16. Mai 2025
Mehr Spitze geht nicht im deutschen Schach. Nummer eins gegen Nummer zwei. GM Vincent Keymer gegen GM Frederik Svane. Und das schon in der zweiten Runde der 96. Deutschen Meisterschaften in München. Als alles vorbei war, um 18 Uhr, standen die beiden noch im DSB-Pressebereich, durchliefen die wichtigsten Phasen der Partie noch einmal. “Was hätte ich machen können?” fragte Svane – und dann ging es doch sehr ins Detail zwischen zwei Top-Spielern, die gefühlt ihr Duell noch einmal erlebten. Ein spannender Moment. Auch ein sehr menschlicher Moment, weil zu spüren war: Diese zwei Konkurrenten respektieren sich, sie schätzen sich. Das sind Kumpels. “Ich kenne Frederik gut, ich mag ihn auch. Man möchte ihm nicht wehtun”, sagte Keymer, “aber man sieht ja hier: Es wird nichts persönlich genommen. Das ist schön.” Frederik Svane ging schweigend. “Lieber heute nicht”, sagte er zum Interviewwunsch. Und das war nur allzu verständlich. Nach dem Debakel gestern gegen GM Dennis Wagner, als er eine gewonnene Partie noch schrottete wie zuletzt ein GM Ding Liren seinen WM-Titel, steht er nun mit null Punkten da. Heute, so sagte der Sieger, müsse sich der Unterlegene wenigstens nicht grämen. “Frederik stand die ganze Partie unter Druck – und es war nur die Frage, ob er sie hält oder verliert.”
Vincent Keymer, das war zu spüren, war mit sich und der Welt im Reinen – nach seinem perfekten Start. Zwei aus zwei. Ob er heute einen seiner Jäger abgeschüttelt hat? “Ja”, sagte er und lächelte vielsagend. Ansonsten betonte er im Interview mit Matthias Wolf und Levian Raschke vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit auch, dass es ihm sehr viel bedeuten würde, in München zu gewinnen. Weniger, weil das Teilnehmerfeld so stark sei, danach frage in einigen Jahren keiner mehr – aber bisher habe er nur im German Masters obsiegt: “Es wäre mein erster deutscher Meistertitel. Das würde schon was ändern, das wäre was Besonderes.”
Im DSB-Interview (siehe Video) spricht er auch über die möglichen Münchner Punkte für den FIDE-Circuit, Freestyle, seine Ambitionen, einmal ein WM-Finale (“Ich arbeite so hart wie ich kann dafür”) zu erreichen – aber vor allem ging es um das Hier und Jetzt. “Ich bin als Favorit in dieses Turnier gegangen. Alles andere als ein Sieg wäre eine Enttäuschung.” Da setzt sich einer gewaltig unter Druck – und Prioritäten. Er habe viele Turnieranfragen für dieses Jahr abgelehnt, konzentriere sich auf die wichtigen Events. Die Deutschen Meisterschaften gehören dazu. Ansonsten gelte: “Man hat seine Grenzen. Wenn ich jetzt jeden Tag spielen würde, könnte ich kein gutes Level mehr bringen.” In München jedenfalls ist das Level bisher top.
Ärgster Verfolger, nach Wertung aktuell sogar leicht vorne: GM Matthias Blübaum. Er besiegte heute IM Marco Dobrikov, der weiter tapfer sagt: “Meine Erwartungen waren ja vorher nicht so hoch, ich gebe einfach mein Bestes. Und ich finde, ich habe zwei gute Partien gezeigt.” Das konnte Blübaum nur anerkennend bestätigen. “Er wird seine Punkte bestimmt noch holen.” Für ihn selbst sei das Duell gar nicht so leicht gewesen – die Favoritenbürde. Aber auch der frischgebackene Europameister möchte unbedingt München-Sieger sein: “Es wäre mein erster offizieller deutscher Meistertitel. Und der wäre besonders schön, weil das Turnier stark besetzt ist.” Das zeigte sich auch an anderen Brettern. GM Martin Krämer rang Dennis Wagner ein Remis ab. Punkteteilung auch zwischen den beiden Nationalmannschaftskollegen GM Rasmus Svane und GM Alexander Donchenko. Da ging wenig, weder rechts noch links. “Das Remis war logisch”, so Rasmus Svane. Donchenko sah das ähnlich: “Objektiv konnte von einem Vorteil nie die Rede sein.”
