19. November 2011
Liebe Schachfreunde,
der Deutsche Schachbund hat mit dem Gewinn des Europameistertitels durch die A-Nationalmannschaft vor einer Woche seinen bisher größten Erfolg bei Mannschaftswettbewerben erzielt. Dieser Erfolg sollte uns alle erfreuen und zu neuen Anstrengungen anspornen, um dem auf vielen Ebenen zu beobachtenden Abwärtstrend entgegen zu treten.
Ich gebe allerdings in diesem Zusammenhang zu, dass wir auf einen solchen unerwarteten Erfolg noch gar nicht ausreichend vorbereitet sind und sein können. Uns fehlt es neben ausreichendem ehrenamtlichem Personal an professionellen Vermarktungsstrukturen. Diese müssen erst aufgebaut werden, doch klar ist ebenso, dass der aktuelle Erfolg dazu eine große Chance bietet. Das braucht aber verständlicherweise auch Zeit, die wir uns nehmen müssen, um langfristige Lösungen zu erreichen, die in die Zukunft weisen.
Nun muss ich jedoch ein äußerst unerfreuliches Thema ansprechen. Der EM-Titelgewinn der Nationalmannschaft war noch keinen Tag alt, da begannen erneut die öffentlichen Angriffe gegen einen hauptamtlichen Angestellten des Deutschen Schachbundes, trotz vertraglicher Verpflichtung, solche Angriffe zu unterlassen. Die Verpflichtung beinhaltet, eventuell vorzutragende, sachliche Kritik intern in den zuständigen Gremien zur Sprache zu bringen, damit das Präsidium eine faire Chance hat, weitere Verbesserungen für die Nationalmannschaft in Ruhe und ohne öffentlichen Druck vorzunehmen.
Doch damit nicht genug, auf einer Internetseite wurden die Ereignisse zu einer zweite Runde eines virtuellen Ringkampfes hochstilisiert, zu dem dann zahlreiche Leser ihren emotional geprägten „Senf“ gaben und einige zudem die Gelegenheit nutzten, persönliche Rechnungen begleichen.
Diese Hetzkampagne hat mich persönlich sehr betroffen gemacht und mich mein eigenes Engagement überdenken lassen. Es ist für mich völlig unverständlich, dass es in einem Land wie Deutschland mit seiner nationalen Geschichte immer noch möglich ist, dass jemand mit dem Finger auf jemanden zeigt und dann sofort die Steine fliegen, ohne dass überhaupt ein berechtigter Anlass vorliegt! Und das von Schachspielern, denen man doch gemeinhin überdurchschnittliche Objektivität und analytischen Verstand zutraut!
Nun zur Sache.
Uwe Bönsch ist nicht ein Fußball-Bundestrainer mit einem Millionengehalt, sondern ein langjähriger, verdienstvoller Angestellter des DSB. Die im Internet genannte Höhe seines Gehaltes (50.000,- €) ist falsch, das tatsächliche Gehalt liegt erheblich tiefer und gibt keinen wirklichen Anlass zum Neid. Alle Diskussionen um diesen Punkt und Aufrufe zum Rücktritt werte ich als Neiddebatte und werde sie nicht weiter kommentieren.
Umfangreiche Diskussionen mit der Nationalmannschaft seit dem Streit im letzten Jahr haben zu vielen Verbesserungen für die Nationalmannschaft geführt, die von der Kommission Leistungssport unter Federführung von Klaus Deventer und Uwe Bönsch ausgearbeitet und umgesetzt wurden. Dazu gehören im Vergleich zu den Vorjahren die erhebliche bessere finanzielle Ausstattung für die EM (Uwe Bönsch hat den Kontakt zum Sponsor UKA hergestellt) und die Verpflichtung eines Theorietrainers, und last but not least ein Vorbereitungslehrgang mit Anatoli Karpow in Hockenheim, an dem aber bedauerlicherweise nicht alle Nationalspieler teilnahmen.
Uwe Bönsch hatte den Auftrag und die alleinige Verantwortung, die optimale Mannschaftsaufstellung zu finden. Dazu gehörte die Klärung äußerst sensibler Fragen wie:
Diese Fragen wurden – nach vielen internen Diskussionen – von Uwe Bönsch aufgrund seiner Sachkompetenz und aufgrund seiner gründlichen Beobachtungen offenbar optimal gelöst! Für mich keinerlei Grund für Kritik!
Während der EM war Rustam Kasimdschanow – Achtung: Uwe Bönsch hat mit den Spielern zusammen diese Lösung ausgearbeitet und Rustam Kasimdschanow verpflichtet! - für das Training und die Vorbereitung der Mannschaft verantwortlich. Wieso ausgerechnet die hervorragende Arbeit von Rustam Kasimdschanow nun zu einer Kritik an Uwe Bönsch führt, ist nicht nachvollziehbar, auch hier hat er seinen Auftrag optimal gelöst!
Worum geht es dann in der Debatte wirklich?
Es dürfte klar sein, dass im Deutschen Schachbund Weichenstellungen anstehen. Es geht im Wesentlichen um das von mir schon öfter thematisierte Verhältnis von Breitensport und Leistungssport, insbesondere um das Verhältnis der Basis zur Nationalmannschaft. Uwe Bönsch nimmt bisher Aufgaben aus beiden Bereichen wahr, die Nationalmannschaft will aber das gesamte für ihn eingesetzte Geld für ihre Belange und außerdem einen anderen Trainer (Weltklassespieler), der nur noch für sie arbeitet und mehr das Doppelte kosten würde, ohne dass die Basis noch etwas direkt von ihm hätte. Das wäre nur über gravierende Beitragserhöhungen machbar.
Bevor ich hier weitere persönliche Überlegungen ausbreite, möchte ich deshalb unseren Lesern ein Diskussionsangebot auf unserer DSB-Website machen:
Sie fragen, wir antworten!
Formulieren Sie Ihre Meinung und stellen Sie Ihre sachlichen Fragen zu diesem Themenkomplex, dann sorgen wir für die Antworten durch die Nationalspieler, die beteiligten Trainer oder die beteiligten Funktionäre!
Lassen Sie uns gemeinsam innerhalb unserer Struktur über die brennenden Fragen sprechen und Lösungen suchen! Überlassen wir die Initiative nicht Journalisten, die sich mit provozierenden Fragen aus Interviews das Passende heraussuchen und mit einer einhergehenden Instrumentalisierung unserer Nationalspieler gegen gewählte Funktionäre oder Angestellte (und leider oft auch gegen sich selbst) ihr persönliches Zerrbild transportieren!
Ihre Fragen schicken Sie mit Ihrem Vor- und Familiennamen – nur diese werden beantwortet – bitte bis 30. November an presse@schachbund.de.
Herbert Bastian
DSB-Präsident
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 119