19. November 2015
Über den ersten Tag des Symposiums zum DDR-Schach berichteten wir am 27. Oktober. Heute folgt der zweite und letzte Teil des Berichtes vom Tag zwei im Stadtmuseum Dresden mit bekannten Gästen und neuen Gesichtern.
Auf dem Programm standen zwei Podiumsdiskussionen mit wechselnden Gesprächspartnern und dazwischen ein Vortrag des Vizepräsidenten des Schachverbandes Sachsen, Hans Bodach.
"Willkommen im Land der Frühaufsteher" kann man an den Autobahnen lesen, wenn man in das Bundesland Sachsen-Anhalt einfährt. Auch das Nachbarland, der Freistaat Sachsen, möchte ein wenig mit dazugehören. Vielleicht wurde deshalb der zweite Teil des Symposiums auf früh 9 Uhr gelegt. Das wirkte sich aber nicht auf das Interesse der Besucher der gemeinsamen Veranstaltung von Sächsischer Landeszentrale für politische Bildung, Ran ans Brett e.V. und der Emanuel Lasker Gesellschaft aus. Da fiel dann nur die Nacht zum Sonnabend etwas kürzer aus, das Frühstück wurde hastig verschlungen oder gleich ganz weggelassen und beim Abgang aus Hotel oder Wohnung noch schnell am Kaffee genippt. Auf keinen Fall auch nur eine Minute der hochinteressanten Präsentation von Hans Bodach oder von den Gesprächen mit den Prominenten auf der Bühne verpassen!
Im Gegensatz zum Raum in der Landeszentrale am Freitagabend, wurde der wesentlich größere Saal im Stadtmuseum natürlich nicht so voll. Es kamen trotz der frühen Stunde aber wieder rund dreißig Gäste, von denen gleich fünf vorn Platz nahmen: die Präsidentin des Thüringer Schachbundes Diana Skibbe, Schachlegende Wolfgang Uhlmann, Geburtstagskind Brigitte Burchardt, Großmeister Thomas Luther und Moderator Paul Werner Wagner. Thema der ersten Prodiumsdiskussion war "SED-Sportpolitik diskriminiert DDR-Schach ab 1973", wofür ursprünglich statt Skibbe und Luther Fernschach-Exweltmeister Dr. Fritz Baumbach und der ehemalige DSV-Trainer Heinz Rätsch eingeladen waren. Der inzwischen 80-jährige Rätsch wäre neben Burchardt und Uhlmann ein sehr kompetenter Gesprächspartner gewesen. Diesem Anspruch konnten der 45-jährige Luther und die 54-jährige Landesverbandspräsidentin allein wegen ihres damals jugendlichen Alters natürlich nicht gerecht werden. Dafür wußte die an diesem Tag 61 Jahre alt gewordene Berlinerin und vielfache DDR-Meisterin Brigitte Burchardt viel mehr zum Thema zu sagen, da sie direkt betroffen war. Bevor sie aus ihrer Karriere berichten durfte, überreichte Wagner ihr ein ganz persönliches Geschenk. Mit den Worten "Blumen sind schön, aber vergänglich" wechselte ein Exemplar von "Konrad Wolf - Aber ich sah ja selbst, das war der Krieg: Kriegstagebuch und Briefe 1942 - 1945" den Besitzer bzw. die Besitzerin. Wagner ist Herausgeber dieser von Wolf verfaßten Schriften.
Nachfolgend finden Sie alle Tonmitschnitte (extrahiert aus dem Videomaterial) dieser Diskussionsrunde.
Ein Bonmot von Diana Skibbe ist in diesen Aufzeichnungen wahrscheinlich nicht enthalten. Ich hatte mir aber eine handschriftliche Notiz gemacht: "Gott sei Dank mußt Du damit nicht Dein Geld verdienen", dachte sich Skibbe zum Beispiel nach einer schlechten Partie.
