19. November 2024
Ab 2025 wird es Olympische Spiele im eSport geben – das ist beschlossene Sache. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wollte sich schlichtweg dem Lauf der Zeit nicht mehr verschließen. Und natürlich geht es auch um viel Geld. Und das schlägt ja im Spitzensport häufig Moral. So hat sich Saudi-Arabien die jährlich geplanten Spiele gleich für die kommenden zwölf Jahre gesichert. Was bedeutet das alles für den Schachsport? So genau weiß das noch keiner. Welche Disziplinen für die ersten Olympischen eSport-Spiele ausgewählt werden, ist bisher nicht bekannt. Akzeptierte Ausprägungen von eSport seien für das IOC virtuelle Sportarten sowie Sportsimulationen und eSport-Titel, die "den olympischen Werten" entsprechen, hieß es in einer IOC-Mitteilung.
Die letzte Olympic eSports Week in Singapur 2023 umfasste Bogenschießen, Baseball, Radfahren, Tanzen, Motorsport, Segeln, Taekwondo, Tennis – und eben Schach. Weshalb das Thema längst beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) angekommen ist – mit einer Arbeitsgruppe, der die Sport-Fachverbände angehören. Der Deutsche Schachbund wird sich - nach einem Beschluss des Präsidiums - dem Thema in Zukunft mit dem neuen Beauftragten für eSports im DSB, Paul Meyer-Dunker, widmen. Mit dem Präsidenten des Berliner Schachverbandes und eSport-Experten sprach Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit.
Paul, mal ganz einfach gefragt: Was hat Schach mit eSport zu tun?
Nun, beides kann im digitalen Raum stattfinden. Man benötigt nicht unbedingt Präsenz. Somit landen wir automatisch mit im eSport-Topf – ob das nun allen gefällt oder nicht.
Viele werfen wiederum eSports und Onlineschach in einen Topf. Wie muss man hier differenzieren?
Ich würde eSport als eine spezielle Form des Onlinesports bezeichnen. Ich vergleiche es mal so: Wenn man einfach nur mit Freunden ein Spiel wie League of Legends daddelt, dann ist das Gaming. Zum eSport wird es, wenn es wettkampforientiert betrieben wird. Für Schach heißt das: Wenn einfach nur hobbymäßig auf Lichess gespielt wird, ist das Gaming bzw. bei uns eher Onlineschach. Aber die demnächst laufende erste Deutsche Online-Blitzmeisterschaft ist schon sowas wie eSports. So, wie zu Corona-Zeiten die Deutsche Schach-Online-Liga (DSOL) das im Prinzip auch war.
Wie stehen überhaupt die Chancen, dass Schach bei so einem globalen Event dabei sein könnte? Und welche Chancen würden sich wiederum daraus ergeben für unseren Sport?
Grundsätzlich war Schach Teil der Testläufe – das ist ein gutes Omen. Schach ist ein seriöser Titel – und darauf legt das IOC wert. Die Chance ist also da, die Tür ist offen. Ich würde sagen: So nahe war der Schachsport einem olympischen Wettbewerb noch nie.
Du spielst auf die Diskussion an, dass wir leider ein nicht-olympischer Sport sind…
…richtig, der Wunsch, olympisch zu werden ist ja so alt wie die FIDE, also rund 100 Jahre. Deshalb haben sich auch viele gefreut, dass Schach Teil der Olympic E-Sport Week 2023 in Singapur war, die über chess.com als Publishing-Partner lief. Es gab acht Spieler, die vor Ort an zwei Rechnern saßen. Das war absolut greifbarer Sport für die Zuschauer. Zuvor hatten sich diese Spieler online über Qualifikationsturniere nach Singapur gekämpft. Damals gab es einen Modus über Viertelfinale, Halbfinale und Finale. Wie Schach künftig aussehen könnte in einem Wettbewerb – all das ist ja auch noch völlig unklar.
Wie ist der aktuelle Stand, nachdem das IOC im Sommer die eSport Games beschlossen hat?