Auch sonst bot die Meisterklasse heute einiges. Das Remis zwischen GM Niclas Huschenbeth und IM Leonardo Costa zum Beispiel. Stichwort Huschenbeth. Kürzlich war er im Münchner Tatort (Folge: Zugzwang) zu sehen – und nun schon wieder in Bayerns Hauptstadt vor Ort, diesmal zum Schachspielen. “Ich musste für die Dreharbeiten gar nicht in München sein”, verriet Huschenbeth, der den Kommentator im Tatort gegeben hatte, “ich wurde aufgezeichnet und reingeschnitten.” Großes Kino. Und ein interessantes Spiel. Für das Huschenbeth danach auch den Youngster lobte: “Er hat heute wieder gezeigt, dass er derzeit sehr gut in Form ist.” Zwischendurch habe er für sich eine Siegchance gesehen, “aber dann habe ich ihn leider wieder von der Angel gelassen”. Costa scheint diesen Druck gar nicht gespürt zu haben: “Ich war locker und wollte einfach nur spielen.” Jetzt hat er schon 1,5 Punkte.
Und dann wurde einer vermisst, vor allem von vielen Schülern, die gekommen waren – um den berühmten Schachmann aus dem Internet zu sehen. Aber, so viel hat der Nachwuchs heute gelernt: Mit Internetstars und ihrem Zurechtfinden in der realen Welt ist das ja oftmals so eine Sache. Im wahren Leben gibt es zum Beispiel Termine in Präsenz, die man nicht verpassen sollte. Vor allem nicht, wenn man zugesagt und behauptet hat, man freue sich. Man könnte auch fragen, und solche Fragen verstehen die Amis ja nicht erst seit Donald Trump durchaus am besten: Hatten wir nicht einen Deal, Mister? IM Levy Rozman, alias Gotham Chess, sollte heute den ersten Zug vor der zweiten Runde machen, ließ aber am Vormittag lapidar per Mail mitteilen: “Leider sind wir erst verspätet aus Berlin losgekommen und werden deswegen nicht rechtzeitig um 14 Uhr zum first move in München sein.” Keine Entschuldigung, nix. Eine Stilfrage? Man kann nur mutmaßen: Vielleicht hat der New Yorker den deutschen Verkehr unterschätzt, oder das Berliner Bett war einfach zu kuschelig. Wie auch immer: Stev Bonhage, der Großmeister unter den Schachfotografen, sprang ein. Für ihn auch mal eine neue Rolle, die er sichtlich genoss.
Apropos Frühaufsteher: Hier tun sich die Frauen hervor. Nahezu komplett sitzen sie schon beim Frühstück beisammen, manche wie WGM Josefine Heinemann oder FM Lara Schulze war da schon spazieren. Kraft tanken für enge Partien. Top-Favoritin IM Dinara Wagner marschiert derzeit vorneweg. Heute besiegte sie WFM Tetyana Kostak und hat damit die Optimal-Punktzahl auf dem Konto. “Ich bin sehr zufrieden, ein guter Start”, sagte sie: “Aber es sind noch viele Runden.” Remis spielten Schulze und WGM Fiona Sieber. “Gestern war es ein glücklicher halber Punkt, heute hatte ich mal zwischendurch eine Chance auf Sieg – so gleicht sich alles aus.” Sieber schien auch zufrieden. Sie, die schon dreimal das German Masters gewonnen hat, auch im letzten Jahr, wirkt extrem motiviert: “Ich konnte bisher nie sagen, dass ich offizielle deutsche Meisterin bin. Dementsprechend hätte dieser Titel schon einen anderen Wert.” Zumal in diesem Feld, “alle top vorbereitet und sehr stark”, würde ihr das viel bedeuten. Remis auch zwischen zwei Nationalmannschaftskolleginnen. “War in Ordnung”, sagte Heinemann, ihre Kontrahentin WGM Jana Schneider sagte, es sei “sehr kompliziert und interessant” gewesen: “Wenn ich die Partie später durch die Engine analysieren lassen, werde ich mich vielleicht ärgern.” Ansonsten gelte: “Atmosphäre gut, Stimmung gut.” Klingt gut.
