10. Januar 2025
Ohne ihre Excel-Tabellen gehe gar nichts mehr, sagt Alexandra Leib und lacht: „Was da auf uns zukommt – das wird nicht so einfach. Da muss man erstmal den Überblick behalten.“ Der FC St. Pauli, der die Schach-Bundesliga nach seinem Aufstieg als Abenteuer begreift, steht vor einem aufregenden Wochenende. Der Weltbeste, GM Magnus Carlsen, sitzt für den Kiezklub gegen die SG Solingen (Samstag) und die ebenfalls mit Elite-Großmeistern (ob Weltmeister GM Dommaraju Gukesh einschwebt, ist noch unklar) gespickte Düsseldorfer SK (Sonntag) am Brett. Es wird stürmisch – und Alexandra Leib, die die Öffentlichkeitsarbeit für die Schachabteilung des Millerntor-Klub verantwortet, steht im Auge des medialen Orkans.
Dass alles vielleicht ein wenig entspannter sein könnte – da waren die Profi-Kicker des FC St. Pauli vor. Blöd gelaufen, was den Spielplan angeht. St. Pauli quasi mit Doppel-Bundesligaansetzung. Im Fußball kommt Eintracht Frankfurt - der große Ballsaal in der Haupttribüne, ideal für solche Großveranstaltungen, ist also auch belegt. So erwartet Magnus Carlsen in Hamburg „ein Kulturschock“, wie es der Norddeutsche Rundfunk formuliert – vor dem Hintergrund, dass der Norweger gerade seine Ella Victoria Malone in großzügiger Location geheiratet hat: in der Holmenkollen-Kapelle in den Hügeln von Oslo.
An der Elbe wird es kuscheliger. Seinen Einstand für St. Pauli wird der 34-Jährige im Brahms Kontor geben - einem altehrwürdigen Kontorhaus im Herzen von Hamburg. Im Grunde, sagt auch Alexandra Leib, im Hauptberuf Personalleiterin in der Pharmaforschung, zu wenig Raum für sehr viel Rummel. „Es gibt wirklich sehr viel zu koordinieren“, sagt sie – in einer Mischung aus Vorfreude und Ehrfurcht vor der Aufgabe.
Bild, FAZ, Süddeutsche, Zeit, Spiegel, taz, dpa - plus einige andere Zeitungen. Dazu Fernsehsender wie der NDR und Sat.1 – gut und gern 30 Journalisten werden jeweils die Bundesligakämpfe auf eher kleiner Spielfläche verfolgen. Sie dürfen eine halbe Stunde vor den Partien in den Saal – und müssen nach 15 Minuten wieder den Spielsaal verlassen, damit es nicht zu unruhig wird. AC/DC und "Hells Bells" – im Fußball und im Schach auf St. Pauli üblich – ist da natürlich auch längst verklungen. Aber auch wegen solcher Folklore, das hat Carlsen im Vorfeld betont, habe er sich für den Kultklub vom Kiez entschieden.
„Jeder hätte jetzt natürlich gerne exklusive Bilder und Interviews mit Carlsen“, sagt Leib im Gespräch mit Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit, „aber das macht er am kommenden Wochenende nicht.“ Eine Pressekonferenz vorher? Fehlanzeige. Danach? Vielleicht. Eher nur Interviews im großen Pressepulk. „Wir werden spontan sehen müssen, was für die Medien möglich ist“, sagt die Pressefrau der Schachabteilung, die den medialen Part gemeinsam mit Vorstandskollege Oliver von Wersch managt. Insgesamt wird ein Dutzend ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer des Vereins dafür sorgen, „dass wir als Organisator einen guten Eindruck hinterlassen“, so Leib: „Es werden so viele Spitzenspieler vor Ort sein, die sollen alle mit einem guten Gefühl nach Hause fahren“.
Unterstützung kommt auch vom Team der Weissenhaus Chess Academy, dem Sponsor, der den direkten Draht zu Sven Magnus Øen Carlsen und seinem Management hat. Und es kommt Support von den eigenen Fußballern, zum Beispiel beim Thema Security. „Da mussten wir zum Beispiel erstmal checken, ob Magnus Carlsen einen eigenen Bodyguard hat“, so Leib. Hat er nicht.
Die Organisation eines solchen Events bedeutet auch: Mängelverwaltung. Aufgrund des begrenzten Platzes konnten nur 15 Tickets pro Tag an Fans verkauft werden – für 99 Euro, inklusive Catering. Es hätten, sagte Alexandra Leib, gut und gerne 1500 Karten sein können, so gigantisch war die Nachfrage. „Das war ein Ansturm von Schachfans der uns überrascht hat“, so Leib: „Aber irgendwann ging halt nichts mehr.“ Sehr früh sogar. Vom Fußball-Bundesligateam werden die Schachfans Johannes Eggestein und David Nemeth mit dabei sein, um den 17fachen Weltmeister mal persönlich zu sehen. Der ist im Übrigen tatsächlich auch St.-Pauli-Fan, verriet Oliver von Wersch dem NDR. Der Schach-Superstar schaute sich vor einigen Jahren eine Partie am Millerntor an – eine Niederlage. Dennoch habe die Stimmung den jungen Norweger beeindruckt. Offenbar so sehr, dass sich dieser hernach ein Trikot des Clubs kaufte, wie von Wersch erzählt: "Magnus macht Sachen aus Spaß." In Kombination mit der finanziellen Seite, für die Weissenhaus-Gründer Jan Henric Buettner sorgte, fanden der Fan und der Klub zusammen.
Für die Mitglieder des Vereins wartet nach all dem Stress dann das Highlight am Sonntagabend: Dann wird es zu einem privaten Treffen der schachbegeisterten Sankt Paulianer mit Magnus Carlsen kommen. „Darauf freuen wir uns alle in der Abteilung natürlich riesig“, sagte Alexandra Leib, die selbst erst seit kurzem dem Schachsport frönt und gerne über die andere Seite des Vereins spricht, abseits von den bekannten Großmeistern: „Ich bin als Schach-Anfängerin hier herzlich aufgenommen worden.“
Was bleibt, ist eine gehörige Prise Ungewissheit vor dem erwartbaren Spektakel. „Um ehrlich zu sein“, so Leib: „Ich kann jetzt noch nicht sagen, ob das ein Erfolg wird. Ich gehe davon aus und bin positiv gestimmt – aber ich weiß es nicht.“ Nur so viel ist schon klar: Ein weiteres Jeans-Gate ist ausgeschlossen. Die Kleiderordnung der Bundesliga ist deutlich legerer als bei der FIDE. Carlsen wird vermutlich in Jeans und St.-Pauli-Hoodie am Brett sitzen (mw)
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