23. Mai 2025
Als Bahnchef muss er sich bisweilen fühlen wie ein Schachspieler, der schwer unter Druck steht. Man könnte sagen, mit Blick aufs marode Schienennetz: Hier fehlt ein Turm, dort ein Springer - und der Gegner macht gewaltig Druck mit seinen Läufern. Am heutigen Freitag wird er von all dem mal ein bisschen abschalten und nach München anreisen: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Dr. Richard Lutz. Mit ein bisschen Glück, sagt er, kann er noch ein bisschen was von der letzten Runden in der Meisterklasse sehen – ansonsten ist er in jedem Fall beim Galaabend zum Abschluss dabei. Und Deutschlands oberster Eisenbahner, einst auch ein sehr erfolgreiche Schachspieler (der immer noch 2250 Elopunkte auf dem Konto hat), sitzt am Samstag im Fat Cat in München auch am Brett. Beim 1. Krulich-Cup, einem Tandem-Turnier, bei dem acht bekannte Persönlichkeiten jeweils mit einem Großmeister im Team spielen. Im Interview mit Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit spricht Lutz darüber, warum Schach wie das wahre Leben ist – und man bei diesem wunderbaren Spiel viel fürs Leben lernen kann. Kurzum: Wenn schwierige Stellungen klare und konsequente Züge erfordern.
Herr Dr. Lutz, wie viel Zeit haben Sie als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG noch für Ihr Hobby Schach?
Nicht mehr viel. Dafür ist Schach als Hobby zu zeitintensiv. Aber immerhin: Ich habe Abos von Schach-Zeitschriften, eine Schach-App auf dem Handy - und seit Corona gibt es ja vielfältige Möglichkeiten, sich über das Internet auf dem Laufenden zu halten und tolle Schachevents auch zeitversetzt zu verfolgen. Außerdem bin ich seit vielen Jahren Mitglied der Emanuel-Lasker-Gesellschaft in Berlin und schaue ab und zu mal bei den vielfältigen Aktivitäten des Vereins vorbei.
Sagen Sie sich manchmal: Ich müsste mir wieder mehr Zeit nehmen für Schach?
(lacht) Ja, das sage ich mir eigentlich ständig. Aber der Job lässt es nur selten zu. Und das ist auch okay so, denn die Entscheidung, Bahnchef zu werden, habe ich ja aus freien Stücken getroffen. In solchen Funktionen ist man immer Grenzgänger in Sachen Familie, Freunde und Freizeit.
Wann haben Sie denn zum letzten Mal ein Schach-Event persönlich besucht?
Das ist noch gar nicht so lange her. Anfang des Jahres habe ich das Schach-Bundesliga-Debüt von Magnus Carlsen beim FC St. Pauli verfolgt – zumindest den ersten Wettkampftag am Samstag. Das hat ganz viel Spaß gemacht - nicht zuletzt, weil ich einige gute Freunde aus alten Zeiten wieder getroffen habe und neue Kontakte wie zum Beispiel mit Jan Henric Buettner und Sebastian Siebrecht knüpfen konnte. Mehr war bislang in diesem Jahr nicht drin. Desto größer ist die Vorfreude auf meine kleine Stippvisite bei den Deutschen Meisterschaften in München. Ich hoffe sehr, dass nichts dazwischenkommt.
Wie wichtig war Schach für Sie früher?
Schach war und ist meine große Leidenschaft und hat meine Jugendzeit ganz entscheidend geprägt. Ich habe sehr früh andere Länder und andere Kulturen kennenlernen dürfen. Und über Schach Freunde fürs Leben gewonnen, zu denen ich bis heute Kontakt habe - auch wenn wir uns manchmal über Jahre hinweg nicht sehen. Aber wenn, dann ist es wie früher. Das ist schon etwas, was die Schachfamilie auszeichnet.
Was hat Ihnen der Sport gegeben? Und was gibt es Ihnen heute noch, wenn Sie Schach spielen?