An einem Tag, als auch das Rahmenprogramm ein Highlight bot: Der Münchner GM Pawel Eljanow spielte gegen zwanzig Spielerinnen und Spieler – aus allen Altersklassen. Die jüngste war DSB-Talent Sofi Lytvynenko, gerade erst acht Jahre alt geworden. Ein herrlicher Anblick, wie so auf ihrem Stuhl zappelte, weil es ihr manchmal viel zu lange dauerte, bis der Großmeister wieder vorbeikam. Zwischendurch schaute sie auch mal beim stolzen Papa Andrii vorbei: “Sie macht jeden Tag etwas für Schach. Sie liebt es und will immer besser werden.” Am Ende war die Niederlage nebensächlich. Überhaupt gewann Eljanow 19 Partien. “Das hat richtig Spaß gemacht, Von Erwachsenen kann ich ja auch richtig viel lernen”, sagte Sofi. Auch das ist München 2025. Die Mischung stimmt. (mw)
Br. | Weiß | DWZ | - | Schwarz | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | GM Niclas Huschenbeth | 2625 | ½:½ | IM Leonardo Costa | 2550 |
2 | GM Dennis Wagner | 2632 | ½:½ | GM Martin Krämer | 2571 |
3 | GM Vincent Keymer | 2717 | 1:0 | GM Frederik Svane | 2678 |
4 | GM Matthias Blübaum | 2645 | 1:0 | IM Marco Dobrikov | 2366 |
5 | GM Rasmus Svane | 2634 | ½:½ | GM Alexander Donchenko | 2605 |
Pl. | Titel | Name | Elo | Pkt. | DV | SoBe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | GM | Matthias Blübaum | 2660 | 2,0 | 0 | 0,50 | * | 1 | 1 | |||||||
2 | GM | Vincent Keymer | 2720 | 2,0 | 0 | 0,00 | * | 1 | 1 | |||||||
3 | GM | Rasmus Svane | 2629 | 1,5 | 0 | 0,75 | * | ½ | 1 | |||||||
IM | Leonardo Costa | 2531 | 1,5 | 0 | 0,75 | * | 1 | ½ | ||||||||
5 | GM | Dennis Wagner | 2616 | 1,5 | 0 | 0,25 | * | ½ | 1 | |||||||
6 | GM | Alexander Donchenko | 2615 | 0,5 | 0 | 0,75 | 0 | ½ | * | |||||||
GM | Martin Kraemer | 2581 | 0,5 | 0 | 0,75 | 0 | ½ | * | ||||||||
GM | Niclas Huschenbeth | 2601 | 0,5 | 0 | 0,75 | 0 | ½ | * | ||||||||
9 | IM | Marco Dobrikov | 2404 | 0,0 | 0 | 0,00 | 0 | 0 | * | |||||||
GM | Frederik Svane | 2671 | 0,0 | 0 | 0,00 | 0 | 0 | * |
DV = Direkter Vergleich
Br. | Weiß | DWZ | - | Schwarz | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | WGM Fiona Sieber | 2277 | ½:½ | FM Lara Schulze | 2334 |
2 | FM Jana Schneider | 2313 | ½:½ | WGM Josefine Heinemann | 2311 |
3 | IM Dinara Wagner | 2394 | 1:0 | WFM Tetyana Kostak | 2106 |
4 | WFM Charis Peglau | 2154 | 0:1 | WGM Hanna Marie Klek | 2331 |
5 | WFM Lisa Sickmann | 2028 | 0:1 | WGM Kateryna Dolzhykova | 2342 |