Im DOSB möchten wir als Deutscher Schachbund uns gerne in Zukunft zu diesem ersten Thema einbringen. Die ersten Termine, die im September stattfanden, sind leider am Schachbund vorbeigelaufen – das habe ich ja bei der Hauptausschuss-Sitzung in Rosenheim Ende Oktober kritisiert. Positiv fand ich dann, dass DSB-Vize Jürgen Klüners mich gleich angesprochen hat, ob ich mich einbringen würde. Das tue ich gerne, um das Thema voran zu bringen.
Man kann sagen: Du bist Fachmann auf dem Gebiet.
Ja, ich kenne mich aus in dem Bereich. Ich arbeite beruflich im Wettkampfteam einer europäischen eSport-Liga. Und ich bin auch Mitglied im 1. Berliner eSport-Club e.V. mit mehr als hundert Mitgliedern, vier Abteilungen, einem eigenen Vereinsheim, vielfältigen Trainingsangeboten. Übrigens gab es dort auch eine Schachgruppe mit etwa 15 Leuten, aber das zarte Pflänzchen wurde quasi wieder zertreten, bevor es wachsen konnte.
Du spielst auf das Thema Gemeinnützigkeit von eSport an…
Ja, weil die Gemeinnützigkeit fehlt, ist vieles nicht so leicht. So wurde die Gruppe letztlich vom Landes-Sportbund ausgebremst - und es gab auch keinen Zugang zur Schach-Online-Liga. Deshalb wäre es gut, wenn das Thema Gemeinnützigkeit endlich politisch geklärt wäre. Denn für normale Vereine ist es nicht so einfach wie zum Beispiel Hertha BSC, die ihre eSportler in den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgliedern konnten.
Viele Vereinsfunktionäre haben deshalb Angst, eSport zu integrieren.
Die ist unbegründet. Vorneweg: Die Publisher im eSport werden niemals gemeinnützig – es bleibt ein Geschäft, das sie betreiben. Das hat nichts mit den Vereinen zu tun. Und nun zum sportlichen Part: Schach wird ja im gemeinnützigkeitsrechtlichen Sinne als Sport behandelt. Im Fachjargon: Schach genießt eine sogenannte Sportfiktion. Die Ampelkoalition hatte eigentlich bereits auf den Weg gebracht, dass das mit eSport genauso läuft – als eigener Punkt anstatt der Sportfiktion. Dann fehlte das Thema plötzlich im Jahressteuergesetz, es gab aber einen Änderungsantrag der Ampelfraktion, es dort wieder einzufügen. Mal sehen, was bei der derzeitig ungewissen politischen Wetterlage nun daraus wird, es stockt ja auch dieses Thema. Aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit, bis eSport gemeinnützig wird.
Nun wurde für die Weltspiele aufgerechnet Saudi-Arabien auserkoren. Wie muss man das vor dem Hintergrund Sportswashing in solchen Ländern sehen? In Saudi-Arabien gibt es bekanntlich massive Verstößen gegen die Menschenrechte, die auch mit harmlosen Sportveranstaltungen kaschiert werden sollen.
Ja, ausgerechnet Saudi-Arabien – das tut mir auch weh. Gleich für zwölf Jahre – das ist eine Ansage. Das ist nicht schön. Aber wie so oft, wenn solche Länder sich Sportveranstaltungen holen, um ihre Image aufzupolieren, geht es ums Geld, das sie haben – und andere nicht. Man muss ehrlich sein: Der eSport ist in einer schwierigen Lage. Es ist viel in diesem Sport schiefgelaufen, finanziell überhitzt – auch die Spielergehälter. Der eSport hat große wirtschaftliche Probleme – die Saudis sind nun Teil der Lösung. Das zu kritisieren ist legitim, aber der Schachsport muss mit der Lage, wie sie jetzt nun einmal ist, umgehen. Im Interesse des eigenen Sportes und der eigenen Spitzenspielerinnen und Spitzenspieler, die die Chance haben, erstmals um olympische Medaillen zu spielen.
Wie siehst Du den Vorwurf, dem IOC gehe es mal wieder nur ums Geld?