Ich habe Schach sehr viel zu verdanken. Denn dieser Sport schafft nicht nur Gemeinschaft, sondern man lernt auch auf spielerische Art und Weise fürs Leben: Immer vorauszudenken und einen Plan zu haben, Entscheidungen bei unsicherer Datenlage und unter Zeitdruck zu treffen, der eigenen Intuition zu vertrauen, Überraschungen und auch Fehleinschätzungen zu akzeptieren und dann das Beste daraus zu machen. Und selbst wenn man schlecht steht, niemals aufzugeben, immer zu kämpfen, Risiken zu managen und nach Chancen zu suchen. Da gibt es ganz viele Parallelen zwischen Schach und dem normalen Leben.
Apropos Parallelen: Kürzlich mussten Sie wieder die aktuellen Zahlen der Bahn öffentlich kommentieren. Bestimmt ein schwerer Gang… Was ist unangenehmer? Eine schlechte Stellung auf dem Brett – oder so eine Pressekonferenz?
Da muss ich etwas weiter ausholen. Im Schach wie im Leben ist es wichtig, dass man analysiert, welche Probleme man hat, was die Ursachen sind und wie Lösungswege aussehen können. Die Eisenbahn in Deutschland krankt an einem Schienennetz, das seit vielen Jahrzehnten chronisch unterfinanziert ist, weil die Politik mit Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse andere Akzente gesetzt hat. Der Investitionsrückstau beträgt mittlerweile deutlich mehr als 100 Milliarden Euro. Das Schienennetz und die Bahnhöfe sind schlicht zu alt, viel zu störanfällig und in weiten Bereichen jenseits der Belastungsgrenze. Deshalb sind rund 80 Prozent der Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit im Eisenbahnsystem, die unsere Kunden jeden Tag zu spüren bekommen, vor allem auf die marode Infrastruktur zurückzuführen. Das ist unser Hauptproblem und deshalb muss es vor allem darum gehen, die Schieneninfrastruktur wieder in Ordnung zu bringen, zu sanieren und zu modernisieren. Der Anfang ist bereits gemacht: Im vergangenen Jahr ist die Infrastruktur zum ersten Mal in Jahrzehnten nicht schlechter geworden.
Wenn das die Stellungsanalyse ist, wie sieht denn dann Strategie und Taktik für die Bahn aus?
Jammern und Klagen hilft nicht weiter. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen umzusetzen, mit denen die Probleme gelöst und die Situation für unsere Kunden verbessert wird. Wichtige Weichen wurden von der alten Bundesregierung gestellt und es spricht Einiges dafür, dass dieser Weg auch von der neuen Bundesregierung fortgesetzt und gegebenenfalls sogar verstärkt und beschleunigt wird. Das neue Sondervermögen für Infrastruktur ist dafür ein starkes Signal. Und natürlich gibt es auch jede Menge Hausaufgaben bei der DB, die wir als Management vorantreiben müssen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen. Die Bilanzpressekonferenz ist ein willkommener Anlass, die Dinge transparent zu machen und manche polemische Diskussion zu versachlichen. Deshalb empfinde ich das nicht als unangenehm, sondern als positive Gelegenheit, über die Bahn zu kommunizieren.
Inwiefern ist bei Ihrem stressigen Job womöglich Schach eine willkommene Form der Entspannung?
Schach ist für mich natürlich Ablenkung und Abwechslung, keine Frage. Aber weil ich für dieses Spiel so brenne, schalte ich nicht wirklich ab. Das gehört zur Wahrheit dazu (schmunzelt). Da sind Spaziergänge mit meiner Frau oder gemeinsame Konzertbesuche in der Berliner Philharmonie sicherlich entspannender.
Züge bestimmen Ihr Leben, soviel ist klar. Inwiefern hilft das strategische Denken als Schachsportler auch bei der Aufgabe als Vorstandschef eines solchen Riesenkonzerns?
