24. Juni 2025
Bei Titelkämpfen der Deutschen Schach-Jugend und des Deutschen Schachbundes ist es zuletzt zu Diskussionen um die Teilnahme von Transfrauen gekommen. Teilweise gab es in sozialen Netzwerken Kommentare, die unsachlich – mehrfach sogar diskriminierend waren. Ingrid Lauterbach, Präsidentin des Deutschen Schachbundes, sagte dazu: „Das hat eine Dimension angenommen, die wir so nicht tolerieren können. Wir sind ein inklusiver Sport - und wollen das auch sein. Dazu gibt es bestimmte Regularien wie die Rahmenrichtlinien des IOC, an die wir uns voller Überzeugung halten.“ Sportdirektor Kevin Högy: „Der Schachsport in Deutschland ist bunt und inklusiv. Schon seit vielen Jahren nehmen Transfrauen immer wieder an Frauenmeisterschaften des DSB teil - und das ist auch gut so, um einen ehemaligen Berliner Bürgermeister zu zitieren. So wurde bereits 2003 eine Transfrau Deutsche Meisterin - vollkommen zu Recht. Die aktuelle Diskussion ist auch deshalb für uns schwer nachvollziehbar.“
Zur aktuellen Vorgeschichte: Eine Transfrau hatte an den Deutschen Jugend-Einzelmeisterschaften teilgenommen – mit einem Freiplatz, den ihr
die DSJ gewährt hatte. Zu den objektiven Kriterien der Freiplatzvergabe an Spieler und Spielerinnen hat die DSJ einen erläuternden Beitrag veröffentlicht, in dem es im Kern heißt: „Die Anpassung des Geschlechtes spielte bei der Vergabe der Freiplätze keine Rolle.“ Die komplette Erklärung der DSJ:
https://www.deutsche-schachjugend.de/news/2025/dem-2025-u18w-freiplatzvergabe/
Die Teilnahme der minderjährigen Transfrau sorgte in Willingen bei Einigen für Irritationen, teilweise auch für Kritik. Auch am Rande der Deutschen Frauen-Mannschaftsmeisterschaften der Landesverbände in Braunfels beschäftigte sich eine Gruppe von Vertretern der Landesverbände mit dem Thema. Der Hauptvorwurf an die DSJ in dieser Sitzung: Die kurzfristige Zulassung der Spielerin, unterjährig, in diesem Fall fünf Wochen vor dem Turnier, sei für die anderen Teilnehmerinnen schwierig gewesen – auch emotional. Dass es nach den Turnierordnungen keinerlei Grund für einen Ausschluss geben konnte, und auch noch nie gab – offensichtlich kein Thema in Braunfels. Bei den Deutschen Frauen-Mannschaftsmeisterschaften der Landesverbände war es auch zu Diskussionen gekommen. Drei Transfrauen hatten für verschiedene Teams gespielt – darunter eine, die erst im April ihr Geschlecht neu bestimmt hatte.
„Wir müssen hier über eine Sperrfrist sprechen, wann eine Transfrau nach der Selbstbestimmung im Frauenschachsport spielberechtig ist“, sagt Nadja Jussupow, DSB-Referentin für Frauenschach. Sie selbst plädiere für mindestens ein Jahr, andere Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Sitzung hätten für zwei bis drei Jahre votiert. Die anwesenden Vertreter forderten vom DSB einstimmig, einen wissenschaftlichen Befund erstellen zu lassen – um eine entsprechende Sperrfrist festzulegen. Diese müsse in der Turnierordnung verankert werden.