Dass das IOC sehr genau auf den finanziellen Wert seiner Aktivitäten achtet, ist inzwischen sonnenklar. Olympische Spiele sind durchkommerzialisiert. Und natürlich wollte das IOC in erster Linie hier keine Einnahmequelle verpassen. Also machen sie es, bevor es andere machen. Das kann man bedauern, ist aber leider die Realität, mit der wir aktuell arbeiten müssen. Aber, wie gesagt: Für Sportarten wie Schach ist es eine Chance, endlich mal im olympischen Kontext zu erscheinen. Davon haben doch viele geträumt.
Was könnte das für den Deutschen Schachbund bedeuten?
Ich höre immer die Klagen von Sportdirektor Kevin Högy, wie viel weniger Fördermittel nichtolympische Sportart im Gegensatz zu olympischen Sportarten bekommen. Wie hart es für uns ist, dass wir weder Teil von Olympia noch der World Games sind. Wer weiß, vielleicht kommen wir nun auf dem Weg eSport an eine Quelle, die unserem Sport nicht nur raus hilft aus der Nische – sondern auch Athleten und dem Verband finanzielle Vorteile eröffnet. Aber, wie gesagt: Das ist alles noch längst nicht klar. Wir sollten nur sehen, dass der Zug nicht ohne uns losfährt – sondern dass wir aufspringen. Und das tun wir jetzt.
Es ist viel bekannt über die Bedeutung von eSport bei jungen Menschen. Im Fußball haben auch einige Vereine diese Chance erkannt: Erst wird draußen gekickt, dann drinnen im Klubhaus Fifa gezockt…
…seien wir ehrlich, wir müssen das Thema nicht größer reden als es ist: Für die meisten klassischen Schachvereine ist eSport bestimmt nicht relevant. Aber für einige schon. Da kann man vielleicht Synergien nutzen. Und ja, junge Leute kann das anziehen. Vielleicht ist es für den ein oder anderen Jugendlichen ein wunderbarer Zugang in den Schachverein
Manche wiederum wittern eine neue Konkurrenz…
…das ist Unsinn. eSport ist eine weitere Sport-Komponente, mehr nicht. Früher hatten viele Sportvereine auch Angst, dass die Fitnessstudios sie kaputtmachen würden. Und kam es so? Nein, es gibt Bedarf für beides. Das Thema eSport ist in der Welt – warum sich verschließen?
Was muss der DSB im Bereich eSports tun? Organisatorisch, infrastrukturell?
Vor allem erst einmal aufmerksam die Entwicklungen verfolgen und dort mitmachen, wo sich Chancen auftun - wie mit den Olympic eSport Games 2025 und darüber hinaus. Sich neuen Wettbewerben nicht verschließen. Und das gegebenenfalls auch als Chance nutzen, Menschen für Wettkampfschach einzubinden, die wir mit unseren klassischen Offline-Wettbewerben eben noch nicht erreichen. Ich glaube bis heute, dass wir da insbesondere bei der DSOL einiges an Chancen verpasst haben, gerade weil der Wettbewerb so gut lief, wir es aber trotzdem nicht als Chance genutzt haben, uns auch nicht-organisierten Schachspielerinnen und Schachspielern zu öffnen.
Zumal es da einen Trend gibt...
...wenn wir genau hinschauen, nehmen die Aktivitäten vieler Spieler im Onlinebereich ohnehin immer mehr zu. Erfolgreiche Vereine sind auch immer digitaler aufgestellt. Der Bereich wächst fast automatisch. Ein Beispiel auf höchster Ebene: Viele deutsche Spitzenspieler sind wöchentlich beim „Titled Tuesday“ auf chess.com dabei.
Vincent Keymer und Co. im eSport?
Klar, warum nicht? Bei einem Kader für die Olympic eSport Games gäbe es viele Überschneidungen mit dem normalen DSB-Kader. Wir müssen nur unsere besten Leute motivieren. Aber, wie gesagt: So lange nichts über das geplante Format bekannt ist, lässt sich da nur spekulieren. Wichtig für uns als Schachbund ist aber, dass wir ab jetzt nah dran sind und alle Entwicklungen mitbekommen. Dafür bin ich da.
(mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36205