19. Juni 2025
Seit 1998 werden im Komponieren von Schachproblemen Weltmeisterschaften ausgerichtet. Hierzu können Schachkomponisten aus ihren in einem Drei-Jahres-Zyklus veröffentlichten Schachproblemen in acht Abteilungen jeweils bis zu sechs Aufgaben einreichen, die dann von einem international besetzten Preisrichter-Gremium aus jeweils fünf erfahrenen Preisrichtern mit Punkten bewertet werden; ähnlich wie beim Skispringen bleiben dabei die höchste und die niedrigste Bewertung unberücksichtigt. Die Punkte der vier bestbewerteten Aufgaben eines jeden Komponisten werden addiert, der Komponist mit der höchsten Punktzahl ist in der Abteilung Weltmeister.
Kürzlich wurden die Ergebnisse der neunten Weltmeisterschaft für die Jahre 2022 bis 2024 bekanntgegeben – dabei konnte Silvio Baier seinen Titel von 2016-2018 und 2019-2021 erneut verteidigen und ist damit zum dritten Male in Folge Weltmeister in der Retro-Abteilung. Auf den Plätzen folgen sein Vorgänger Dmitri Baibikov (Israel) sowie Andrij Frolkin (Ukraine).
Eine seiner Aufgaben gehört zu den zwei bei diesem Wettbewerb über alle Abteilungen am höchsten bewerteten; sie erreichte 11,5 von maximal 12 möglichen Punkten. Auch andere deutsche Problemisten konnten bei dieser Weltmeisterschaft hervorragende Plätze belegen: Raúl Jordan und Torsten Linß verpasste nur aufgrund der Feinwertung den Bronzeplatz, ebenso belegten Uwe Karbowiak und Martin Minski Platz 4. Auch die sechsten Plätze von Frank Richter und Jan Sprenger verdienen besondere Beachtung, und mit Udo Degener und Ralf Krätschmer konnten sich zwei weitere deutsche Komponisten unter den ersten zehn ihrer Abteilungen platzieren.
Die Berufung der Richter zu dieser Weltmeisterschaft bewies erneut das hohe Ansehen des deutschen Problemschachs: In vier der acht Abteilungen war ein deutscher Richter vertreten:
Silvio Baier, Jahrgang 1978, ist promovierter Physiker aus Dresden, verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit vielen Jahren ist er weltweit als ein führender Spezialist für Beweispartien anerkannt, ist aber auch in anderen Problembereichen zuhause; So leitete er lange die Hilfsmattabteilung der Schwalbe und ist einer der stärksten deutschen Problemlöser.
Beweispartien bilden eine Untergruppe der retroanalytischen Probleme, bei denen es nicht um die „Zukunft“ einer Schachstellung geht (z.B. Matt in drei Zügen, Weiß gewinnt), sondern um deren Geschichte. Beweispartien sind dabei künstlich erdachte Stellungen, die auf eindeutige Weise regelkonform erspielt werden können. Dabei steht nicht der Wettkampf im Fokus, sondern Weiß und Schwarz erspielen kooperativ die Stellung in der angegeben Zügezahl. Hierbei wären schon kleinste Abweichungen beispielsweise der Zugreihenfolge von der Eindeutigkeit zerstörerisch.
Über den Rätselcharakter eines jeden Schachproblems hinaus geht es hier darum, ungewöhnliche Manöver zu zeigen, die in der normalen Schachpartie nicht oder nur sehr selten vorkommen. Beispielsweise werden gern Umwandlungsthemen gezeigt etwa in der Art, dass ein Bauer umwandelt und anschließend wieder geschlagen wird oder einen Originalstein, der geschlagen wurde, ersetzt. Offensichtliche Hinweise auf die Lösung sollte die Stellung möglichst nicht enthalten, die Lösung aber sollte sich möglichst logisch erschließen lassen.
Die höchstbewertete Aufgabe des alten und neuen Weltmeisters sei hier vorgestellt. Es ist erstaunlich, wie weitreichend dabei etwas über die Vergangenheit der Diagrammstellung mit strengen Beweisen abgeleitet werden kann.
Auf beiden Seiten fehlen drei Bauern; alle Offiziere sind an Bord. Und auf beiden Seiten sehen wir zwei Bauernschläge: Bei Weiß entstand der Doppelbauer auf der d-Linie durch zwei Schläge fxe und exd.– oder Weiß hatte drei Bauernschläge a2xb3xc4xd5? Bei Schwarz hingegen können wir die beiden sichtbaren Schlagfelder eindeutig angeben: dxe6 und gxf6.
Mit den sichtbaren Schlägen können “kaum” Bauern geschlagen worden sein: Bei der [Ba2]-Alternative kann Weiß den [Bb7] und schwarz auf f6 den [Bf2] geschlagen haben. Dann müsste Schwarz [Ba7] auf a1 sowie [Bh7] auf g1 (den [Bg2] schlagend) umgewandelt haben, Weiß schlagfrei seinen [Bh2]. Vielleicht ist überraschend, dass dieser Ansatz nicht funktioniert, weil Schwarz dafür zu viele Züge benötigt!
Es funktioniert also nur die andere Strategie — und auch dann stehen die Umwandlungsfelder fest: Bei Schwarz wiederum a1 und g1, bei Weiß dann h8 und b8 nach Schlag des [Bb7] durch [Ba2] — und damit sind auch alles Schläge geklärt.
Nun fragt sich, welche Offiziere sich geopfert haben? Und: Sind die Original- oder Umwandlungssteine nun auf dem Brett? Hierbei gilt es vor allen Dingen zu überlegen, was mit den Original- und den Umwandlungssteinen passiert sein kann — und das ist vor allen Dingen eine Frage der benötigten Zügezahl: Für die Bewegung des Originalsteins und die der Umwandlungsfigur. Und gelegentlich sind dabei auch Abhängigkeiten der Zugreihenfolge zu beachten — das macht dann die Sache noch ein wenig komplizierter!
Dennoch empfehle ich den Lesern, zumindest einige Überlegungen in diese Richtung anzustellen, etwa um begründet zu vermuten, was erwandelt wurde und was mit den Umwandlungssteinen geschah, bevor sie dann vielleicht doch nach der Lösung schauen — allein schon diese Überlegungen lohnen sicherlich; viel Spaß dabei!
Eine inhaltlich sehr originelle und ansprechende Aufgabe in hervorragender technischer Realisierung – eines Weltmeisters würdig!
Thomas Brand
Vorsitzender Schwalbe, deutsche Vereinigung für Problemschach e.V.
Lieber Silvio,
heute [Red. 16.5.] sind die Ergebnisse der 9. Weltmeisterschaft im Komponieren von Schachproblemen für den Zeitraum der Jahre 2022-2024 veröffentlicht worden.
Zu deinem großen Erfolg, die Retro-Abteilung gewonnen zu haben, damit Weltmeister im Komponieren von Retroproblemen geworden zu sein, gratuliere ich dir persönlich und im Namen der „Schwabe“ von ganzem Herzen!
Das ist schon ein riesiger Erfolg, ein großartiges Ergebnis, das aber noch dadurch getoppt wird, dass du damit deinen
Erfolg der Perioden 2016-2018 und 2019-2021 wiederholen konntest, du nun also zum dritten Mal in Folge den Weltmeistertitel gewinnen konntest!
Herzliche Grüße nach Dresden
Thomas
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 11611