Das hilft natürlich. Und zwar nicht nur im Sinne eines langfristigen und strategischen Plans, sondern auch in Bezug auf die konkrete operative Umsetzung. Denn in jedem Unternehmen müssen Tag für Tag Entscheidungen getroffen, Situationen analysiert und Pläne gegebenenfalls angepasst werden. Was besonders hilfreich ist: sich über längere Zeit konzentrieren zu können, auf ein bestimmtes Thema vollständig zu fokussieren - und dabei alles andere komplett auszublenden. Als Schachspieler lernt man das von klein auf. Deshalb kann man sich nur wünschen, dass ganz viele junge Menschen Begeisterung für diesen Sport entwickeln.
Sie haben Schach in Ihrer Jugend sehr intensiv auf hohem Niveau gespielt. Wann kam der Bruch, weil einfach der Job die Oberhand gewann?
Das kam eigentlich schon lange vor meinem Berufseinstieg. Während meiner Zeit in der Sportkompanie in Warendorf Anfang der 80er Jahre hatten wir optimale Bedingungen und konnten wirklich so viel Schach trainieren und spielen, wie wir wollten. Das war super! Aber ich habe für mich damals festgestellt, dass ich nicht dafür gemacht bin, meinen Lebensunterhalt mit Schach zu verdienen. Deshalb habe ich mich nach Warendorf entschieden, meine Prioritäten konsequent auf Studium und Beruf zu legen und nicht mehr so viel Zeit in Schach zu investieren. Schach ist trotzdem meine Leidenschaft geblieben und ich habe mir fest vorgenommen, diesem wunderbaren Spiel nach dem Ende meines Berufslebens wieder mehr Zeit zu widmen. Darauf freue ich mich.
Ich habe gehört, Sie haben sehr schnell zum Krulich-Cup zugesagt. Was erwarten Sie von dem Turnier?
Ja, das ist so. Ingrid Lauterbach, die ich aus früheren Zeiten noch gut kenne, hat mich Anfang Januar gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mal in München vorbeizuschauen und gegebenenfalls an einem kleinen „Spezialturnier“ selber teilzunehmen. Auch wenn meine schachlichen Gehirnwindungen alle schon ziemlich eingerostet sind, habe ich das Angebot sehr gerne angenommen. Denn mit München verbindet mich eine besondere schachliche und persönliche Beziehung. Zum einen leben und arbeiten zwei unserer drei inzwischen erwachsenen Kinder in München. Zum anderen bin ich der Münchener Schachstiftung und dem Team rund um Stefan Kindermann, Dijana Dengler, Gerald Hertneck und Roman Krulich freundschaftlich und als Unterstützer seit Jahren verbunden. Ich finde es wirklich beeindruckend, was dort seit fast 20 Jahren in Sachen Integration und Inklusion geleistet wird. Insofern freue ich mich, wenn es hoffentlich ein Wiedersehen mit allen gibt. Außerdem ist die Deutsche Meisterschaft so stark besetzt wie seit Jahren nicht. Vincent Keymer und die anderen deutschen Spitzenspieler aus der Nähe zu erleben, ist immer eine Reise wert.
Und mit wem – soviel sei verraten: Vincent Keymer ist auch dabei – würden Sie gerne im Tandem spielen?
Das nehme ich, wie es kommt. Wenn Vincent dabei ist, dann wäre es natürlich eine tolle Sache, mit ihm in einem Team zu spielen. Und wenn er am letzten Tag vor allem Spaß haben will, dann würde er mir hoffentlich den ein oder anderen Patzer nachsehen (lacht).
Samstag, ab 11 Uhr in der Black Box: Fans sind als Zuschauer herzlich willkommen. Wann sieht man auch schonmal den Bahnchef am Brett, live und in Farbe? Gespielt wird in Tandem-Teams, die vorher ausgelost werden. Geplant sind drei Runden Schweizer System als 20-Minuten Partien ohne Inkrement, die beiden Spieler ziehen abwechselnd und dürfen einmal während der Partie eine einminütige Auszeit zur Beratung nehmen. Wichtigste Maxime, so DSB-Präsidentin Ingrid Lauterbach: "Wir wollen alle Spaß haben! Gewonnen hat das Team/die Teams mit den meisten Punkten." Nebendran im Carl-Orff Foyer laufen die Deutschen Meisterschaften im Blitzen, wo dann auch gekiebitzt werden kann!
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36683