Pl. | Titel | Name | Elo | Pkt. | DV | SoBe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | IM | Dinara Wagner | 2403 | 2,0 | 0 | 1,50 | * | 1 | 1 | |||||||
2 | WGM | Kateryna Dolzhykova | 2331 | 1,5 | 0 | 0,75 | * | ½ | 1 | |||||||
3 | WGM | Josefine Heinemann | 2321 | 1,0 | 1 | 1,00 | * | ½ | ½ | |||||||
FM | Lara Schulze | 2340 | 1,0 | 1 | 1,00 | ½ | * | ½ | ||||||||
5 | WGM | Jana Schneider | 2314 | 1,0 | 3 | 0,75 | ½ | * | ½ | |||||||
WGM | Fiona Sieber | 2232 | 1,0 | 3 | 0,75 | ½ | * | ½ | ||||||||
7 | WGM | Hanna Marie Klek | 2322 | 1,0 | 5 | 0,50 | 0 | * | 1 | |||||||
8 | WFM | Charis Peglau | 2138 | 0,5 | 0 | 0,75 | ½ | 0 | * | |||||||
9 | WFM | Lisa Sickmann | 1970 | 0,5 | 0 | 0,50 | 0 | ½ | * | |||||||
WFM | Tetyana Kostak | 2092 | 0,5 | 0 | 0,50 | 0 | ½ | * |
DV = Direkter Vergleich
Br. | Weiß | DWZ | - | Schwarz | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | GM Alexander Donchenko | 2605 | - | GM Niclas Huschenbeth | 2625 |
2 | IM Marco Dobrikov | 2366 | - | GM Rasmus Svane | 2634 |
3 | GM Frederik Svane | 2678 | - | GM Matthias Blübaum | 2645 |
4 | GM Martin Krämer | 2571 | - | GM Vincent Keymer | 2717 |
5 | IM Leonardo Costa | 2550 | - | GM Dennis Wagner | 2632 |
Br. | Weiß | DWZ | - | Schwarz | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | WGM Kateryna Dolzhykova | 2342 | - | WGM Fiona Sieber | 2277 |
2 | WGM Hanna Marie Klek | 2331 | - | WFM Lisa Sickmann | 2028 |
3 | WFM Tetyana Kostak | 2106 | - | WFM Charis Peglau | 2154 |
4 | WGM Josefine Heinemann | 2311 | - | IM Dinara Wagner | 2394 |
5 | FM Lara Schulze | 2334 | - | FM Jana Schneider | 2313 |
Zeitgleich mit der 3. Runde der beiden Meisterklassen starten die Kandidatenturniere mit ihrer 1. Runde.
Neunrundiges Blitzschachturnier
17. Mai 2025, 10-13 Uhr
Carl-Orff-Foyer
Mehr Informationen
Anmeldung (ChessManager)
Ergebnisse (ChessResults)
Bücherstand für den Erwerb von Schachmaterial, -büchern und -zeitschriften
17. - 24. Mai 2025
Internet-Problemlöseturnier der Problemschachvereinigung Schwalbe
Aufgabenlösungen sind einzusenden bis zum 24. Mai.
Stev Bonhage (* Aschersleben/DDR) ist einer der besten Schachfotografen der Welt. In München werden in der Capture-Ausstellung seine schönsten Fotos gezeigt.
15. - 24. Mai 2025
Offizielle Turnierseite | DEM: Meisterklasse / Kandidatenturnier | DFEM: Meisterklasse / Kandidatenturnier
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11588