Fast pünktlich wie im Zeitplan präsentierte der sächsische Vizepräsident Hans Bodach seinen Vortrag, den er wochenlang vorbereitet hatte und mit einer Präsentation und einem Video per Beamer begleitete. Einer der spannendsten Momente darin war der Mauerfall im November 1989 und die sich danach ergebenden Ereignisse im Deutschen Schachverband der DDR (DSV). Bodach: "Am 23. November trafen sich wie jedes Jahr die Trainer und Generalsekretäre der nichtolympischen und nicht geförderten olympischen Sportverbände des DTSB der DDR zu einer Tagung, darunter der Schachverband. Der Mauerfall war bereits 14 Tage Geschichte und die Wellen auf der Tagung der sogenannten Abteilung II des DTSB der DDR schlugen hoch. Dem zuständigen DTSB-Vizepräsidenten wurde das Vertrauen entzogen und drei Trainer als Sprecher gewählt, die sich 'Gruppe der 3' nannten." Bodach wurde als deren 1. Sprecher bestimmt. Er sollte am 29./30. November 1989 die Ergebnisse der Tagung bei der Bundesvorstandssitzung des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) vortragen. Zwei Tage vor dem Termin kam ein Telegramm vom DTSB-Vizepräsidenten Siegfried Geilsdorf mit einer Quasi-Ausladung.
Von diesem Telegramm ließ sich die Gruppe nicht abschrecken. Vom unangekündigten Besuch der auf zwei Personen dezimierten "Gruppe der 3" in Kienbaum berichtete am Abend des 30. November 1989 auch die zentrale Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens "Aktuelle Kamera". Allerdings kam der Auftritt von Hans Bodach vor den TV-Mikrofonen eher ungeplant, weil das Fernsehen eigentlich nur von der DTSB-Sitzung berichten wollte. Das Erscheinen der Abordnung der nichtolympischen Verbände sorgte aber für soviel Wirbel, daß das Fernsehen die Kameras nochmal auspackte und wieder zu filmen begann.
Bodach zeigte während seines Vortrages das rund zweieinhalb Minuten lange Video von dem Fernsehbeitrag, welches er vom Filmarchiv Babelsberg zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Auch den Teilnehmern des außerordentlichen Bundeskongresses am 7. November 2015 in Leipzig wurde der Ausschnitt aus der "Aktuellen Kamera" vorgeführt.
Im Anschluß an den Vortrag von Hans Bodach wurde eine Pause eingelegt und die Teilnehmer begaben sich für eine Tasse Kaffee eine Etage höher, wo Dresdner Kinder einen Wettkampf miteinander austrugen. Hier war auch das MDR-Fernsehen anwesend, welches später Ausschnitte von den Aufzeichnungen für einen Bericht über den U16-Weltmeister Roven Vogel verwendete (MDR-Mediathek).
Nach der Pause versammelten sich auf dem Podium einige andere Gäste neben Paul Werner Wagner. Horst Metzing, ehemaliger Geschäftsführer des DSB, der Ehrenpräsident des Sächsischen Schachverbandes Dr. Gerhard Schmidt, Jörg Schulz, seit 25 Jahren Geschäftsführer der Deutschen Schachjugend, und DSB-Präsident Herbert Bastian waren jetzt seine Gesprächspartner. Bastian war dabei für Hans Bodach auf das Podium gerutscht.
Gerhard Schmidt erzählte über seine Zeit im BFA Dresden und das Schach in der DDR. In den 1970er Jahren war er Mitglied der Technischen Kommission des DSV der DDR. Bei Jörg Schulz ging es um den Wettkampf zwischen Hamburg und Dresden im Jahr 1988 in Hamburg und die Entwicklung des Nachwuchsschachs im vereinten Deutschland. Horst Metzing berichtete über die sportlichen Kontakte zwischen DSB und DSV vor dem Mauerfall. Vom DSB gab es damals wenig bis gar keine Initiativen der Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Schachfreunden. Und vom Osten her waren die Möglichkeiten ohnehin sehr beschränkt, da Kontakte von der Sportführung des DTSB nicht erwünscht oder behindert wurden.
Ein Teil der Gespräche ist auch hier der Nachwelt erhalten geblieben, wobei die Audiomitschnitte von mir wieder aus den Videos extrahiert wurden.
25 Jahre Schachverband Sachsen
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 20400