20. April 2016
Mit dieser Frage betitelte der Nachrichtensender n-tv am gestrigen Dienstag einen Beitrag auf seiner Website. Dem vorausgegangen war die Anfrage eines Lesers nach dem Warum. Der Sender holte sich kompetenten Rat aus der schachspielenden Szene von einer Frau und einem Mann. Tanja Kraus, 1. Vorsitzende des SV Wattenscheid, und Frank Neumann, Öffentlichkeitsreferent des DSB, lieferten einige Argumente zum Thema. Wobei der Hauptgrund ein ganz einfacher ist, wie eine Studie 2009 feststellte. Es sei ein rein "statistisches Phänomen" wie n-tv schreibt. "Je größer eine Gruppe von Menschen, desto mehr Ausreißer gibt es unter ihnen - in diesem Fall also besonders gute Spieler. Da sehr viel mehr Männer im Schach aktiv sind als Frauen, sind die besten von ihnen die extremen Ausreißer."
Doch nicht nur statistische Gründe sind die Ursache für den geringen Frauenanteil im Schach. Möglicherweise schreckt ja auch der große Männeranteil potentielle Interessentinnen ab. n-tv fragt philosophisch: "Gibt es also so wenige Schachspielerinnen, weil es so wenige Schachspielerinnen gibt?"
Die Bemühungen im Deutschen Schachbund und in der Deutschen Schachjugend, den Anteil der weiblichen Mitglieder signifikant zu erhöhen, scheinen allein aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen wenig Hoffnungen zu machen. Aber wer es nicht versucht, hat schon aufgegeben.
Link: Artikel bei n-tv
Doch das sind jetzt nur die Verhältnisse in Deutschland. Wie sieht es aber weltweit aus mit dem Frauenanteil unter den schachspielenden Menschen? Dazu betrachte ich erst einmal die menschliche Population insgesamt. Hypothetisch kommen auf 100 Frauen 97 Männer. Tatsächlich aber ist es eher umgekehrt. Auf 100 Frauen kommen 101 Männer. Das ist natürlich noch weit entfernt vom Anteil weiblicher Schachspieler. Selbst wenn man nur die Phase der Befruchtung nimmt, kommen auf 100 Frauen nur 130 Männer. Der männliche Anteil verringert sich danach rapide, wozu nicht nur äußere Einflüsse zählen. Wer mehr dazu lesen möchte, dem empfehle ich die Wikipedia.
Für die nachfolgende Untersuchung habe ich die Standardratingliste der FIDE (Downloadseite) vom heutigen Tag herangezogen. Wie hoch ist der Frauenanteil in den Mitgliedsländern der Weltschachorganisation? Um einigermaßen verläßliche Daten zu bekommen, habe ich nur die Länder berücksichtigt, von denen mindestens 1.000 Spieler und Spielerinnen in der Liste aufgeführt sind.
Platz | Land | % Frauen |
Frauen absolut |
Spieler gesamt |
---|---|---|---|---|
1. | Sri Lanka | 26.048 | 559 | 2146 |
2. | Aserbaidschan | 21.089 | 213 | 1010 |
3. | Kasachstan | 18.120 | 187 | 1032 |
4. | Mexiko | 16.591 | 218 | 1314 |
5. | Venezuela | 16.499 | 197 | 1194 |
6. | Kuba | 16.109 | 279 | 1732 |
7. | Kolumbien | 15.862 | 289 | 1822 |
8. | Russland | 15.668 | 3850 | 24573 |
9. | Polen | 14.387 | 1174 | 8160 |
10. | Bulgarien | 14.385 | 207 | 1439 |
11. | Peru | 13.570 | 214 | 1577 |
12. | Rumänien | 13.354 | 422 | 3160 |
13. | Ukraine | 12.817 | 419 | 3269 |
14. | Slowenien | 12.808 | 156 | 1218 |
15. | Griechenland | 12.431 | 518 | 4167 |
16. | Türkei | 10.653 | 457 | 4290 |
17. | Iran | 10.371 | 512 | 4937 |
18. | Indien | 10.256 | 2152 | 20982 |
19. | Brasilien | 10.011 | 371 | 3706 |
20. | Australien | 8.731 | 119 | 1363 |
21. | Frankreich | 8.328 | 1437 | 17256 |
22. | Ungarn | 8.315 | 460 | 5532 |
23. | Kanada | 8.287 | 89 | 1074 |
24. | Portugal | 8.118 | 129 | 1589 |
25. | Serbien | 8.018 | 333 | 4153 |
26. | Kroatien | 7.579 | 196 | 2586 |
27. | Chile | 7.217 | 104 | 1441 |
28. | Israel | 6.689 | 99 | 1480 |
29. | USA | 6.217 | 274 | 4407 |
30. | England | 6.033 | 160 | 2652 |
31. | Deutschland | 5.913 | 1255 | 21226 |
32. | Tschechien | 5.430 | 340 | 6262 |
33. | Slowakei | 5.284 | 158 | 2990 |
34. | Niederlande | 5.268 | 172 | 3265 |
35. | Norwegen | 4.983 | 89 | 1786 |
36. | Österreich | 4.966 | 147 | 2960 |
37. | Spanien | 4.952 | 885 | 17871 |
38. | Ägypten | 4.556 | 58 | 1273 |
39. | Italien | 4.430 | 329 | 7426 |
40. | Argentinien | 4.310 | 138 | 3202 |
41. | Belgien | 4.183 | 94 | 2247 |
42. | Schweiz | 3.356 | 70 | 2086 |
43. | Schweden | 3.303 | 76 | 2301 |
44. | Dänemark | 1.889 | 57 | 3017 |
Auffallend: Abgesehen von Sri Lanka finden sich auf den ersten Plätzen nur Länder des ehemaligen sozialistischen Wirtschaftsgebiets und südamerikanische Länder.
Ja, und wo ist Georgien?
Georgien kann man gemeinhin als Hort des Frauenschachs bezeichnen. Und das trotz des Fehlens in der nebenstehenden Tabelle. Berücksichtigt man die Länder mit mindestens 500 Einträgen in der Ratingliste, taucht auch Georgien wieder auf. 259 Frauen und Mädchen finden sich in der Liste - bei allerdings gerade einmal 864 Spielern beiderlei Geschlechts. Ein Frauenanteil von 29,977 %! Damit sind die Georgierinnen aber nicht einmal Spitzenreiter. China hat sogar einen weiblichen Anteil von 31,451 % - bei nur 779 Spielern insgesamt! Wenn man die chinesische Bevölkerung von über 1,35 Milliarden gegen die Schachspieler aufrechnet, ist es ein Lob höchster Güte, wenn man das (westeuropäische) Schach in China als krasse Randerscheinung bezeichnet. Die erste Ziffer größer 0 erscheint beim prozentualen Anteil erst an der fünften Stelle hinter dem Komma. Da ist es einfacher anders herum zu rechnen: Auf 1 Schachspieler kommen 1.741.976 Menschen! In Deutschland würde sich bei diesem Verhältnis nicht einmal die Gründung eines nationalen Dachverbandes lohnen. Die 46 Leute würden locker in einem kleinen Ortsverein unterkommen.
Bei all der Statistik darf ich aber nicht außer Acht lassen, das möglicherweise das Schach in China bei Weitem nicht so durchorganisiert ist wie in Deutschland. Und es werden sicherlich auch nicht so viele Turniere zur Ratingauswertung bei der FIDE eingereicht.
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 20856