Der Vizepräsident Leistungs- und Breitensport in NRW, Andreas Jagodzinsky, betonte sogar, er halte eine „Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister nicht für ausreichend. Es muss eine wissenschaftliche Analyse erfolgen, die darüber aufklärt, welche Unterschiede es zwischen Männern und Frauen im Schachsport gibt“. Für Kevin Högy ist das „nicht mehr als eine Gespensterdebatte“. Er sagt: „In einem Sport, der nahezu keine physischen Barrieren kennt wie Schach, fällt es in meinen Augen schwer, Transfrauen einen körperlich bedingten, sportlichen Vorteil zuzuschreiben: Es wird nicht höher gesprungen, weiter geworfen oder schneller gelaufen. Im Schach wird gedacht und gegrübelt“, so der Sportdirektor: „Ich kann nur hoffen, dass es Konsens ist, dass Männer nicht besser, erfolgreicher denken als Frauen. Und wenn dem so ist, dann würde ein Verbot der Teilnahme von Transfrauen an Frauenturnieren nicht etwa zu mehr Gerechtigkeit oder einer wie auch immer gearteten Fairness führen, sondern schlicht eines sein: Diskriminierung.“
Zu den geäußerten Bestrebungen hat der DSB eine klare Haltung. Die Vorschläge decken sich nicht mit gültigen Regularien – und passen auch insgesamt nicht zum Schachsport, bei dem Männer und Frauen gleichberechtigt starten dürfen. Zurecht ist der Schachsport stolz darauf, eine der inklusivsten Sportarten zu sein. Ein Ausschluss, und sei es nur auf Zeit, wie es die mit ehrenamtlichen Mitgliedern besetzte Gruppe fordert, sei deshalb kein Thema. „Transfrauen dürfen natürlich weiter mitspielen“, so Lauterbach: "Es gibt keine anerkannten wissenschaftlichen Studien, die ein anderes Vorgehen erlauben würden, da sind die Rahmenrichtlinien des IOC völlig klar.“ DOSB und IOC haben jedoch angekündigt die Situation bei weiteren Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft immer wieder neu zu bewerten. Der DSB würde sich als DOSB-Mitgliedsverband diesen Bewertungen selbstverständlich anschließen. Die DSB-Präsidentin weiter: „Grundsätzlich muss ich fragen: Was soll die Diskussion? Wir wollen doch alle Vielfalt im Schachsport“.
Außerdem ist die deutsche Gesetzeslage klar: Seit 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetzt in Kraft. Das ermöglicht eine einfache Erklärung beim Standesamt - ohne das medizinische Gutachten oder gerichtliche Entscheidungen erforderlich sind. Kevin Högy: „Ich möchte daran erinnern, dass bereits im Juni 2023 Befürchtungen im Rahmen der Beratungen über das Selbstbestimmungsgesetz aufkamen, dass fortan nun reihenweise männliche IMs und GMs ihren Geschlechtseintrag auf 'weiblich' ändern und unsere Frauen aus der Nationalmannschaft vertreiben würden. Das Selbstbestimmungsgesetz kam - und kein einziger deutscher IM oder GM wechselte sein Geschlecht.“
Das Gleichstellungsgesetz gilt natürlich auch für Sportverbände. „Und wir leben das voller Überzeugung als DSB auch“, so Lauterbach. Der Deutsche Hockey-Bund hat die inklusive Regelung bereits für den Breiten und Spitzensport aufgenommen, der DFB für den Amateurfußball. „Man sieht daran, andere Verbände sind zurzeit schon weiter als wir“, so Lauterbach, „das wollen wir ändern und unsere Ordnungen dahingehend ergänzen.“
Deshalb werde das Präsidium zum nächsten Hauptausschuss am 4. Oktober eine Präzisierung der Turnierordnung vorbereiten. „Wahrscheinlich müssen wir aus den Diskussionen am Wochenende in Braunfels lernen und dies noch besser vorbereiten, damit alle verstehen, dass wir als DSB uns nicht an Diskriminierung beteiligen dürfen", so Lauterbach. Högy sagt, er wolle dafür werben, die Diskussionen zu diesem Thema „nicht aus Angst heraus zu führen, sondern mit dem gebotenen Respekt vor Personen, die einfach nur als das wahrgenommen und behandelt werden möchten, was und wer sie sind.“ (mw)
Darüber hinaus hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zum Umgang mit trans- und intergeschlechtlichen Menschen im Sport Folgendes geschrieben: https://www.bundestag.de/resource/blob/855868/44447e797211ecbcce3109ae10600620/WD-10-029-21-pdf-data.pdf
Die Sportministerkonferenz hat in Bremen 2020 noch die sogenannte Bremer Erklärung abgegeben, einsehbar in der Google-Suche.
Der Blick in andere Sportarten:
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36705