Ergebnis aus der Saison 2005/07 mit 6 aus 8 noch unübertroffen ist.
Wie bei Wikipedia nachzulesen ist, hast Du vor knapp 30 Jahren die BRD-Jugend-Fernschachmeisterschaft gewonnen, spieltest immer weiter, bist inzwischen auf Platz 16 in der Weltrangliste mit Elo 2659 – macht das jetzt mit 50 immer noch Spaß?
Ich habe mit 17 begonnen, also ist das Fernschach jetzt in zwei Dritteln meines Lebens mein ständiger Begleiter gewesen und hat mich auch in anderen Lebensbereichen beflügelt. Ich liebe diese Form des Simultanspiels, die fortwährende Auseinandersetzung mit den „Hängepartie“-Stellungen. Die größten Erfolge gemäß der Fernschach-Historie erreichen Spieler in der Dekade zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr. Vermutlich liegt das daran, weil einerseits schon viel Erfahrung gesammelt wurde und andererseits noch genug Spannkraft vorhanden ist, um kraftraubende Turniere zu spielen. Insofern habe ich mir für die nächsten Jahre einiges vorgenommen.
Im Jahr 2006 hatte ich mir fünf hohe Ziele gesetzt:
Alles hat geklappt und nun sind die nächsten 5 Ziele an der Reihe:
Vielen Dank für das Gespräch, Matthias!
Matthias Kribben in der Wikipedia | Matthias Kribben im DSB-Spielerregister
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 7896