12. November 2024
Die Regeln sind einfach: Drei Minuten Schach, Tisch weg, Boxhandschuhe an. Dann drei Minuten Faustkampf – und wieder Wechsel zum Schach. Maximal elf Runden. Schachboxen wird immer populärer, wie Denno Probst vom Team „Chessboxing Cologne“ im Gespräch mit Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit zu berichten weiß. Der Trainer und Leiter des Kölner Teams ist 38 Jahre alt, Vollblut-Sportler (auch Marathonläufer), dem es aber vor allem die Mischung auf Boxen und Schach angetan hat.
Herr Probst, wir haben uns gewundert: Kürzlich fanden die Weltmeisterschaften im Schachboxen in Armenien statt – und keiner der erfolgreichen Kölner Athleten war dabei. Wie kam es dazu?
Naja, wir haben uns früh entschieden, diesmal nicht mitzumachen. Der Veranstalter hat das auch sehr bedauert, er war auf Revanche aus. Schließlich haben wir bei der WM im letzten Jahr sechs Goldmedaillen eingeheimst – da hatten die mit uns noch eine Rechnung offen (lacht).
Der Veranstalter der WCBO-Weltmeisterschaft: die Russische Schachboxorganisation. Der Deutsche Schachbund hat sich kürzlich klar positioniert und rund um die Abstimmung bei der FIDE-Hauptversammlung mit dafür gesorgt, dass russische Spielerinnen und Spieler nicht mit ihrer Fahne und Hymne an die internationalen Bretter zurückkehren dürfen. Beim Schachboxen sieht das allerdings anders aus – da sind die Russen voll akzeptiert. Warum?
Ich habe Verständnis für alle, die aus politischen Gründen nicht gegen Russland antreten wollen. Wir Schachboxer aber wollen ganz bewusst unpolitisch sein.
Verstehen Sie, wenn das mancher kritisch sieht? Schließlich gibt es die Charta des IOC. Hinzu kommt: Jede Veranstaltung, bei der andere Nationen der Einladung der Russen folgen, hat auch was von Sportswashing…
… die Haltung kann ich nachvollziehen. Da mag auch was dran sein. Aber die Schachboxszene ist aktuell noch eine relativ überschaubare Szene. Jeder kennt jeden. Und es gibt da keinen, der das, was in der Ukraine passiert gutheißt. Wir verurteilen den Krieg. Aber für uns ist es wichtig, offen zu bleiben für Kommunikation und den kulturellen Austausch – das geht nicht, wenn man die Türen schließt für Athletinnen und Athleten, die ihren Sport lieben und über Ländergrenzen hinweg Freundschaften pflegen. Nochmal: Wir sind ein relativ kleiner Kreis, der sich ganz klar dagegen entschieden hat, Freunde auszuschließen, nur weil sie Russen sind.
Trotzdem waren sie als „Chessboxing Cologne“ in Armenien nicht dabei, um gemeinsam mit anderen Deutschen – vor allem aus Berlin - ein stärkeres Team zu bilden.
Ja, und da bin ich auch ganz offen: Ich wollte unseren Athleten einiges von dem ersparen, was die Berliner erlebt haben. Es war vorherzusehen, was da passiert. Ich schätze die russische Liga für ihre Organisation. Die ist perfekt, vorbildlich, das sind nette Leute. Die haben 2000 aktive Schachboxer, viele Standorte im ganzen Land. Aber es zeichnete sich vorher ab, dass der Veranstalter, bei aller Freundlichkeit, möglicherweise in seinem Ehrgeiz – obwohl er das gar nicht nötig hätte, die russischen Kämpfer sind top – übers Ziel hinausschießen wird.
Es gab in der Tat einiges, was skandalös wirkte: Zum Beispiel der Kampf der Berlinerin Alina Rath. Sie wurde im Finale gegen Alina Akhmadulina aus Russland zur Verliererin erklärt – wegen Nasenbluten, bereits in der ersten Runde. Dadurch hat sie ihren Titel verloren.
Ja, das tut mir leid für Alina. Ich habe aber geahnt, dass sowas passieren würde.
Gleichzeitig durfte ein russischer Kämpfer gegen den Berliner Max Teschke antreten, obwohl er schon mit zugeschwollenem Auge ins Finale ging. Und dann wurde auch da unter merkwürdigen Umständen zu Ungunsten des Deutschen abgebrochen.
Das meine ich. Es gab zu viele fragwürdige Ergebnisse, merkwürdige Schiedsrichter-Entscheidungen, doppelte russische Besetzungen in den Gewichtsklassen, da wurden Gegner noch kurzfristig ausgetauscht und, und, und. Man kann da schlecht was beweisen, vieles bleibt Spekulation – aber uns war vorher klar, dass es schwer werden würde, Siege zu planen. Nochmal: Das hat die russische Liga eigentlich gar nicht nötig. Sie hätten auch so wieder viele Medaillen geholt. Ich weiß nicht, welche Kräfte da im Hintergrund gewirkt haben – aber es war gut, dass wir nicht da waren. Beim nächsten Jahr, in Frankreich, sind wir wieder am Start. Dann unter anderen Umständen.
Wie ist denn die Entwicklung der deutschen Schachbox-Szene? Sie hatten in diesem Sommer in Dortmund die UCL-Fight Night, die auf dem Kanal von The Big Greek gestreamt wurde. Die hat sehr viel Aufmerksamkeit erregt.
Ja, das war auch ein Grund, warum wir die WM ausgelassen haben. Wir wollten uns in diesem Jahr auf den deutschen Markt konzentrieren. Hier passiert einiges. Das sind längst nicht mehr nur wir mit unseren rund 50 Leuten in Köln, und die Berliner – da passiert bundesweit sehr viel im Schachboxen. Der Sport ist im Aufbau, erregt Interesse. Im Vorfeld der UCL Fight Night hatten wir Berichte bei RTL, WDR, ZDF, Magenta-TV – jede Menge Promo, die gut war für unseren Sport.
Wie zahlt sich das aus?
Wir sind jetzt mittlerweile rund 250 Aktive in Deutschland – es gewinnt alles an Struktur im Schachboxen. Wir sind ja in Köln auch erst seit 2022 dabei, davor war das nur ein Berliner Ding. Jetzt gibt es mittlerweile Schachboxer in ganz Nordrhein-Westfalen, im Raum Dortmund und Gütersloh vor allem - und in anderen Bundesländern, besonders in Bayern und Baden-Württemberg.
Versuchen Sie uns mal den Reiz des Schachboxens zu erklären.
Schach und Boxen haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick glauben möchte: Es ist der Kampf eins gegen eins - der Zweikampf als ultimative Herausforderung. Körper und Geist werden bei beiden Sportarten gleichermaßen gefordert. Es geht um Strategie – und man bewegt sich am Limit.
Was wir uns schwer vorstellen: Beim Schachspiel brauchst Du den Kopf – genau das Körperteil, auf das man beim Boxen zielt…
Ja, wenn Du beim Boxen einen richtigen Knaller kassierst, dann hast Du einen Tunnelblick. Du siehst das Brett gar nicht mehr richtig. Du kannst mit einem Schlag einen richtigen Elo-Verlust erleiden. Aber Du musst das irgendwie kompensieren. Und das ist die Herausforderung, die wir lieben.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36192