9. April 2025
Schach als Schulfach. Jetzt gibt es dazu eine Online-Petition. Was genau ist das? Kurzum: Erreicht eine Petition innerhalb der Mitzeichnungsfrist das Quorum von 30.000 Unterstützungen, so wird die Petentin oder der Petent im Bundestag, in öffentlicher Ausschusssitzung, angehört. Darauf setzt nun der Initiator Ralf Schreiber von der pädagogischen Initiative „Schach für Kids“ und bittet alle Schachfreundinnen und -freunde, die Petition zu unterschreiben. Das ist digital hier möglich. Mit Spannung verfolgt wird dieser Vorgang auch von GM Robert Rabiega. Denn Schach als Schulfach – das praktiziert er bereits seit 15 Jahren. Er unterrichtet in der fünften und sechsten Klasse des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums, an 13 Stunden in der Woche. „Ich finde diese Petition gut“, sagt der 54-Jährige im Gespräch mit dem DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit, „Schach kann für Schülerinnen und Schüler wie Medizin sein bei einigen Problemen.“ In erster Linie stehe Schach für mehr Konzentration, Durchhaltevermögen und Entscheidungsfreudigkeit. Daran, sagen ja viele, mangle es oftmals bei der Generation TikTok.
Die Forderung in der Petition lautet: Schach solle als Bildungsmaßnahme an deutschen Schulen verankert werden – als Wahlpflichtfach, Unterrichtsmodul oder verpflichtende AG. Die Petition richtet sich an die Kultusministerkonferenz, die Länderbildungsministerien und den Bundestag. Mit der Begründung: Schach fördere Kompetenzen, die im Bildungskontext heute dringender denn je gefragt sind. Neben Problemlösefähigkeit auch Sozialverhalten und mentale Stärke. Gerade im schulischen Kontext wirke Schach integrativ und bildungsfördernd – unabhängig von Herkunft oder Bildungsstatus. Die Petition sei nun eine echte Chance, betont Schreiber und mahnt gleichzeitig: „Wenn die Schach-Familie in einer solchen Angelegenheit nicht geschlossen dahintersteht, dann wird es auch politisch keine Unterstützung geben - und das wird uns die nächsten Jahre auf die Füße fallen.“
Ganz neu ist die Idee nicht. Es gibt sogar bereits entsprechende Pilotprojekte. In Bremen gehört Schach zum Unterricht an den Grundschulen. In der Hansestadt wird aktuell in über 200 Schulklassen Schach unterrichtet, im regulären Unterricht einmal pro Woche. Es lernen in diesem Schuljahr über 5.300 Grundschüler Schach. Da die Mädchenquote bei diesem Projekt rund 50 Prozent beträgt, dürfte es nicht nur das größte Schulschachprojekt in Deutschland sein, sondern auch das größte Mädchen-Schachprojekt, denn es werden über 2.600 Mädchen erreicht.
