30. November 2011
Sontheim/Brenz, Sonntag, 27. November .2011, 6:59 Uhr:
Die zentnerschwere Anspannung der letzten Wochen und Monate fällt schlagartig von mir ab und weicht einem großen Glücksgefühl. Die Anstrengungen und Entbehrungen des letzten halben Jahres waren nicht umsonst, Marc hat es tatsächlich geschafft! Nach 21 Stunden Höchstleistungs-Gedächtnismarathon hat er sein Ziel, den Weltrekord im Blindsimultan-Schach aufzustellen, erreicht. Überall Jubel, Glückwünsche und Blitzlichtgewitter – mein Mann sieht sehr sehr glücklich und zufrieden, und im Gegensatz zu manch anderem wackeren Schachmitstreiter nach der durchwachten Nacht noch relativ frisch aus. Vermutlich ist es das Adrenalin, das in solchen Momenten unseren Körper und Geist beflügelt, denn kaum sind wir zu Hause, fällt Marc wie ein Stein ins Bett und ist bereits eingeschlafen, noch bevor sein Kopf das Kopfkissen berührt.
Noch immer bin ich überaus beeindruckt von seiner Gedächtnisleistung und seiner physischen Kondition – umso mehr, als ich zu den begnadeten Frauen gehöre, die gerade noch einen Bauern vom König unterscheiden können und deren räumliches Vorstellungsvermögen in etwa so ausgeprägt ist wie der Sehsinn eines Maulwurfes.
Wenn ich das halbe Jahr Vorbereitungszeit für den Weltrekordversuch Revue passieren lasse, und was dies für uns als Familie bedeutet hat, muss ich ehrlich zugeben – ich bin froh, dass es vorbei ist. Endlich werden wir wieder durchs Haus laufen können, ohne ständig über einen der überall auf dem Boden verteilten Schachbücher-Stapel zu stolpern. Ich werde wieder wie jede andere normale Ehefrau in der Küche kochen können, ohne zuerst Berge von Schachbüchern beiseite räumen zu müssen, und auch die Lektüre auf dem Lokus wird nicht mehr schwarz-weiß-kariert sein. Allerdings werden wir wohl anbauen müssen. Denn sollen die Schachwerke, die sich im letzten halben Jahr zu den bereits vorhandenen hinzugesellt haben, nun auch alle ordentlich zusammen untergebracht werden, wird es uns wohl an Platz fehlen, es sei denn ein Familienmitglied wäre bereit, sein Zimmer zu räumen.
Dass dies auf keinen Fall unser Sohn sein wird, ist jetzt schon amtlich. Er ist einfach nur froh, seinen Papa wiederzuhaben. Allerdings ist fraglich, für wie lange wieder ‚Normalität‘ in unser Familienleben zurückkehren wird, da uns bereits jetzt das Gefühl beschlichen hat, dass irgendwie etwas fehlt. Denn das Hinfiebern auf dieses einmalige Ereignis und die Freude über den erfolgreichen Ausgang desselbigen, hatte und hat eine ganz eigene Qualität.
Da Marc aber mit unerschöpflicher Fantasie und Kreativität gesegnet ist, und ich meinen Mann gut genug kenne, weiß ich, dass er bestimmt schon irgendetwas in petto hat – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
An dieser Stelle möchte ich nochmals allen, die uns die Verwirklichung dieses Events ermöglicht haben, herzlichst danken: dem Schachklub Sontheim für die grandiose Unterstützung und perfekte Organisation der Veranstaltung, sämtlichen Sponsoren, allen voran der Firma AstraTech, ohne die die Umsetzung des Blindsimultans nicht möglich gewesen wäre, sowie nicht zuletzt den Großeltern, die immer für die Kleinen da waren, um uns den Rücken freizuhalten.
Anne Lindenmayer-Lang
ZUR PERSON
Anne Lindenmayer-Lang (Jahrgang 1975) abreitet als Lehrerin für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium. In ihrer Freizeit liest sie gern (besonders Kriminalromane), hört Irish Folk Music hört und liebt Spaziergänge. Mit dem neuen Blindschach-Weltrekordler Marc Lang ist sie seit zehn Jahren verheiratet und sind mit ihren beiden Kindern eine glückliche Familie. Und das, obwohl Anne Lindenmayer-Lang nach eigenen Worten eine absolute Schach-Analphabetin ist.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 149