Und dann ist da der Mann aus der Praxis in Berlin: Robert Rabiega, der Großmeister am Gymnasium im Prenzlauer Berg. Die einzige Berliner Schule (mindestens eine zweite denkt aktuell darüber nach), an der Schach reguläres Unterrichtsfach ist. Wöchentlich 80 Minuten in jeder fünften und sechsten Klasse. Rabiega kann vieles von dem, was in der Petition angeführt wird, unterstreichen. Er plädiere nicht dafür, gleich zehn Jahre lang Schach zu unterrichten - aber zwei bis drei Jahre seien auf jeden Fall sinnvoll. „Da ist dann ein Effekt schon deutlich sichtbar“, sagt er: „Schach ist logisches Denken, Konzentration, Gedächtnistraining – das ist auch für die Schule wichtig.“ Sehr prägnant sei zudem das Thema Entscheidungsfindung. Damit täten sich viele Kinder heutzutage schwer, hat er beobachtet. „Es gibt da eine Handbewegung, die habe ich schon tausend Mal gesehen“, erzählt er, „das Kind setzt an, um einen Zug zu machen, zieht zurück, weil es Angst hat, einen Fehler zu machen – und so ist es auch in anderen Lebensbereichen. Daran arbeiten wir. Schach ist eine Schule fürs Leben, vor allem beim Spiel mit der Uhr und aufkommendem Zeitdruck.“
Beobachter seines Unterrichts, den er mit bis zu 30 Kindern im Zweierteam mit IM Julian Urban und Bundesliga-Spielerin Helen Raab gestaltet, staunen immer wieder, wie ruhig und konzentriert es bei ihm im Schach-Unterricht zugeht. „Mancher Besucher von anderen Schulen hat schon gesagt: Bei uns kann kaum noch ein Schüler so lange ruhig sitzen – und Ihr schafft das so einfach.“ In seinem Unterricht gelänge es zudem noch, Mädchen und Jungs in einem Alter, wo sie meist nur noch gleichgeschlechtlich Spielpartner suchen, wieder zusammen zu führen. Das sei gut für das soziale Binnenklima. „Wir haben eine fantastische Atmosphäre“, schwärmt Rabiega. Zusatzangebote wie ein Abiturkurs Schach-Mathe (immer ganz schnell ausgebucht) runden das Programm ab. Dieser Kurs wird durch einen Mathematiklehrer geleitet, der eine Schach-Affinität hat und die Elemente aus der Mathematik und Schach verbindet. Über Schach kann man so sogar Punkte fürs Abi sammeln.
Es gibt auch eine reine Mädchen-Schach-AG am Käthe-Kollwitz-Gymnasium. 30 junge Damen am Brett. „Das boomt. Und da begeistert mich besonders, wie die Rookies“, also die Anfänger, „um jede Partie kämpfen. Da geht mir das Herz auf, wenn sie am Brett hin und weg sind.“ Bei so viel Enthusiasmus verwundert es nicht, dass das Kollwitz-Gymnasium schon mehrfach deutscher Schulmeister im Schach war – fast schon serienmäßig „wie Barcelona oder Real Madrid im Fußball“, sagt Rabiega mit einem Lächeln. Der Berliner Tagesspiegel hat das Thema kürzlich auch aufgegriffen und in der Reportage eine 14jährige Schülerin von Rabiega zitiert: „Durch Schach hat sich meine Konzentrationsfähigkeit enorm verbessert. Ich merke das in den Klassenarbeiten.“ Lehrer berichten, die Kinder seien dank Schach nun fokussierter und zielstrebiger.
Rabiega und seine Mitstreiter kämpfen seit langem dafür, Schach in Berlin flächendecken auf den Lehrplan zu hieven – oder zumindest an noch mehr Schulen als AG anzubieten. Rabiega hat an seinem Gymnasium eine hochmotivierte Schülerklientel – aber das Ganze funktioniere auch an Brennpunktschulen, sagt er. Auch in diesem Bereich hat er bereits Erfahrungen sammeln können. Und aktuell geht er ein Projekt mit einem sozialen Träger im Problembezirk Wedding an. „Auch bei Kindern, die bisher nicht mit Schach in Berührung gekommen sind, klappt es“, sagt er, „das Schachspiel fördert Disziplin, Selbstreflexion, innere Ruhe und vor allem strukturelles Denken.“ Kurzum: „Schach kann Probleme lösen. Schach ist eine Chance.“ Auch für Kinder aus schwierigem sozialem Umfeld. Die seien „wie ein Garten seien, den man nicht bewässert“, so Rabiega: „Sobald man aber wässert, wächst es ganz rasant. Leider gibt es an vielen Brennpunkt-Schulen keine Schach-AG – obwohl man gerade dort so viel bewegen könnte.“
Viele gute Gründe also, um die Petition zu unterzeichnen - und dann einfach nach der Unterschrift per Mail an weitere Interessenten zu verbreiten. Übrigens, schöner Nebeneffekt: Von den Schülern, die Rabiega unterrichtet, haben sich schon sehr viele in Berliner Schachvereinen angemeldet. (mw)
Zur Petition "Schach als Schulfach":
www.openpetition.de/gqxww
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36364